Das Ergebnis nennt Markus Söder (CSU) „sozusagen den Fundus einer Strategie“. Geht es nur nach der Kulisse an diesem Montag, dann ist diese Strategie bereits in bester Ausführung: Ganz in der Nähe des Ministerpräsidenten und gleich hinter der Fensterfront breitet sich das Münchner Werksviertel aus, das mit seinem Mix aus alten Fabrikgerippen und neuen Glaswelten als so hip wie zukunftsorientiert gilt. Drinnen aber, vor den Fenstern, dominiert die Gegenwart – und eine Krise, die besonders den bayerischen Autobau gefangen hält. Dieser Krise möchte Bayern den Kampf ansagen. So steht es in einem Papier, das Söder in eine Eventlocation im Werksviertel mitgebracht hat. Es gehe um eine „Autostrategie“, sagt er, mit Lösungen für Bayern, Deutschland und Europa. Es brauche „eine Autowende“.
Eine Wende aus dem Abwärtssog würde Bayerns Wirtschaft tatsächlich freuen. Lange ging es für sie bergauf, auch angetrieben durch die Autoindustrie. Doch jetzt lahmt die Leitbranche – die Angst vor Stellenstreichungen, Werksschließungen und Wohlstandsverlusten geht um. Die Staatsregierung hat deshalb an diesem Montag zu einem „Automobilgipfel“ geladen. Gekommen sind Vertreterinnen und Vertreter von Zulieferern und Herstellern, Mittelständlern und Konzernen, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.
Geblieben ist jenes Papier, das Söder im Anschluss vorstellt: zwei Seiten lang und betitelt als „10-Punkte-Maßnahmenplan Auto“. Denn Probleme hat die Branche genug. Da ist etwa die Digitalisierung, die ein neues Verständnis erzeugt hat, was ein Auto leisten kann oder soll. „Im Grunde geht es um ein fahrendes iPhone“, sagt Söder. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) berichtet von wiederkehrenden SOS-Meldungen aus der Zulieferindustrie: Die Kosten seien zu hoch, die Umsätze zu schlecht, „das höre ich immer wieder“. Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, bemängelt eine „nicht ausreichende Energiepolitik in Deutschland“. Und Horst Ott, Bezirksleiter der IG Metall, gibt zu bedenken, dass sich Produkte und Produktionsweisen schon immer geändert hätten – nur die Geschwindigkeit, mit der sich die Transformation derzeit vollziehe, „die treibt uns um“.
Dabei kommt die Misere ein Stück weit mit Ankündigung. Zu einer ähnlichen Auto-Veranstaltung hatte Söder bereits 2019 eingeladen. Schon damals machte der Branche der Wandel weg vom Verbrenner- hin zum E-Motor zu schaffen, schon damals hatten Zulieferer wie Continental und Schaeffler die Streichung etlicher Jobs angekündigt. Seitdem haben sich zu den alten Herausforderungen neue gesellt. China etwa, über Jahre ein sicherer Absatzmarkt für bayerische Produkte, kauft nicht mehr wie gewohnt – liefert aber selbst Autos in die Welt. Das Know-how konnte man sich lange abschauen, in den vielen Werken westlicher Firmen im Land. Zuletzt ist in China der Absatz der deutschen Autobauer um 17 Prozent eingebrochen, rechnete die Beratungsagentur EY jüngst vor. Die Rekordmargen der vergangenen Jahre hätten „tiefliegende strukturelle Probleme“ verdeckt, die „jetzt schonungslos zutage treten“. Prognose: „Die nächsten Jahre könnten brutal werden.“
Sicher ist, dass die Konkurrenz aus China und anderen Ländern das Autobauen nicht Bayern zuliebe einstellen wird. Für Söder ist deshalb klar: „Die Strategie muss sein, den Wettbewerb anzunehmen.“ Womit man wieder bei der „Autowende“ wäre. Die ersten vier Punkte des Papiers beinhalten Maßnahmen, die ins Gebiet des Freistaats fallen. Demnach plant die Staatsregierung einen neuen Transformationsfonds mit mindestens 100 Millionen Euro für Projekte in der Autoindustrie. Diese soll dazu besser mit der Forschungslandschaft verzahnt werden, damit Innovationen leichter Fuß fassen können. Die E-Ladeinfrastruktur soll ausgebaut, die Zahl der Wasserstofftankstellen erhöht werden. Außerdem gelte es, Dieselfahrverbote zu verhindern. Lauter Dinge, die auch viele in der Wirtschaft grundsätzlich richtig finden – und über die später trotzdem ein Gipfelteilnehmer hinter vorgehaltener Hand unkt, dass Bayern sie ja längst hätte umsetzen können.
Ingolstadt und Audi:Schicksalsjahre einer Autostadt
Dank Audi wurde Ingolstadt zur Boomtown, doch nun schlägt die Autokrise ein. Mitarbeiter bangen um ihre Jobs, die Kommune ist in Geldnot und bald tritt auch der Oberbürgermeister ab. Wird die Stadt zum Opfer ihres eigenen Erfolgs?
Die übrigen Punkte zielen auf Berlin oder Brüssel. Wer mag, kann das Papier daher auch als eine Art Mini-Wahlprogramm für die Bundestagswahl lesen. Von Deutschland fordert Söder unter anderem eine E-Mobilitätsprämie sowie mehr steuerliche Anreize – etwa eine „Sonderabschreibung für elektrische oder Nullemissionsfahrzeuge“. Ein neues Investitionsprogramm soll speziell Zulieferern durch die Transformation helfen und eine niedrigere Lkw-Maut die Transportunternehmen entlasten. Auf EU-Ebene brauche es hingegen „volle Technologieoffenheit“ und eine „Aussetzung der Strafzahlungen bei unverschuldetem Verstoß der CO₂-Flottenwerte“.
„Das war eher die Ankündigung einer Ankündigung“
Der Opposition im Landtag reicht das alles nicht. Die Bayern-SPD etwa spricht dem Autogipfel ab, diesen Namen verdient zu tragen: „Das war eher die Ankündigung einer Ankündigung künftiger Gipfel“, teilt Fraktionschef Holger Grießhammer mit. Die Grünen und ihre Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze sehen „Augenwischerei“ am Werk: „Der eine ruft Verbrenner, der andere Wasserstoff, und jetzt gerieren sich Söder und Aiwanger bei ihrem Autogipfel wie ein Zauberer-Duo, das gleich eine Rettungsstrategie aus dem Hut zieht.“
Und Greenpeace Deutschland vergleicht die „Autowende“ mit „einer Rolle rückwärts“. Der Vorwurf der Umweltschutzorganisation: Söder bekenne sich nicht klar „zur elektrischen Zukunft des Autos“. Doch „ohne ein klares Ausstiegsdatum eiert die Branche weiter auf ihrem Schlingerkurs, während die chinesische E-Auto-Konkurrenz die deutschen Hersteller abhängt“.
In der Staatsregierung dürfte man das anders sehen. „Keiner will die Transformation ablösen“, sagt Söder im Münchner Werksviertel. Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) ergänzt, alle Gipfelteilnehmer hätten gesagt: „Wir stehen zur Dekarbonisierung.“ Er selbst gehe sogar mit „einem guten Gefühl“ aus der Sache heraus, weil sich Unternehmen und Gewerkschaften einig zeigten. Und Aiwanger betont, man müsse mehr vom Markt her denken – und es nicht der Politik, sondern dem Kunden überlassen, für welche Antriebsform er sich entscheide: „Das muss man ihm auch erlauben.“
Eine Entscheidung hat sich der Kunde allerdings auch schon zuletzt erlaubt – zu bayerischen Ungunsten.