Wenn Maya Scheel von ihrer Arbeit erzählt, klingt sie ehrlich begeistert. „Das Handwerk ist etwas unfassbar Schönes“, sagt die Maurergesellin am Telefon, „das möchte ich den Leuten zeigen.“ Und das macht sie. Die 22-Jährige lebt bei Bad Brückenau in Unterfranken, neben ihrer Arbeit am Bau ist sie Handwerks-Influencerin: Auf Instagram teilt sie Einblicke in ihren Berufsalltag, denen mehr als 4200 Menschen folgen. Scheel führt zum Beispiel vor, wie eine Rüttelplatte funktioniert – oder sie erklärt, warum mehr Frauen ins Handwerk gehen sollten. „Vielleicht nimmt das manchen Mädels die Angst, die ich damals gehabt habe“, sagt die 22-Jährige. Denn das Arbeiten am Bau habe gerade bei Frauen einen schlechten Ruf. Auch ihr sei davon abgeraten worden. Dass sie trotzdem Maurerin gelernt habe, sei aber „die beste Entscheidung“ überhaupt gewesen.
Wenn es nach Unternehmerinnen und Unternehmern ginge, dürften sich gerne mehr Menschen so wie Scheel für eine Berufsausbildung entscheiden. Längst ist der Fachkräftemangel ein Azubimangel. Mit dem September startet das neue Ausbildungsjahr, auch diesmal werden etliche Firmen ohne Lehrling bleiben. Laut den bayerischen Arbeitsagenturen kamen zuletzt auf 100 Ausbildungsstellen 63 Bewerberinnen und Bewerber. Um diese wenigen Köpfe wirbt die Wirtschaft zunehmend dort, wo das Personal von morgen ganz selbstverständlich unterwegs ist: im Netz.
So gesehen ist Scheel eine Art doppelt rare Spezies. Sie ist eine junge Fachkraft, wie sie auf vielen bayerischen Baustellen benötigt würde – und sie versteht es, ihre Arbeit öffentlichkeitswirksam darzustellen. Sie ist Teil der Kampagne „Macher gesucht!“, bei der junge Handwerkerinnen und Handwerker online von ihrem Job berichten. Aus Scheels Sicht ist Instagram perfekt, um andere Menschen zu erreichen: einfach, direkt, schnell. Abstand versucht sie hingegen von Hochglanzbildern zu halten, wie sie manche Unternehmen gerne produzieren. Stattdessen zeigt sie sich auch mal mit Schlammspritzern auf der Montur. „Dreckig sein gehört dazu“, sagt Scheel, „eine Baustelle ist dreckig.“ Dass die Leute dort „komplett geschminkt, komplett gestylt“ arbeiteten, das sei nicht die Realität. Sie wolle kein falsches Bild von ihrem Beruf vermitteln.
Richtige Bilder oder zumindest überzeugende wären aber nötig, da ist sich die Wirtschaft einig. Zwar sind die ersten Zahlen zum Ausbildungsstart durchaus positiv, im bayerischen Handwerk etwa sprechen sie von gut 3,5 Prozent mehr abgeschlossenen Ausbildungsverträgen als 2023; im Bereich der Industrie- und Handelskammern liegt das Plus bei einem Prozent. Trotzdem fehlen vielerorts Leute. Als besonders groß gilt die Not laut Handwerkstag unter anderem am Bau, im Lebensmittelhandwerk und im Verkauf. Außerdem suchten in den kommenden fünf Jahren rund 34 000 Firmen neue Chefinnen und Chefs. Als Hauptursache gilt der demografische Wandel, es rücken weniger junge Menschen aus den Schulen nach, als ältere in Rente gehen. Zugleich kann die Digitalisierung nicht überall in die Bresche springen. Bürotätigkeiten lassen sich zwar mitunter an Algorithmen auslagern. Aber Fliesen legen oder Menschen pflegen? Schwierig, noch zumindest. Da braucht es Hände und manchmal Herz.
Metzger haben einen Podcast, Floristen sind auf Youtube
Nachwuchsgewinnung lautet also das Stichwort, mehr und vor allem im Internet. Influencerinnen wie Scheel sind nur ein Ansatz. Das Metzgerhandwerk etwa hat vor ein paar Jahren einen Podcast ins Leben gerufen, Titel: „Jetzt gibt’s Beef!“ Die Zimmererinnung Rosenheim versammelt im Netz unter dem Slogan „Zunft schafft Zukunft“ Informationen zum Beruf. Und auf Youtube hat der Floristenverband kurze Clips hochgeladen, in denen Nachwuchskräfte ihren Arbeitsalltag schildern. Viele Unternehmen werben zudem online mit besonderen Vorzügen – vom internen Azubi-Programm bis zum Zugriff auf einen Firmenwagen.
Wie gut die Botschaft ankommt, ist die andere Frage. Einer Studie der Bertelsmann Stiftung zufolge reden Betriebe und Bewerber häufig aneinander vorbei. Demnach informieren gut 70 Prozent der Unternehmen auf Facebook über ihre Ausbildungsmöglichkeiten – doch junge Menschen finden sich in diesem Netzwerk kaum. Sie sind mehr auf Youtube, Instagram oder Tiktok aktiv. Ein weiteres Problem sind bisweilen die Firmen selbst. Wo Lehrlinge wenig Wertschätzung erfahren oder zu ausbildungsfernen Tätigkeiten abkommandiert werden, sinkt die Begeisterung, das zeigen Umfragen der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbunds.
Dabei kann ein schlechtes Wort über den Job manchmal mehr einreißen, als Imagekampagnen zuvor aufgebaut haben. Auch die Fachleute in den Verbänden und Kammern weisen darauf hin, wie wichtig digitales Marketing sei, um junge Menschen zu erreichen. Um sie zu überzeugen, seien trotzdem meist die Erfahrungen im Analogen entscheidend. Schulpraktika etwa gelten nach wie vor als wichtiger Teil der Nachwuchsgewinnung. Läuft das Reinschnuppern gut, steigt die Chance, später einen neuen Azubi begrüßen zu dürfen.
Scheel findet, viele Unternehmen könnten sich digital mehr trauen als bisher. „Wir haben 2024“, sagt sie, „man muss schon ein bisschen mit der Zeit gehen.“ Sie selbst wolle weiter fürs Handwerk Werbung machen: Sie erhalte so viele positive Rückmeldungen, das bestärke sie. Besonders freue es sie aber, dass in der Firma, für die sie arbeitet, nun zwei Frauen als Maurerinnen anfingen. Ob sie die inspiriert habe? Scheel sagt: „Ein bisschen vielleicht.“