Personalmangel:Die große Azubi-Lücke - und wie sie gestopft werden kann

Lesezeit: 3 Min.

Für bayerische Betriebe, ob im Handwerk oder in der Industrie, wird es immer schwieriger, Lehrstellen zu besetzen. (Foto: Valentina Barreto/Mauritius Images)

Fast 40 000 Lehrstellen sind im neuen Ausbildungsjahr in Bayern unbesetzt geblieben. Bei der Bauer-Gruppe in Weilheim kennt man das Problem nicht. Warum dort klappt, was anderswo scheitert.

Von Maximilian Gerl, Weilheim/München

Dass tendenziell weniger statt mehr Bewerbungen im Postfach landen, "das merken wir natürlich auch", sagt Florian Wasmeier. Er ist Personalleiter bei der Bauer Unternehmensgruppe in Weilheim, einem Mittelständler, wie er für Bayern so typisch ist: rund 250 Beschäftige, in Familienhand und mit Industrie-Portfolio, von Maschinenbau bis Turboladerhandel. Und doch dürfte man sich dort, wenn man wollte, dieser Tage ein wenig wie ein Exot fühlen. Denn während landauf, landab Azubis dringend gesucht werden, haben sie bei Bauer zum Start des neuen Ausbildungsjahres im September alle 43 Lehrstellen besetzen können. "Wir sind in der Region sehr gut bekannt", sagt Wasmeier am Telefon. "Aber dafür muss man auch was machen."

Etwas machen, um die Azubiquote zu steigern: Das versuchen viele Unternehmerinnen und Unternehmer, überall im Freistaat. Doch statt Erfolgsmeldungen häufen sich von Jahr zu Jahr die Klagen über fehlenden Nachwuchs. Für 2022 etwa wurden den bayerischen Jobcentern 98 303 Ausbildungsstellen gemeldet. Davon blieben 38 582 unbesetzt - ein neuer Höchststand. Gleichzeitig sind nur rund 8200 Bewerber noch auf der Suche nach einer Lehrstelle. Das sind nicht annähernd genug, um den Hunger der Wirtschaft nach künftigen Fachkräften zu stillen.

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Bei der Bauer-Gruppe dagegen sind sie jetzt erst mal satt. Warum dort klappt, was anderswo scheitert? Vielleicht wegen des "Bocks auf Azubis", wie es Wasmeier formuliert. Das klingt zwar erst einmal erstaunlich angesichts der allgemeinen Azubi-Gier, wird aber klarer, sobald Wasmeier erzählt, was seine Firma unternimmt. So gebe es einen hauptamtlichen Ausbilder und für die angehenden Feinmechaniker eine eigene Werkstatt. Um die jungen Menschen außerdem voll in den Betrieb einzubinden, bekämen sie vom ersten Tag an eigene Aufgaben statt Aushilfsjobs - und die Möglichkeit zu Gleitzeit. "Man muss sich nicht nur als guter Arbeitgeber präsentieren", sagt Wasmeier: "Man muss auch einer sein."

Tatsächlich sind die Ideen vielerorts kreativer geworden, mit denen Unternehmen und Branchenverbände um Nachwuchs werben. So gehören auf die Zielgruppe abgestimmte Social-Media-Kampagnen längst zum Standard. Doch in Zahlen übersetzt kommt von all den Mühen wenig an. So melden die bayerischen Handwerkskammern 20 623 neue Lehrlinge zum September, verglichen mit dem Vorjahr ein Minus von 1,1 Prozent. Einen ähnlichen Rückgang mit 1,6 Prozent verzeichnen die Arbeitsagenturen bei den Bewerbern. Der Bayerische Industrie- und Handelskammertag hat noch keine finalen Zahlen, aber auch dort: "Das größte Problem für die Betriebe ist nach wie vor, dass es nicht genügend Bewerber für die zahlreichen angebotenen Ausbildungsplätze gibt", heißt es in einer Mitteilung. Dabei war die Hoffnung vielerorts groß, dass es nach zwei von Corona geprägten Jahren in der Statistik zumindest wieder ein bisserl aufwärts gehen könnte. Jobmessen und Praktika, zuvor häufig ausgefallen, waren wieder möglich - und damit der so wichtige persönliche Austausch.

Um die Ausbildungsbedingungen ist es nicht immer bestens bestellt

Angesichts dessen wirken die zum Ausbildungsstart verschickten Reaktionen aus der Politik fast schon hilflos. "Die Auszubildenden von heute sind die Zukunft unserer Wirtschaft", ließ etwa Bayerns Arbeitsministerin Ulrike Scharf (CSU) mitteilen. Nur was bleibt von der Zukunft, wenn es davon immer weniger gibt? Schon der demografische Wandel sorgt dafür, dass tendenziell mehr Menschen in Rente gehen als nachkommen. Wirtschaftsvertreter weisen deshalb immer wieder darauf hin, wie wichtig Zuzug von außen sei. Zudem müsse die berufliche Bildung gegenüber dem Studium gestärkt werden, beispielsweise mit verpflichtenden Berufsorientierungstagen in allen Schulen. Weniger gern gesagt wird, dass es auch um die Ausbildungsbedingungen selbst nicht immer bestens bestellt ist. Wo Lehrlinge als billige Hilfskräfte ausgenutzt werden, leidet am Ende der Ruf der ganzen Branche.

Vor allem aber täuscht der Lehrlingsmangel darüber hinweg, wie vielfältig die berufliche Bildung geworden ist - und dass manche Handwerkerin auch deshalb inzwischen mehr verdient als mancher Akademiker. Allein die Industrie- und Handelskammern zählen in ihrem Bereich rund 200 Berufe, von A wie Anlagemechanikerin über L wie Lacklaborant und S wie Sportfachfrau bis Z wie Zerspanungstechniker. Manche Ausbildungen wurden außerdem um neue Lehrinhalte ergänzt und modernisiert. Aus dem früheren Informatikkaufmann wurde auf diese Weise die heutige Kauffrau für Digitalisierungsmanagement. Und wer will, kann sich später selbständig machen: Laut Bayerischem Handwerkstag suchen in den kommenden fünf Jahren hierzulande rund 22 300 Betriebe altersbedingt einen neuen Chef.

So gesehen haben Ausbildungsinteressierte vor allem die Qual der Wahl. Firmen hingegen stehen vor der Wahl der Qual. Wer im Wettbewerb um die Fachkräfte von morgen mithalten will, muss sich etwas überlegen, das über die bekannten Botschaften hinausgeht. "Das Gesamtkonzept muss auf das Unternehmen abgestimmt sein", sagt etwa Personaler Wasmeier. "Das müssen auch alle Mitarbeiter mittragen." Bei Bauer gehört zum Beispiel zum Konzept dazu, dass alle Azubis vorher mal Praktikanten waren: So wissen beide Seiten, auf was sie sich da eigentlich einlassen. Die ersten Bewerbungen fürs nächste Jahr, sagt Wasmeier, seien auch schon eingetroffen.

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