Ärger um Touristen:"Die Sinnhaftigkeit von solchen Ausflügen überdenken"

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Bayern drängt in die Natur: Auf dem zugefrorenen Spitzingsee in Oberbayern tummeln sich die Schlittschuhläufer. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Bayerns Wintersportorte klagen über einen Ansturm von Ausflüglern. Bergwacht und Polizei sehen den Andrang vergleichsweise entspannt, Lokalpolitiker appellieren an die Vernunft der Menschen.

Von Julia Bergmann, Anton Kästner und Matthias Köpf, Ruhpolding

In Ruhpolding im Chiemgau ist am Wochenende das passiert, wovor gerade so viele warnen: An der eigentlich geschlossenen Rodelbahn am Unternberg haben sich zwei Männer am Sonntag beim Schlittenfahren so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Als ob die Kliniken in der Corona-Pandemie nichts anderes zu tun hätten, lautet der Vorwurf, der bei so etwas derzeit stets mitschwingt. Die Parkplätze bei Ruhpolding seien am Wochenende "rappelvoll" gewesen, hieß es von der Bergwacht, so wie es auch vom Sudelfeld, vom Spitzingsee, aus Garmisch, aus dem Allgäu und inzwischen auch aus der Rhön und dem Bayerischen Wald gemeldet wurde. Doch während die im Lockdown vom Frühjahr aufgeflammte Debatte über den Tagestourismus immer hitziger wird, herrscht bei Polizei und Bergwacht eher Gelassenheit.

Was Notfälle betreffe, sei gerade "alles im grünen Bereich", sagt zum Beispiel Florian Notter von der Bergwacht-Region Hochland, die von der Kampenwand bis in die Ammergauer Alpen reicht. Zwar sei es wieder zu einem Besucheransturm gekommen, aber "wir derrennen uns nicht", sagt Notter. Da und dort sei ein Tourengeher oder Rodler zu versorgen, aber von Einsatzzahlen wie bei üblichem Alpinskibetrieb in normalen Wintern sei man weit entfernt. Vor Infektionen schützten sich die Teams der Bergwacht inzwischen wie der normale Rettungsdienst mit FFP2-Masken, die sie sich und den Patienten überziehen.

Münchner Ausflügler im Oberland
:Das verhasste M-Kennzeichen

Es ist wie in einer Netflix-Horrorserie: Kaum erspähen Einheimische ein Fahrzeug mit diesem oberarroganten Buchstaben "M" auf dem Nummernschild, schon brechen sie schreiend und mit Schaum vorm Mund zusammen.

Glosse von Sebastian Beck

In der Murnauer Unfallklinik landen viele Verletzte nach Unfällen beim Schlittfahren

Wer sich in den Bergen wirklich schwer verletzt, landet oft in der Unfallklinik Murnau, wo zuletzt - abgesehen von der Pandemie - nahezu Normalbetrieb herrschte. An Silvester und Neujahr habe es etwas weniger Notfälle als ein Jahr davor gegeben, und an den Tagen danach habe man kaum einen Unterschied festgestellt, heißt es aus Murnau. Dies bedeutet aber auch, dass die Schließung der Skigebiete für die Klinik keine Entlastung gebracht hat.

So hat sie zuletzt nach eigenen Angaben zwar recht wenige Skiunfälle verzeichnet, aber "überproportional viele Rodel- und Schlitten-Verletzungen häufig mit Arm- und Unterschenkelbrüchen bei Kindern sowie Wirbelsäulenverletzungen bei Erwachsenen". Ähnliches berichtet der Leiter der Notaufnahme im Miesbacher Kreiskrankenhaus Agatharied, Steffen Herdtle. In Summe gebe es genauso viele Unfälle wie sonst, und man sei auch auf Rodler eingerichtet, nur müsse man in der Pandemie ohnehin schon sehr viel mehr Aufwand mit den Patienten betreiben.

Die Polizei muss sich in den Ausflugsgebieten nach Angaben des Rosenheimer Präsidiums Oberbayern Süd vor allem mit Parkverstößen befassen. Allein im Landkreis Miesbach habe man am Wochenende rund 500 Verwarnungen ausgesprochen. Jenseits solcher Strafzettel wegen wilden Parkens in Halteverboten oder auf Rettungswegen sieht die Polizei für sich selbst wenig Handlungsbedarf. Staus am Tegernsee, zähen Verkehr bei Bad Tölz, Blockabfertigung am Tunnel Farchant - all das habe es an passenden Tagen auch vor Corona schon gegeben, sagt ein Polizeisprecher. Man gehe allen Verstößen nach, doch die vereinzelt untragbare Parkplatzsituation sei "eher ein Thema der Kommunen". Ausflüge seien erlaubt, und solange es keine Rechtsgrundlage gebe, sei das vielfach geforderte "Abriegeln von Straßen oder so etwas für uns völlig undenkbar".

Dass es an den trotz geschlossener Lifte oft von Hunderten Menschen bevölkerten Skihängen zu Verstößen gegen Corona-Regeln kommt, hat die Polizei nach eigenen Angaben nicht beobachtet. Freilich sei man dort "in der Regel schlicht nicht präsent". Wer schon präsent ist, kann durchaus von Gedränge am Gipfel oder von geselligen Runden am Parkplatz berichten - zum Zorn mancher Einheimischer, die sich selbst tatsächlich oder vermeintlich an alle Regeln halten und nun befürchten, das Virus von Tagestouristen eingeschleppt zu bekommen. Und Geld lassen die sonst so umworbenen Ausflügler mangels offener Hütten, Wirtshäuser und Geschäfte gerade auch keines da.

In Fichtelberg (Oberfranken) sind alle Parkplätze belegt. Ausflüge sind nicht verboten, aber umstritten. (Foto: Imago)

Die Staatsregierung hat es angesichts der Hilferufe aus den Ausflugsgebieten bisher bei Appellen belassen, Abstand zu halten und die Erholung nicht unbedingt an den überlaufenen Orten zu suchen. Es gelte "das Recht auf freien Genuss der Natur", sagte Innenminister Joachim Herrmann vor einigen Tagen. Man plane keine weiteren Beschränkungen. Am Montag hieß es aus Herrmanns Ministerium, im Hinblick auf künftige Maßnahmen blieben die Beratungen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin abzuwarten. Spezielle Regelungen für Bayern schienen aber "bislang nicht erforderlich".

Derweil werden auch aus anderen Regionen die Klagen lauter. Als durchaus nicht unkritisch bezeichnet Landrat Sebastian Gruber die Lage an einigen Touristen-Hotspots im Kreis Freyung-Grafenau. Vor allem am Lusen und Dreisesselberg im Bayerischen Wald hatten Ausflügler den Schnee genießen wollen. Besucher parkten wild in den Dörfern. Die Belastung für viele Anwohner sei groß, und Gruber mahnt, auch die Kapazitäten der Rettungskräfte seien begrenzt, die Situation in den Kliniken sehr ernst. "Es sollte sich jetzt wirklich jeder überlegen, was vernünftig ist, selbst wenn es erlaubt ist", sagt er.

Am Hopfensee musste das Landratsamt wieder eine Maskenpflicht erlassen

Im Nationalpark Bayerischer Wald hatten zuletzt immer wieder Menschen die Wege verlassen, waren querfeldein durch die Rückzugsgebiete störungsanfälliger Arten wie dem Auerhuhn gestapft. "Das tut uns besonders weh", sagt Nationalparkleiter Franz Leibl. Auch die Abstandsregeln wurden auf den Gipfeln nicht mehr eingehalten, Leibl spricht von "Crowding-Situationen". Am Lusen hätten sich circa 30 Leute zu einer Party verabredet.

Die Besucher kommen auch im Allgäu in Scharen, berichtet Simone Zehnpfennig, die Sprecherin des Tourismusverbands Allgäu. Weil die Parkplätze der Lifte geschlossen sind, herrscht Verkehrschaos. Am Hopfensee musste das Landratsamt wieder eine Maskenpflicht erlassen. Wegen des Massenandrangs konnten die Abstände nicht mehr eingehalten werden. Sogar in der sonst ruhigen Rhön war viel los. Verschneite Hänge und Loipen lockten viele Menschen ins Mittelgebirge. So seien am Kreuzberg und Arnsberg die Parkplätze überfüllt gewesen, sagt der Bürgermeister von Bischofsheim, Georg Seiffert. Aus Infektionsschutz-Sicht hätte man zwar "beobachtet, dass es in den Wintersportgebieten gesittet zugegangen ist". Trotzdem solle man zurzeit "die Sinnhaftigkeit von solchen Ausflügen überdenken."

© SZ vom 05.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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