Es ist einer der ersten Tage im Jahr, an denen es draußen nach Sommer riecht. Der Wind weht warm, die Obstbäume sprießen und Dominik Plötz und Franzisca Jacobs-Plötz zupfen Unkraut aus den Beeten ihres 1000 Quadratmeter großen Gemüsegartens. Die Kulisse, in der sie das tun, scheint einem Märchenfilm entsprungen zu sein. Im Hintergrund ein gelbes Schloss, um sie herum weitläufige Wiesen, ein kleines Waldstück und Obstbäume.
In dieser Traumkulisse, dem Schloss Egglkofen (Landkreis Mühldorf am Inn), lebt das junge Paar mit seinem sechsjährigen Sohn. Adelig sind die Schlossbewohner aber nicht. Viel mehr wollen die beiden gelernten Köche das Schloss, das einst Maximilian Josef Graf von Montgelas bewohnte, mit raffinierter Küche und bunten Kulturevents wieder aus dem Dornröschenschlaf holen. Vor allem ihr Pop-up-Biergarten ist ein Geheimtipp für einen besonderen Ausflug ins Grüne.

Montgelas, der als Staatsreformer und als Schöpfer des modernen Bayerns in die Geschichtsbücher eingegangen ist, hatte die – vermutlich im Spätmittelalter erbaute – Schlossanlage 1833 gekauft und mithilfe des Architekten Jean Baptiste Métivier neu gestalten lassen. Seither wurde sie von den Grafen von Generation zu Generation weitergegeben. Bis 2011 Rudolf-Konrad Graf von Montgelas, der Ur-Ur-Enkel des berühmten Ministers, eine Stiftung gründete, in die das Schloss samt Park und Wald überging und die den Erhalt des geistigen und materiellen Erbes des Ministers sicherstellen sollte.
Besagte „Maximilian Joseph Garnerin de la Thuille, Graf von Montgelas-Stiftung“ hat sich ein klares Ziel gesetzt: die Wiederbelebung des Schlosses. „Wir wollen einen Ort der Entfaltung und des Kulturtreffs schaffen für Freidenker und Freigeister im Sinne Montgelas“, sagt Stephan Birnkammer, Stiftungsrat und Schwiegersohn des Montgelas-Ur-Ur-Enkels: „Es soll Vorträge, Konzerte, Seminare und Lesungen geben.“ Auch sollen laut dem Stiftungsrat Wohnungen sowie Herbergszimmer an „kreative Freidenker aller Art“, wie Musiker, Schreiber, Maler, Stipendiaten, Pilger oder Ruhesuchende vermietet werden.

Mit ihrer Vision kam für die Stiftung das umtriebige Köche-Paar aus Niederbayern wie gerufen. Fünf Jahre war das Paar bereits auf der Suche nach einer Örtlichkeit, in der sie leben und sich gleichzeitig beruflich niederlassen und verwirklichen können. „Irgendwann war ich von der Suche total frustriert und habe ganz lieblos bei Facebook gepostet, dass wir was suchen“, erinnert sich Franzisca Jacobs-Plötz, die regelmäßig auch als Fernsehköchin im BR zu sehen ist. Die 37-Jährige staunte damals nicht schlecht, als sich tatsächlich eine Frau meldete, die glaubte, vermitteln zu können. Sie stellte den Kontakt zu Stephan Birnkammer her.
Dass es sich bei der Location, von der Birnkammer sodann am Telefon sprach, um ein Schloss handelte, wussten die Gastronomen nicht. „Erst, als wir zum ersten Treffen die lange Einfahrt zum Schloss hochgefahren sind, ist der Groschen gefallen“, sagt Jacobs-Plötz. Auf Anhieb stimmte die Chemie zwischen Birnkammer und den Gastronomen. „Die beiden waren bei uns am Schloss und wir haben stundenlang geratscht“, erinnert sich der Stiftungsrat an das Treffen 2020.

Und so beschloss die Stiftung, auch die Kernsanierung des alten Gutshofs neben dem Schloss in den Bauplan mit aufzunehmen und diesen als Wohnhaus und Eventküche für die Familie Plötz herrichten zu lassen. In der neuen großzügigen Küche veranstalten die beiden unter anderem ihre Kochkurse oder bieten Show Cooking an, sprich, die Speisen werden exklusiv vor den Augen der Gäste zubereitet.
Ein Biergartenbesuch, der entschleunigt
Vor genau zwei Jahren ist das Paar mit seiner Catering-Firma schließlich in den sanierten Gutshof eingezogen. Sie bewirten die großen Gemüse- und Kräutergärten und haben schon erste Events auf dem Schloss veranstaltet. So hatten sie im Dezember beispielsweise eine Schlossweihnacht mit dem Motto „Kunst und Kultur statt Konsum“ mit einem Weihnachts-Rave auf die Beine gestellt. Im Sommer soll es außerdem ein „Dinner unter den Bäumen“ sowie ein „Fine-Dining im Schloss“ geben. Und im Herbst wollen sie das Wildessen wieder aufleben lassen. Dafür wurde auch der 100 Jahre alte Ofen in der alten Schlossküche saniert.

Vor allem der Pop-up-Biergarten ist ein wahrer Geheimtipp. Er ist der perfekte Anlaufpunkt für Ruhesuchende, die Essen abseits des traditionellen Wurstsalats und Obazdn suchen. Auf der Speisekarte sind beispielsweise selbstgemachte Blutwurst, Pulpo mit gegrilltem Salatherz und Knoblauch-Pesto oder Reh, „frisch geschossen aus dem Schlosswald“, wie Dominik Plötz sagt, zu finden. Neben der modernen und zugleich regionalen Küche sei es das besondere Ambiente, das bei den Gästen so gut ankommt, sagt Köchin Jacobs-Plötz.
„Unsere Küche ist gehoben, aber unsere Produkte bodenständig“, sagt Dominik Plötz, der, genauso wie seine Frau, viele Jahre sein Handwerk in der Sternegastronomie gelernt hat: „Wir wollen Qualität zu einem anständigen Preis anbieten.“ Fast 40 Prozent der verwendeten Lebensmittel stammen aus eigenem Anbau aus der Schlossanalage. „Der Garten ist einfach unser Hobby und unser Rückzugsort“, sagt Franzisca Jacobs-Plötz: „Das Leben und Arbeiten im Schloss ist fast zu schön, um wahr zu sein.“ Während sie das sagt, nimmt sie zwei Erdbeerpflanzen aus einem Pflanztisch. Die Ableger wollen sie bald auf einem Pflanzenmarkt verkaufen, den sie im Mai im Schloss veranstalten wollen. „Ach, wir haben so viele Pläne“, sagt sie und strahlt.

Die Rückmeldungen auf das „offene Schloss“ seien durchwegs positiv. Viele aus der Umgebung hätten einen Bezug zum Schloss, erzählt Birnkammer. Im Sommer feiert beispielsweise eine Dame ihren 70. Geburtstag hier, deren Opa früher im Schloss gearbeitet hat. Zu Hochzeiten waren bis zu 50 Angestellte am Schloss beschäftigt. Doch mit den Jahren wurde es immer weniger. „Meine Schwiegereltern hatten dann teilweise nur noch zu zweit hier gelebt“, sagt Birnkammer. „Umso schöner ist es, jetzt zu sehen, dass wieder Leben im Schloss einzieht. Wenn ich komme und sehe, es brennt Licht und ein Kind rennt durch die Gegend – das ist eine absolute Bereicherung.“
Bis heute feiert die Familie noch traditionell besondere Anlässe, wie Geburtstage oder Weihnachten, im Schloss. Der ganze erste Stock des Schlosses wurde daher über die Jahrzehnte kaum verändert. „Das ist gelebte Geschichte hier“, sagt Birnkammer, als er in den großzügigen Wohnungs-Gang, in dem ein langer roter Teppich ausgelegt ist, eintritt.

Die Räumlichkeiten sind versehen mit diversen Gemälden der Montgelas-Gräfinnen und Grafen, die Holzdielen knarzen. Hochwertige Holzmöbel, goldene Kronleuchter und mit Hohlkehlen verzierte Decken und zweiflügelige Türen lassen es hier eben auch aussehen wie in einem echten Schloss. In den Zimmern sind einige Kissen verteilt, die mit einem „M“ und einer Krone bestickt sind. „Die hat die brennende Gräfin selbst gemacht und in der Familie verschenkt“, erinnert sich Birnkammer.
Wenn er von der „brennenden Gräfin“ spricht, meint er seine Schwiegermutter, die Gräfin Erna von Montgelas, die 2017 verstorben ist und die recht erfolgreich Edelbrände in der Hausbrennerei auf dem Schlossgelände in Egglkofen gebrannt hatte. Inzwischen haben ihre Enkelsöhne die Edelbrennerei übernommen und produzieren in kleiner Charge Schnaps, Liköre sowie seit neustem auch Gin. Zu kaufen gibt es ihre Spirituosen nur auf dem Schloss.

In mehreren Bauabschnitten soll der zwölf Hektar große Schlosspark in den nächsten Jahren noch weiter aufgehübscht werden. Gerade fertiggestellt wurde das Erdgeschoss, das ab diesem Jahr auch Brautpaare für ihre Hochzeit mieten können. Es besticht durch sein helles Gewölbe sowie die cremefarbenen Solnhofener Platten. Als Nächstes soll ein weiteres Obergeschoss saniert und die Fassade erneuert werden. „So wäre zumindest der Plan“, sagt Birnkammer. „Dann müssen wir aber natürlich noch schauen, wie man es finanzieren kann.“
Die Wunschliste des Architekten ist lang. Er würde gerne noch ein weiteres Gutshof-Gebäude bauen oder mit den Sanierungen im Park weitermachen, etwa bei dem Teich. „Das ist eine never ending story.“ Einerseits. „Aber es ist natürlich auch schön. Und macht das Schloss immer zugänglicher.“ Das Ziel sei laut dem Stiftungsrat ja schließlich auch, dass das Montgelas-Schloss wieder zum Leben erweckt wird.
Wer zum Biergarten möchte, parkt am Fuß des Schlossparks, dann führt eine Baumallee entlang an den Obstbaumwiesen rauf zum Biergarten, der zwischen Schloss und Gutshof aufgebaut ist. Bis auf Vogelgezwitscher hört man hier nichts. Kein Straßenlärm, kein Massentourismus. Noch bis September hat der Pop-up-Biergarten im Schloss Egglkofen an ausgewählten Wochenenden geöffnet. Die Termine haben die Plötz’ auf ihrer Homepage freudeamessen.com veröffentlicht, eine Reservierung wäre zu empfehlen.