Süddeutsche Zeitung

Ausflüge:Auf in den bayerischen Norden!

In Oberbayern treten sich die Touristen gegenseitig auf die Füße, in Franken und der Oberpfalz lockt das weite Land. Sechs Tipps für alle, die in Bayern Abgeschiedenheit suchen.

Von Sebastian Beck, Andreas Glas, Olaf Przybilla und Alena Specht

So wie hier hat ganz Bayern früher mal ausgesehen: Felder und Hügel bis zum Horizont, dazwischen verstreut ein paar Weiler und eine Kleinstadt, die hinter dem letzten Haus endet und nicht ins Gewerbegebiet ausfranst. Der Blick vom Gipfel des Rauhen Kulm hat fast etwas Nostalgisches. Eine Landschaft, die frei von technischen Großstrukturen ist - wo gibt es das sonst noch? Von München hinauf in die nördliche Oberpfalz sind es 230 Kilometer, genauso weit wie von München nach Brixen in Südtirol.

Unterschiedlicher könnten zwei Reiseziele aber kaum sein. In Südtirol warten Alpendramatik, Wein und viel Verkehr auf die Ausflügler. In Neustadt am Kulm ist es vor allem eins: still. "Hier kann man Kraft und Ruhe tanken", sagt Bürgermeister Wolfgang Haberberger. Overtourismus? Parkplatzgerangel? Volle Wirtshäuser? Gibt es in der Gegend nicht.

Im Gegenteil: Nicht nur Haberberger wäre froh, wenn mehr Touristen mal den Weg in den Norden Bayerns fänden. Während die Alpenregion zu einem Freizeit-Spielplatz verkommt, wirkt die Oberpfalz fast abweisend auf die Besucher - aber nur auf den ersten Blick.

In Neustadt am Kulm haben sie jetzt ein Infozentrum gebaut, das im nächsten Frühjahr eröffnet wird. Haberberger ist stolz auf die 800 000 Euro teure Holzkonstruktion - schließlich hat die Mini-Stadt nur 1100 Einwohner. Mit dem 681 Meter hohen Basaltberg kann Neustadt am Kulm aber eines der seltsamsten Naturwunder Bayerns vorweisen. Es ist der Schlot eines Vulkans, der hier vor 20 Millionen Jahren erkaltete. Das Deckgestein wurde von der Erosion weggewachsen, übrig blieb der dunkle Kegel aus erstarrter Magma, der schon vor Jahrtausenden Menschen anzog, die hier siedelten.

Der Truppenübungsplatz kann mit jedem Nationalpark mithalten

In der Umgebung gibt es viel mehr zu entdecken: das Klosterdorf Speinshart etwa oder die Platte, ein knapp 900 Meter hoher Waldrücken und Ziel für einsame Wanderungen. Ein paar Kilometer im Süden liegt der Truppenübungsplatz Grafenwöhr. Dessen Tier- und Pflanzenwelt kann es mit jedem Nationalpark aufnehmen: Wölfe, Seeadler und mehrere Tausend Stück Rotwild leben hier. Der Truppenübungsplatz ist Sperrgebiet, geführte Touren für Gruppen können aber vom Kultur- und Militärmuseum der Stadt Grafenwöhr (09641/8501) organisiert werden.

Zum Übernachten bieten sich die zahlreichen Gasthöfe an, wobei die Hollerhöfe in Waldeck ein beispielhaftes Konzept verfolgen: Die Betreiber des Hotels haben in fünf alten Dorfhäusern stilvolle Apartments eingerichtet. Sie zeigen damit, dass Tourismus auch ohne die riesigen Wellnessburgen funktioniert. Wer unbedingt noch einen weißen Berg sehen möchte, der kann auf dem Rückweg in Hirschau am Monte Kaolino einen Stopp ein legen. Die 120 Meter hohe Abraumhalde aus Quarzsand ist das wahrscheinlich einzige Skigebiet, das im Winter schließt. Sebastian Beck

Das mittelalterliche Spalt - ein Ziel für alle Romantiker

Fragt man einen Oberbayern nach der mittelfränkischen Kleinstadt, wird dieser wahrscheinlich nur mit den Schultern zucken. Spalt kennen nur die wenigsten. Dabei ist die Stadt im Landkreis Roth etwa 40 Kilometer südlich von Nürnberg eine verkannte Schönheit. Kleine Gässchen, Kopfsteinpflaster und traditionelle Fachwerkhäuser erinnern an die Touristenhochburg Rothenburg ob der Tauber. Aber in Spalt ist es "ruhig und gemütlich", sagt Hans Rosenbauer, Vorstand des Heimatvereins Spalter Land.

Schlendert man durch die Straßen, über hölzerne Brücken, vorbei an gemauerten Türmchen und Erkern, so fallen immer wieder "halbe Häuser" auf. Verena Müller, Mitarbeiterin der Spalter Touristeninformation, erklärt, dass diese statt mit einer vierten Wand einfach direkt an die Stadtmauer gebaut wurden. "Spalt ist von der Struktur ganz anders als andere Städte", sagt Rosenbauer. Es sei nie im Krieg zerstört worden, daher gebe es immer noch die alte Bausubstanz.

Hochgiebelige Fachwerkhäuser, auf deren Dachböden früher Hopfen getrocknet wurde, bergen heute Museen oder Gasthöfe. Das Aktiv-Museum "HopfenBierGut" im alten Spalter Kornhaus ist zu empfehlen. Neben der 450 Jahre alten Brautradition und dem speziellen Spalter Hopfen, ist Spalt für die deutschlandweit einzige kommunalgeführte Brauerei bekannt.

Spalt gilt als Mittelpunkt des Fränkischen Seenlands. Seit dem Jahr 2000 sind fünf Seen aufgestaut, um Wasser über den Main-Donau-Kanal aus dem Süden in den Norden zu befördern. "Rund ein Fünftel des Wassers wird in unseren Seen gespeichert", sagt Rosenbauer. Der große Brombachsee ist der bekannteste und mit rund 1270 Hektar sogar größer als der Tegernsee. Und das ohne kilometerlange Staus bei der Anfahrt. Ein Schiff durchkreuzt das Gewässer täglich im Linienverkehr, mehrere Badestellen und Surfplätze laden zum Verweilen ein. Landschaftlich schöner, da unberührter, ist der angrenzende Igelsbachsee.

Entlang von Wiesen, Schilfgürteln und Biotopen lässt sich der See auf einem Spazierweg umrunden. Fernab der Gewässer lädt das Spalter Hügelland zum Wandern oder Mountainbiken ein. Rundwege führen zur Burg Wernfels, der Massendorfer Schlucht oder dem Schnittlinger Loch, eine durch Auswaschungen entstandene Felsschlucht. Die nahe gelegene Stadt Abenberg ist mit ihren malerischen, ja postkartentauglichen, Häuschen, Stadttoren und Weihern ebenfalls einen Besuch wert. Über der Stadt thront die Burg Abenberg, das Burgmuseum ermöglicht "eine Zeitreise durch Franken". Alena Specht

Kalchreuth begeistert mit seiner Lage und den Obstgärten

Eines muss Jörg Meisel, der Chef vom Roten Ochsen, gleich klarstellen. Tage, an denen in Kalchreuth verkehrsmäßig nichts mehr geht, die gibt es dort auch. Und insofern kennen sie im Kreis Erlangen-Höchstadt dieses spezielle Alpenrand-am-Wochenende-Gefühl durchaus. Gar so gut kennen sie es, dass sie ahnen, wie sie es auf Dauer lieber nicht haben mögen in Kalchreuth.

Wobei man einschränken muss: Jene Tage, an denen sich die Einwohner dreier Großstädte entscheiden, ihren Tag in einem 3000-Einwohner-Ort zu verbringen, die sind schon wichtig für Kalchreuth. Des Umsatzes wegen und weil sich dann alle Besucher daran erinnern, wie schön es in Kalchreuth ist - respektive sein könnte, wenn sich nicht gerade ein erheblicher Teil der etwa 800 000 Stadtbewohner aus den Kommunen Nürnberg, Fürth und Erlangen gleichzeitig im selben Ort aufhalten würde. Aber das sind ja immer nur einzelne Tage: zur Kirschkerwa etwa.

Diese Kirchweih erinnert daran, dass einmal König Maximilian II. samt Gemahlin Kalchreuth besucht haben sollen. Viel mehr als die Geschichte steht an diesen Tagen die Kirsche im Mittelpunkt, dargeboten in den ortsüblichen Darreichungsformen Kirschschnaps, Kirsch-Secco, Kirschmännla. Letzteres ist eine Art süßer Auflauf, sehr zu empfehlen. Die Rohstoffe dafür stammen aus den Streuobst-Gärten rund ums Dorf, auf mehrere Tausend Kirschbäume bringt es Kalchreuth.

Weil aber Kirschblüte und Kirschernte den Jahreskalender nur zu geringen Teilen füllen, muss man sich jene besonderen Tage (an denen es auch nicht anders zugeht als am Königssee) wie ein Treffen aller Kalchreuth-Anhänger vorstellen: Man trifft sich und tauscht sich aus, wie großartig dieser Ort ist, wenn all die anderen wieder fort sind. Also fast immer.

Was den Ort besonders macht und auch Dürer schon begeisterte? Es ist die Lage, auf einem Sattel gelegen. In Richtung Norden blickt man in die Fränkische Schweiz, in Richtung Süden scheint die Kaiserburg zum Greifen nahe zu sein. Von Erlangen sieht man ein paar Häuser, Fürth versteckt sich hinterm Wald. Im Grunde steht man mitten in einer der am dichtest besiedelten deutschen Regionen, hat aber nichts damit zu tun. Die Wege in den Obstgärten sind so vielfältig, dass man ständig andere bewandern kann.

Und die Gasthäuser - die Drei Linden, der Reif, der Ochse, um nur drei zu nennen - bieten fränkische Kost auf einem Niveau, das ahnen lässt, dass die Massen nur an etlichen Tagen wie von selbst ins Dorf einfallen (und die Küche sich ansonsten anstrengen muss). Gut übernachten kann man im Ochsen. Und nach Nürnberg zurück geht's mit der Gräfenbergbahn. Die Strecke ist alt, die Bahn zickt mitunter. Auch gut: Hat man wenigstens etwas, das einem den Blutdruck wieder nach oben treibt nach der Erholung im Kirschgarten. Olaf Przybilla

Rund um den Steinberger See: Kanada in der Oberpfalz

Ist das Kanada? Das Grün der Bäume, die Farbe der Seen, nur die Berge fehlen. Aber darum geht es ja gerade: um neue Reize für alpenfixierte Urlaubergehirne. Wer an bayerische Seen denkt, der denkt an den Tegernsee, an den Chiemsee, den Königssee, eben an Oberbayern. An die Oberpfalz denkt keiner, das Oberpfälzer Seenland kennt kaum einer. Das allein ist eigentlich schon ein guter Grund, in diesen unterschätzten Landstrich zu fahren.

Zum Beispiel nach Steinberg am See (Landkreis Schwandorf). Raus aus München, rauf auf die häufig verstopfte A 9, runter auf die meist freie A 93. Eine Autostunde noch, dann ist man angekommen. Am Parkplatz beim Steinberger See. Ein Ort, der jeden Tegernseetouristen misstrauisch machen muss: nur vier Euro für den Tagesparkschein, dazu freie Plätze. Lieber noch mal aufs das Schild schauen, lieber keinen Strafzettel riskieren. Aber tatsächlich: kein Privatgelände, kein Haken, ein ganz normaler Parkplatz. Also rein in dieses Seenland, das so viel erzählt über die Oberpfalz.

Bis in die Neunzigerjahre prägte der Braunkohlebau das Leben und die Landschaft zwischen Schwandorf, Schwarzenfeld und Wackersdorf. Wo vor drei Jahrzehnten eine Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll entstehen sollte, haben sich die Menschen die Natur längst zurückerobert. Erst durch den Protest, der die Anlage stoppte. Dann durch eine sanfte Renaturierung der Braunkohlegruben. Die Kohlekrater wurden mit Wasser geflutet - und die Industriewüste zu einer Seenlandschaft entwickelt, so schön, dass man froh ist, dass keine Berge den Blick in die Landschaft verstellen.

Der Steinberger See ist der größte im Oberpfälzer Seenland, knapp zwei Quadratkilometer. Neben all den anderen Seen gibt es unzählige Weiher und Teiche in dieser Gegend. Ein Radrundweg führt 122 Kilometer durchs Seenland, der Wanderweg um den Steinberger See ist knapp sieben Kilometer lang. Überall am Wegrand führen schmale Trampelpfade runter zu kleinen, abgeschotteten Schilfbuchten, wo das Wasser betulich ans Ufer schwappt.

Bessere Badeplätze kann man sich nicht vorstellen. Zumal selbst im Hochsommer fast immer eine Bucht frei ist. Was es hier noch alles gibt: Campingplätze, Segler, Surfer, dazu eine Wakeboard- und eine Wasserskianlage. Im Herbst wiederum empfiehlt sich eine Runde um den Knappensee. Die dauert zwar nur eine Stunde, ist aber wirklich eine Schau zu dieser Jahreszeit, Stichwort: Kanada. Es gibt Tage, da hat man den Uferweg, der durch Waldabschnitte führt, fast für sich allein.

Übernachten kann man in vielen Gasthöfen in der Nähe. Was man im Seenland zum Essen bestellen sollte? Auf jeden Fall den Fisch, der ähnlich unterschätzt ist wie seine Heimat: Oberpfälzer Karpfen, dazu eine Halbe Bier. Andreas Glas

Die Mainschleife lockt mit unvergleichlichem Flair

Frankens schönste Region? Da gibt's einige, die den Finger heben. Die Mainschleife bei Volkach aber - diese Mischung aus fast mediterranem Flair, Weingemütlichkeit und Kulturschönheit - dürfte in um Objektivität bemühten Rankings oben dabei sein. Am alten Main kann man erleben, wie elegisch dieser Strom mäanderte, bevor er zur Bundverkehrsstraße erkoren wurde.

Der Blick von den Steil- auf die Flachhänge ist postkartenschön, aber nutzt sich auf wundersame Weise nicht ab (liegt's am Wein?). Für das Seelenheil und die Kunst (Riemenschneider) ist in der Wallfahrtskirche gesorgt. Nostalgisch fortbewegen kann man sich mit dem "Säuferbähnle". Und gut nächtigen lässt sich's auf der Vogelsburg, in einem ehemaligen Kloster. Olaf Przybilla

Das Walberla, der mythische Berg der Franken

Steil abfallende Felsen, skurrile Steinformationen und eine kleine Kapelle: Steht man auf dem Gipfel des sagenumwobenen Walberlas bei Forchheim und lässt sich den Wind um die Nase pfeifen, eröffnen sich dem Betrachter das Regnitz-, Ehrenbach- und Wiesenttal. Erlangen und Bamberg sind am Horizont zu erkennen.

21 Dörfer gehören zum "Fränkischen Genießerland rund ums Walberla". Hier ist alles klein, lauschig und gemütlich, quasi hinter jeder Straßenbiegung wartet ein Fränkischer Gasthof - und als Hauptspeise das unvermeidliche Schäuferla mit Kloß. Bei der Verdauung hilft danach ein Obstschnaps aus der Region. Das Walberla ist ungefähr so fränkisch wie die Kampenwand oberbayerisch ist. Alena Specht

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Quelle:
SZ vom 25.10.2019/amm
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