Süddeutsche Zeitung

Archäologie:Augsburgs Römerendlager

Lesezeit: 4 min

Fachleute beklagen den Umgang der Stadt mit ihrem archäologischen Erbe. Das Dauer-Provisorium im Zeughaus sei ungeeignet, ein neues Museum noch immer nicht in Sicht.

Von Florian Fuchs

Zum Beispiel am Forggensee sind noch Überreste der Via Claudia Augusta zu sehen, wenn es der Wasserstand zulässt. Es ist eine der bekanntesten Römerstraßen in Deutschland, deren Verlauf in etwa nachvollziehbar ist und die das römische Mutterland über die Berge mit dem Alpenvorland verband: Über Füssen und Schongau führte sie nach Augusta Vindelicum, ins heutige Augsburg, und ein wenig nördlich darüber hinaus. Es gäbe einiges zu der Straße und ihrer Bedeutung für die Römerstadt Augsburg zu zeigen und zu sagen, aber die Sonderausstellung, die in dieser Woche im Römischen Museum startete, besteht nur aus ein paar Informationstafeln. Sie ist, wie Geschäftsleiter Manfred Hahn fast entschuldigend sagt, "etwa so groß wie zwei Wohnzimmer".

Hahn hat Platzprobleme, er kennt sich inzwischen damit aus, seit 2015 ist das Augsburger Römermuseum an seinem Interimsstandort in der toskanischen Säulenhalle im Zeughaus untergebracht. Das klingt schön, der Standort liegt auch sehr zentral, der Bedeutung des römischen Erbes Augsburgs wird er allerdings nach Ansicht von Fachleuten nicht gerecht. "Vieles, was wir haben, kann dort gar nicht ausgestellt werden", sagt Hahn. Als "schon ein bisschen traurig" empfindet es deshalb Salvatore Ortisi, Professor für provinzialrömische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wie in Augsburg mit dem römischen Erbe umgegangen wird.

Gemeinsam mit Kollegen von der Universität Augsburg hat er sich in einem Offenen Brief an Oberbürgermeister Kurt Gribl gewandt: Die Professoren für Geschichte und Archäologie kritisieren vehement die Pläne für ein neues Römisches Museum - und dass zeitnah keine vertretbare Lösung in Sicht sei. "Augsburg ist letztlich die einzige echte römische Stadt im süddeutschen Raum", sagt Ortisi, nur Städte wie Trier oder Mainz seien vergleichbar. "Es wird auch international wahrgenommen, was hier passiert."

Zunächst einmal passierte recht Unerfreuliches, im Jahr 2012 musste das Museum praktisch von einem Tag auf den anderen geschlossen werden, wegen der unsicheren Statik am damaligen Standort in der Dominikanerkirche. Das war ein herber Schlag, dem die Stadt mit dem Interimsstandort im Zeughaus begegnete, der allerdings wenig geeignet ist für eine sinnvolle Ausstellung. Auf 777 Quadratmetern ist dort nun die Sonderpräsentation zu sehen, deren Titel bezeichnend ist: "Römerlager. Das römische Augsburg in Kisten".

Das mit den Kisten ist kein Scherz, viele Stücke sind tatsächlich in großen weißen Kisten ausgestellt, die Besucher auf- und zuklappen können: Perlenhalsketten, Goldmünzen, Skalpelle und Pinzetten, bei Ausgrabungen in Augsburg gefunden. Die Säulen in der Ausstellungshalle, sagt Geschäftsführer Hahn, machten die Konzeption auch nicht leichter. Vieles könne nicht erklärt und in den notwendigen Kontext gestellt werden. Den provisorischen Charakter hat der Besucher also stets vor Augen, und das bei laut Hahn "einer der wichtigsten Sammlungen in Deutschland, was römische Antike betrifft". Gleich am Eingang des Interimstandorts steht eine Tafel: "Um unsere Sammlung dem Publikum zukünftig umfangreicher präsentieren zu können, streben wir ein neues Museum an".

An diesem Punkt nun entzündet sich der Ärger der Professoren. Die Stadt hat von Experten für alle städtischen Häuser ein übergreifendes Museumsentwicklungskonzept erstellen lassen. Die Idee für ein neues römisches Museum lautet dabei, es am alten Standort in der Dominikanerkirche unterzubringen. Allerdings, und das missfällt den Fachleuten, angegliedert an ein ebenfalls neues Ausstellungs- und Veranstaltungsforum, das als städtische Fläche für Wechselausstellungen und als Veranstaltungsfläche angedacht ist. Damit würde ein neues römisches Museum zu einer Unterabteilung degradiert, kritisieren die Professoren in ihrem Schreiben. Sie befürchten einen "erheblichen Qualitätsverlust" und dass das Museum aus dem Verbund der Kunstsammlungen herausgenommen und der Personalbestand reduziert werde. Am meisten stößt den Experten allerdings auf, dass "die Realisierung eines neuen Römischen Museums als solches in den Sternen steht".

Einen Zeitplan hat die Stadt tatsächlich nicht, sie müsste auch erst einmal die Finanzierung auf die Beine stellen. Untätigkeit will sie sich aber nicht vorwerfen lassen: Kulturreferent Thomas Weitzel betont, dass alleine die Renovierung der denkmalgeschützten Dominikanerkirche etwa elf Millionen Euro kosten werde. Momentan laufen die denkmalfachlichen Untersuchungen. Das geplante römische Museum, kündigt Weitzel an, verbleibe wie bisher eine eigenständige Institution mit einer eigenen Leitung, die der Kunstsammlung unterstellt sei. Überhaupt habe die Stadt für "die Bewahrung des römischen und archäologischen Erbes" erst 2017 ein neues Zentraldepot eröffnet, das erstmalig eine sachgerechte Lagerung und wissenschaftliche Erschließung der Augsburger Funde ermögliche - für 9,6 Millionen Euro.

Oberbürgermeister Kurt Gribl beschwichtigt, dass die Stadt Augsburg auch künftig darauf bedacht sei, sich "zu ihren römischen Wurzeln" zu bekennen. Die professorale Einschätzung habe sicher fachliches Gewicht, allerdings werde die größte Herausforderung darin bestehen, "das zur jeweiligen Zeit Leistbare und Machbare umzusetzen und dabei das Wünschenswerte nicht aus den Augen zu verlieren". Mit anderen Worten: Es ist alles eine Frage des Geldes im notorisch klammen Augsburg.

Mit dem Verweis aufs Geld haben die Professoren gerechnet, sie wenden sich deshalb auch an den Freistaat. Es sei schon klar, dass in den Naturwissenschaften andere Beträge kursierten, sagt Ortisi in Anspielung auf die jüngsten Investitionsansagen von Ministerpräsident Markus Söder. Aber "technischer Fortschritt ist nicht ohne kulturelles Bewusstsein möglich". Er sei deshalb optimistisch, dass auch die bayerische Regierung ein Interesse habe, den - was die Antike betrifft - international beachteten Standort Augsburg zu stützen. Aus dem Wissenschaftsministerium kommt jedoch nur die Antwort, dass Förderungen bei der Landesstelle für die nicht staatlichen Museen in Bayern oder durch den Kulturfonds Bayern beantragt werden können.

Die Forschungsarbeiten zum römischen Augsburg würden in nächster Zeit noch intensiviert, schreiben die Professoren in ihrem Brief. Unter anderem werden Geodaten früherer Grabungen im Stadtgebiet erfasst, auch ein neuer Band zum römischen Augsburg mit aktuellem Forschungsstand wird erstellt. Umso gravierender sei die Diskrepanz zwischen den großen Schätzen des römischen Augsburgs, und "der traurigen Realität sowie fehlenden Perspektive". Ortisi sagt, dass er die Stadt nicht versteht: "Eine stärkere Vermarktung des römischen Erbes hätte ja auch unter touristischen Gesichtspunkten großes Potenzial."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4646112
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.