Ausstellung:Bayerns Wohnungsnot ist nicht neu - aber anders

Ausstellung: Die Selbstbausiedlung Firnhaberau in Augsburg entstand von 1921 bis 1939. Das Gelände stellte die Stadt Augsburg zur Verfügung. Eine Genossenschaft verloste die Grundstücke, die von den Siedlern mit Doppelhäusern bebaut wurden.

Die Selbstbausiedlung Firnhaberau in Augsburg entstand von 1921 bis 1939. Das Gelände stellte die Stadt Augsburg zur Verfügung. Eine Genossenschaft verloste die Grundstücke, die von den Siedlern mit Doppelhäusern bebaut wurden.

(Foto: Siedlungsgenossenschaft Augsburg Firnhaberau)

Eine Ausstellung im Bauministerium widmet sich 100 Jahren Wohnungsbau im Freistaat. Sie zeigt: In der Vergangenheit war die Situation teils katastrophal.

Von Maximilian Gerl

Wenn die Wohnung nicht zu ihren Bewohnern kommt, kommen die Bewohner eben zur Wohnung. Auf alten Aufnahmen ist zu sehen, wie Menschen zum Spaten greifen, wie sie das Gelände planieren und Fundamente legen. Neue Ansätze sind im Jahr 1921 gefragt, um der Wohnungsnot in Augsburg zu begegnen. Also haben die Bürger die Sache selbst in die Hand genommen und eine Genossenschaft gegründet - und ziehen in der Firnhaberau ein neues Viertel hoch.

Selbstbausiedlungen wie diese sind nur ein Beispiel, welche Versuche Staat, Markt und Gesellschaft in den vergangenen 100 Jahren unternommen haben, um Wohnraum zu schaffen. Mehr als 40 solcher Raum- und Architekturkonzepte aus Bayern zeigt die Ausstellung "Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen!" im Bauministerium in München. Wer will, versteht den Titel - eigentlich ein Zitat aus den 1950er-Jahren - als Hilferuf. Bezahlbarer Wohnraum ist derzeit in Bayerns Ballungsräumen Mangelware. Mal wieder.

Die Ausstellung tourt seit 2018 durch den Freistaat. Die Station in der Landeshauptstadt ist nun die letzte. Hilde Strobl vom Architekturmuseum der Technischen Universität München hat die Schau fürs Bauministerium kuratiert. "Der Fokus auf die Geschichte des Wohnungsbaus hat meinen eigenen Blick auf die Städte und Dörfer verändert", sagt sie. Im Gebauten bildeten sich wirtschaftliche Auf- und Abschwünge genauso ab wie Reformen und Förderprogramme.

Das Recht auf eine "gesunde Wohnung" erhielt mit der Weimarer Verfassung im Sommer 1919 deutschlandweit Gültigkeit. Die Wohnsituation stellte sich damals katastrophal dar. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte in den Städten Wohnungsnot geherrscht. Mit Kriegsausbruch war der Wohnungsbau ganz zum Erliegen gekommen. Noch im Jahr 1924 ging ein Ministerialreferent von 90 000 fehlenden Wohnungen in Bayern aus. Großfamilien hausten in einem Zimmer, sogenannte Schlafgänger teilten sich ein Bett. Die hygienischen Zustände mag man sich da gar nicht ausmalen.

Ausstellung: Auch Firmen bauten: in Erlangen etwa 1957 die Siemens-Schuckertwerke.

Auch Firmen bauten: in Erlangen etwa 1957 die Siemens-Schuckertwerke.

(Foto: Rudi Stümpel/Stadtarchiv Erlangen)

Von diesem Punkt aus hat Strobl die Geschichte des Wohnungsbaus in sieben Ausstellungskapitel aufgefächert. Genauer: in Zimmer. Auf weißen Wänden sind mit schwarzem Strich epochentypische Wohnausstattungen abgebildet. So besitzt die Küche der Weimarer Republik einen Holzofen. In der Stube der NS-Zeit steht auf der Kommode ein Volksempfänger. Fenster bieten Blick auf Innenhöfe, in Schrankschubladen verstecken sich Baupläne, im Bad hängen Bilder an der Wäscheleine.

In den 1920er-Jahren gründeten Städte die ersten Wohnbaugesellschaften. Manche wie die in Nürnberg gibt es bis heute. Genossenschaften wurden staatlich unterstützt und boomten. Später fasste die Gartenstadtbewegung in Bayern Fuß. Sie zeichnet sich unter anderem durch zentrale Gemeinschaftshäuser und Selbstversorgergärten aus. Die Nationalsozialisten pflanzten dann Mustersiedlungen aus Hunderten Häusern in die Landschaft, natürlich aus Kalkül. Wer dort einziehen wollte, benötigte Parteibuch und "Ariernachweis". Auf diese Weise entstand zum Beispiel in Regensburg die Schottenheimsiedlung, heute als Konradsiedlung bekannt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg galten alle Mühen dem Wiederaufbau. Spätestens jetzt wurde klar, dass Wohnen mehr als die Wohnung umfassen musste. So machte im Zuge des Wirtschaftswunders eine steigende Zahl an Autos plötzlich Hochgaragen nötig. Seitdem schlagen sich Planer mit Antworten auf immer neue Fragen herum: vom Bau zeitgemäßer Infrastruktur über die Schaffung ausgleichender Grün- und Freizeitflächen bis hin zur Implementierung von Ersatzbaustoffen, um Rohstoffknappheit zu umgehen.

Bürger wollen heute stärker an Stadtentwicklungs- und Gestaltungsfragen beteiligt werden

Das jüngste Kapitel reißt die Ausstellung nur an, ist aber in seinen Ausmaßen vielen Bayern auf Wohnungssuche wohlbekannt. Mit der Jahrtausendwende schraubten Kommunen und Freistaat ihre Bemühungen zurück. 2009 wurden so wenige Wohnungsfertigstellungen gemeldet wie zuletzt 1951. Einige Jahre später verkaufte der damalige Finanzminister Markus Söder (CSU) gar 30 000 staatliche Wohnungen. Als Ministerpräsident hob er dann ein Förderprogramm samt Wohnbaugesellschaft aus der Taufe. Umgerechnet 70 000 Wohnungen sollen so jährlich entstehen - 2018 waren es aber nur rund 60 000.

Ausstellung: Die Ausstellungsflächen bilden Wohnungen nach, Fenster inklusive.

Die Ausstellungsflächen bilden Wohnungen nach, Fenster inklusive.

(Foto: Maximilian Gerl)

Der heutige Kampf gegen die Wohnungsnot ist mit früheren bedingt vergleichbar, weil komplexer. Baufirmen und Ämter gelten zum Beispiel seit Langem als aus- bis überlastet. Mancherorts ist Grund inzwischen so teuer geworden, dass Kommunen Hilfe von Investoren brauchen, um geförderten Wohnraum zu schaffen. Und neben den rechtlichen sind auch die gesellschaftlichen Ansprüche gestiegen, wie die Ausstellung zeigt: Bürger wollen stärker an Stadtentwicklungs- und Gestaltungsfragen beteiligt werden.

Die Schau ist damit Spiegel einer sich wandelnden Gesellschaft. Ihr Ziel sei, "unterschiedliche Perspektiven sichtbar zu machen", sagt Strobl - und möglicherweise Konsequenzen für die Gegenwart aufzuzeigen. Tatsächlich erfreuen sich einige vermeintlich historische Lösungsansätze wieder großer Beliebtheit, Genossenschaften etwa. Sogar die Mietpreisbremse ist keine völlig neue Idee, sondern eine Weiterentwicklung der Friedensmiete. Diese sollte in den 1920er-Jahren die Inflation bei den Realmieten begrenzen.

So gesehen kann die Ausstellung auch als Lehrstück über Kontinuität gesehen werden und das, was passiert, sobald sie fehlt. Allein die Schau hat in den anderthalb Jahren ihrer Tournee drei Bauminister erlebt. Der aktuelle, Hans Reichhart (CSU), will sich bei der Kommunalwahl im kommenden Jahr als Landrat von Günzburg bewerben. Möglich also, dass zur Finissage schon ein vierter Minister kommen muss.

"Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen!", bis 16. Januar 2020 im Foyer des bayerischen Bauministeriums (Franz-Josef-Strauß-Ring 4, 80539 München). Geöffnet von je zehn bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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