Verkehr in Bayern:Von München nach Lindau in einer Stunde und 50 Minuten

Verkehr in Bayern: Im Lindauer Stadtteil Reutin entsteht ein neuer Fernverkehrsbahnhof. Die Bahnsteige sind schon fertig, die Streben für das Dach sind montiert. Der alte Inselbahnhof wird verkleinert.

Im Lindauer Stadtteil Reutin entsteht ein neuer Fernverkehrsbahnhof. Die Bahnsteige sind schon fertig, die Streben für das Dach sind montiert. Der alte Inselbahnhof wird verkleinert.

(Foto: Florian Fuchs)

Ein Jahrhundertprojekt der Bahn nähert sich seinem Abschluss: Nach langer Bauzeit soll im Dezember die Elektrifizierung der Strecke von München ins Allgäu abgeschlossen sein - und weitere Verbindungen sollen folgen.

Von Florian Fuchs, Lindau

Die Unterführung an der Bregenzer Straße in Lindau ist schon fast fertig, bald können hier Fußgänger und Radfahrer unter den Bahngleisen hindurch in Richtung der Insel Lindau gelangen. Eine ältere Dame sei deshalb zu ihm gekommen, erzählt der Projektleiter der Deutschen Bahn, Michael Katz, und habe sich ausdrücklich bedankt. Ihr Haus, sagte die Frau, habe in den Siebzigerjahren direkt an der jetzigen Unterführung gestanden, bevor es bereits damals abgerissen wurde - um Platz zu schaffen für das Bauvorhaben, das dann aber noch länger auf sich warten ließ. Dass nach Jahrzehnten nun endlich die Unterführung steht, hat die Dame offenbar gefreut. "Dann war das damals doch nicht umsonst, hat sie zu mir gesagt", erzählt Katz.

"Ein Jahrhundertprojekt" nennt der Sprecher für Großprojekte der Bahn in Bayern, Franz Lindemair, die Elektrifizierung der Strecke von München nach Lindau mit all den dafür nötigen Anpassungen und Erneuerungen von Brücken, Gleisen, Signalen und eben Unterführungen entlang der Gleise. Ein Jahrhundertprojekt ist es tatsächlich, aber nicht nur deshalb, weil Teile davon bereits vor Jahrzehnten diskutiert, wieder verworfen und immer wieder neu geplant wurden, bis die elektrifizierte Strecke am 13. Dezember nun in Betrieb genommen werden soll. Die Bahn bezeichnet die Elektrifizierung ins Allgäu und hinein nach Österreich und in die Schweiz auch als eine Art Trendwende, der nun ähnliche Projekte in anderen Teilen Bayerns folgen sollen. "Es ist", sagt Lindemair, "das erste große Elektrifizierungsprojekt in Bayern seit vielen Jahrzehnten."

Im Lindauer Stadtteil Reutin auf dem Festland entsteht dafür sogar extra ein neuer Fernverkehrsbahnhof, der alte Inselbahnhof wird verkleinert. Die Bahnsteige in Reutin sind bereits fertig, die Streben für das Bahnsteigdach stehen. Eine Stunde und 50 Minuten dauert künftig die Fahrt von München hierher, weiter nach Zürich soll es einmal in dreieinhalb Stunden statt wie bisher in viereinhalb gehen. Auch der Regionalverkehr von den Bahnhöfen wie Memmingen oder Buchloe wird sich beschleunigen, von Ende 2021 an wird der Bahn-Konkurrent Go-Ahead den Betrieb übernehmen. Die Arbeiten bis zum Fahrplanwechsel am 13. Dezember dieses Jahres sind laut Projektleiter Katz trotz Corona voll im Zeitplan. "Wir haben momentan sogar einen Puffer von drei Wochen."

Seit zweieinhalb Jahren baut die Bahn auf der 155 Kilometer langen Strecke, in Lindau sogar bereits seit vier Jahren. 650 Millionen Euro kostet der Ausbau insgesamt, alle Vorarbeiten im vergangenen Jahrzehnt eingerechnet kommt Sprecher Lindemair sogar auf 850 Millionen Euro. Zahlreiche Bahnübergänge wurden erneuert, viele Brücken instand gesetzt oder neu gebaut, darunter ein 116 Meter langes Bauwerk in Wangen, das wohl größte Brückenbauwerk im Allgäu.

In Leutkirch steht nun ein neues Umrichterwerk, sozusagen das elektrische Herz des Projekts, in dem der öffentliche Strom in Bahnstrom umgewandelt und eingespeist wird. Und erst im Juli setzten Bauarbeiter den letzten der mehr als 3500 Oberleitungsmasten an den Gleisen bis zum Stadtgebiet in Lindau. Von September an will die Bahn mit den Tests und Abnahmen beginnen, von Bahnanlagen, Weichen, Oberleitungsmasten und Signalen, die für die schnelleren Züge künftig früher schalten müssen.

Sechs Schweizer Eurocityzüge je Richtung werden die Strecke befahren, zu Hochzeiten wie Weihnachten, Ostern oder Oktoberfest soll es mehr Verbindungen geben. Die Deutsche Bahn hat die Verbindung extra auf die Neigetechnik der Schweizer Züge ausgerichtet, die Bahnsteighöhe des neuen Bahnhofs Reutin wird wegen der Züge aus Österreich und der Schweiz 55 Zentimeter betragen statt wie bei Fernzügen in Deutschland angestrebt 76 Zentimeter. Die Schweizer haben das Projekt mit einem 50-Millionen-Euro-Darlehen angeschoben, unter der Bedingung einer Fertigstellung bis Ende 2020. Bei einer Fahrtzeit unter vier Stunden zwischen Ballungsräumen wie München und Zürich kalkulieren Bahnunternehmen damit, dass sich eine Zugverbindung rentiert und Passagiere vom Flugzeug auf die Bahn umsteigen - weil sie damit von Innenstadt zu Innenstadt ähnlich schnell befördert werden.

Der Fahrgastverband Pro Bahn hat allerdings immer wieder angemerkt, dass mehr Züge in höherem Takt fahren sollten, dass deshalb der Bahnhof in Reutin zu klein gedacht werde und ein Nadelöhr entstehe. So könnten die Fahrgastzahlen im Bahnfernverkehr, wie von der Bundesregierung vorgesehen, bis 2030 nicht verdoppelt werden. Im Allgäu herrscht Unzufriedenheit, dass Passagiere mit dem Nahverkehr künftig öfter in Buchloe umsteigen müssen, weil die Dieselloks nicht nach München fahren sollen. Und Kritik gibt es auch allgemein am Tempo der Elektrifizierung im Freistaat. Anfang des Jahres hatten sich die Grünen beschwert, dass die Zielmarke von 70 Prozent Stromstrecken bis 2025 vor allem in Bayern nie erreicht werden könne.

Die Kritik an der fehlenden Elektrifizierung will Bahnsprecher Lindemair so allerdings nicht stehen lassen. Früher habe man den Fokus darauf gelegt, die Hauptverbindungen im Freistaat zu elektrifizieren. "Wenn man es anhand der Reisenden bemisst, fahren deshalb sowieso 80 Prozent der Passagiere auf elektrifizierten Strecken." Die Strecke im Allgäu soll aber ja auch eine Trendwende bedeuten, deshalb verweist Lindemair auf geplante Projekte wie die Elektrifizierung zwischen Hof und Regensburg, von Nürnberg zur tschechischen Grenze oder auch zwischen München, Mühldorf und Freilassing. Addiere man alle Vorhaben zusammen, komme man auf eine Summe von 1000 Kilometer Strecke, die in den nächsten Jahren in Bayern elektrifiziert werden solle - bei laut Lindemair 6000 Kilometern Eisenbahnnetz. Der Ausdruck "in den nächsten Jahren" ist bei solchen Vorhaben jedoch dehnbar - und ein Abschluss kurzfristig nur auf der Strecke nach Lindau konkret absehbar.

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