Einen halben Meter Schnee im Tal, 70 Zentimeter auf dem Berg, fast alle Skipisten und Lifte sind in Betrieb, auch die Winterwanderwege, Loipen und Rodelstrecken sind geöffnet: Für einen denkbar schneearmen Winter wie diesen meldet das Skigebiet Balderschwang ausgesprochen gute Verhältnisse. Zuletzt hat es sogar noch etwas geschneit, für Sonntag hatten die Meteorologen viel Sonne in den Allgäuer Bergen vorhergesagt. „Wir können uns nicht beklagen“, sagt Konrad Kienle denn auch am Telefon. Er ist nicht nur Bürgermeister der am höchsten gelegenen Gemeinde Deutschlands, sondern führt dort außerdem ein renommiertes Hotel. „Wir haben richtig Winter und sind gut gebucht, die Gäste sind zufrieden, die Saison läuft einwandfrei.“
Ganz wichtig für Kienle: Die Aussichten für die weitere Saison sind ebenfalls günstig. Im Balderschwanger Tal, das zwar als Schneeloch gilt, aber im Zuge der Klimakrise ebenfalls immer öfter mit milden Wintern konfrontiert ist, liegt derzeit so viel Schnee, „dass wir in dieser Saison sicher keinen Kunstschnee mehr brauchen“, wie Kienle sagt. Kurz vor Weihnachten war Balderschwang ins Gerede gekommen - wegen der künstlichen Beschneiung seines Skigebiets. Die Süddeutsche Zeitung berichtete über den Verdacht, dass in der sensiblen Bergregion ohne Genehmigung aus zumindest einem Bach Wasser für die Schneekanonen im Skigebiet ausgeleitet wurde.

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Bürgermeister und Hotelier Kienle möchte natürlich am liebsten nicht über die Vorwürfe sprechen. Und Thomas Fischer von der Bergbahn- und Skilift Balderschwang Betriebs GmbH & Co. KG, die das Skigebiet betreibt, reagiert nicht auf eine Anfrage und Anrufe. Aber inzwischen hat sich die Berichterstattung bestätigt. Das geht aus den Antworten von Umweltminister Thorsten Glauber (FW) und Tourismusministerin Michaela Kaniber (CSU) auf eine Landtagsanfrage von Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann (Grüne) hervor, die der SZ vorliegen.
In dem Schreiben teilt Glauber mit, dass das Landratsamt Oberallgäu und das Wasserwirtschaftsamt Kempten auf die Berichterstattung hin drei nicht genehmigte Wasserentnahmestellen für die Beschneiungsanlagen des Skigebiets festgestellt haben. Sie seien „umgehend verschlossen“ worden, erklärte das Landratsamt in der vergangenen Woche. Eine Wasserentnahme kann demnach dort nicht stattfinden. Entscheidungen über Konsequenzen für den Skigebietsbetreiber seien aber noch nicht getroffen worden, heißt es vom Landratsamt weiter. „Eine abschließende Aufarbeitung wird aufgrund der aktuellen Schneelage (...) voraussichtlich bis ins Frühjahr andauern.“

Dem Grünen-Politiker Hartmann geht die Aufklärung zu schleppend voran. Er fordert eine schnelle Prüfung, ob Betreiber des Skigebiets Zuschüsse zurückbezahlen müssen, die sie für die Modernisierung ihres Skigebiets und den Ausbau der Beschneiung vom Freistaat bezogen haben. Dabei geht es um viel Geld. Denn in den Jahren nach 2014 wurde das Balderschwanger Skigebiet umfassend modernisiert. 2016 entstand in seinem hinteren Teil anstelle eines alten Schlepplifts eine moderne Sechsersesselbahn. Dort wurde auch massiv in die Beschneiung der Pisten investiert - und zwar mit Geld des Freistaats.
Nach internen Unterlagen, die der SZ vorliegen, betrug die Investitionssumme für die Modernisierungen 7,1 Millionen Euro. Die Zuschüsse des Freistaats an die Liftbetreiber summierten sich auf 2,3 Millionen Euro. Allein für die Beschneiung betrugen sie 705 000 Euro. Getrennt davon hatte der Liftbetreiber Zuschüsse für einen Speicherteich beantragt und bewilligt bekommen, in dem das Wasser für neue Beschneiung angesammelt werden sollte. Das Becken sollte ungefähr 18 000 Kubikmeter Wasser fassen und 520 000 Euro kosten. Der Zuschuss, den der Freistaat gemäß den Unterlagen für den Speicherteich bewilligte, belief sich auf 87 000 Euro.
Wie den Bau der Sechsersesselbahn und den Ausbau der Beschneiung genehmigte das Landratsamt Oberallgäu zwar auch den Speicherteich. Im Unterschied zu den beiden Projekten wurde er aber nie errichtet. Im Gegenteil. Das Verfahren zog sich hin, unter anderem wegen Umplanungen. Das Landratsamt verlangte vom Skigebietsbetreiber zusätzliche Unterlagen, die aber „trotz mehrfacher Nachforderung nicht beigebracht wurden“, wie es in den Antworten auf die Grünen-Anfrage heißt. Deshalb wurde das Verfahren vor einem Jahr eingestellt, die vorhandenen Unterlagen wurden an den Skigebietsbetreiber zurückgesandt.
Nach Hartmanns Überzeugung hätte die Beschneiung im Balderschwanger Skigebiet ohne den Bau des Speicherteichs aber niemals ausgeweitet werden, geschweige denn staatliche Zuschüsse dafür fließen dürfen. Das Becken sei gleichsam die Voraussetzung für die Modernisierung des Skigebiets gewesen. Hartmann wirft den Genehmigungsbehörden Versagen bei der Kontrolle des Projekts vor. Ohne Speicherbecken steht dem Skigebietsbetreiber nämlich nur sehr beschränkt Wasser für eine Beschneiung der Balderschwanger Pisten zur Verfügung. Und zwar aus der Bolgenach, dem Flüsschen im Balderschwanger Tal. Aus ihr darf er laut Landratsamt 20 Liter Wasser pro Sekunde für seine Schneekanonen ausleiten.

„Es gibt Schneekanonen, die brauchen 200 Liter Wasser pro Minute, also 3,33 Liter pro Sekunde“, rechnet Hartmann vor. Mit der genehmigten Wasserentnahme aus der Bolgenach „hätten also maximal sechs Schneekanonen betrieben werden können“. Das ist ein Bruchteil der „mehr als 80 Schneeerzeuger“, also Schneekanonen und Schneilanzen, mit denen der Skigebietsbetreiber auf seiner Internetseite für seine Beschneiungsanlage wirbt. Genau deshalb habe der Betreiber ja ursprünglich das Speicherbecken geplant, sagt Hartmann. „Woher dann aber ohne Speicherteich das fehlende Wasser für die vielen Schneilanzen und Schneekanonen hergekommen ist, hat später offensichtlich niemand mehr interessiert“, sagt Hartmann.
So ein Kontrollversagen darf sich aus Hartmanns Sicht nicht wiederholen. Die Staatsregierung müsse Konsequenzen für die Genehmigungsbehörden ziehen, sagt der Grünen-Politiker, der seit jeher ein scharfer Kritiker der künstlichen Beschneiung von Skigebieten ist. Solange der Freistaat jedoch an einer Förderung festhält, fordert Hartmann einen Kontrollmechanismus, dass ungenehmigte Wasserentnahmen wie in Balderschwang nicht auch noch staatlich subventioniert werden. „Vor der Vergabe der Fördermittel brauchen wir eine verstärkte Umweltverträglichkeitsprüfung“, sagt er. „In ihr muss per Gutachten geklärt werden, woher wie viel Wasser entnommen werden kann, ohne der Umwelt Schaden zuzufügen.“
In der Staatsregierung will man derzeit offenbar nicht ausschließen, dass der Verzicht auf den Speicherteich und die ungenehmigten Wasserentnahmen finanzielle Konsequenzen für den Skigebietsbetreiber haben könnten. „Soweit mit einem Zuwendungszweck bewilligte Maßnahmen, wie z.B. der Speicherteich, nicht umgesetzt werden, kann dies als Verstoß gegen den Zuwendungszweck zu beurteilen sein“, heißt es in den Antworten auf die Grünen-Anfrage. „Eine ordnungsgemäße Mittelverwendung wäre dann nicht mehr gegeben und müsste ggf. eine Rückforderung zur Folge haben.“