Der TÜV Süd hat kategorisch zurückgewiesen, dass er der Staatsregierung ein Auftragsgutachten für eine Laufzeitverlängerung für das Atomkraftwerk Isar 2 und eine Wiederinbetriebnahme der zum Jahreswechsel abgeschalteten Anlage im schwäbischen Gundremmingen geliefert habe. "Wir verwahren uns strikt gegen Vorwürfe, die sich gegen die Neutralität unserer Position und gegen die Qualität unserer Arbeit richten", heißt es in einer Stellungnahme vom Montag. Das Umweltministerium, das die Aufsicht über die Atomkraftwerke in Bayern innehat, missbilligte die Vorwürfe ebenfalls. "Der TÜV Süd ist einer der renommiertesten und in Fragen der Kernkraft am besten vertrauten Experten, außerdem ist er bestens mit den bayerischen Kernkraftwerken vertraut", sagte ein Sprecher. "Einzig aus diesem Grund haben wir den Auftrag für das Gutachten an ihn gegeben." Es sei nicht ersichtlich, "woher sich die höhere Expertise einer Hamburger Rechtsanwaltskanzlei in der Kerntechnik ableitet". Die Bundesregierung dagegen bekräftigte, dass sie starke Zweifel an dem Gutachten habe.

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Zuvor hatte die Hamburger Kanzlei des früheren Greenpeace-Spitzenfunktionärs Michael Günther massive Kritik an dem TÜV-Papier geübt, das vom April 2022 datiert. Es handle sich um eine "schlampig argumentierende Auftragsarbeit" und könne "nicht als seriöse Bewertung anerkannt werden", heißt es in der Stellungnahme für die Umweltorganisation. Auch ergebe sich der Eindruck, der TÜV lasse geltendes Atomrecht außer Acht. Die Bewertung sei "offenbar für den Einsatz als Waffe in der aktuellen Diskussion um eine Laufzeitverlängerung in der politischen Arena bestimmt". Die offenkundig kurze Bearbeitungsdauer des TÜVs nähre ebenfalls den Verdacht, "dass hier ein Gefälligkeitsgutachten erstellt worden ist", schreiben die Anwälte.
Die Verbindung zwischen Staatsregierung und TÜV ist eng
Am Wochenende hatten bereits Ministerpräsident Markus Söder und CSU-Generalsekretär Martin Huber, die für eine Laufzeitverlängerung für das AKW Isar 2 bis 2024 eintreten, das Greenpeace-Papier scharf zurückgewiesen. "Ein von Greenpeace bezahlter Anwalt aus Hamburg will es besser wissen als der TÜV", sagte Söder. "Das muss man nicht weiter kommentieren." CSU-Generalsekretär Huber twitterte: "Greenpeace beauftragt Greenpeace - wirklich genial und natürlich total unabhängig und seriös."
Der TÜV Süd und die Atomkraft in Bayern sind eng miteinander verwoben. Schon für den Bau der ersten Reaktoren in Bayern, den Forschungsreaktor in München-Garching 1958 und das Versuchsatomkraftwerk im unterfränkischen Kahl am Main 1960 hatte die Staatsregierung den damaligen TÜV als Gutachter hinzugezogen. Die Zusammenarbeit hat sich offenkundig so bewährt, dass der Freistaat seither eine Vielzahl von Verträgen mit dem TÜV-Süd, darunter auch unbefristete Rahmenverträge, über die Aufsicht über den Bau und den Betrieb der Atomkraftwerke in Bayern abgeschlossen hat. So kann man es in einer Antwort der Staatsregierung auf die Anfrage des damaligen Oppositionsabgeordneten und jetzigen Umweltministers Thorsten Glauber (Freie Wähler) von 2016 nachlesen.
Die große Kompetenz des TÜV Süd, der in Spitzenzeiten bis 300 Atom-Spezialisten beschäftigte, sei nicht nur in Bayern gefragt gewesen, sondern auch in anderen Bundesländern, zum Beispiel in Hessen. Die Expertise ließ sich der Freistaat viel Geld kosten. Allein in den Jahren 1990 bis 2016 überwies er der Organisation 675 Millionen Euro für die Gutachter- und Überwachungstätigkeiten in den vier bayerischen Atomkraftwerken und im Forschungsreaktor Garching.
Glauber für längere Laufzeit
Schon in der Vergangenheit hatte es immer wieder Zweifel und Kritik an der Unabhängigkeit des TÜV Süd gegeben. In seinem aktuellen Gutachten für die Staatsregierung kommt die Organisation zu dem Ergebnis, dass ein Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Isar 2 und sogar eine Wiederinbetriebnahme des Reaktors in Gundremmingen aus technischer und sicherheitstechnischer Sicht möglich seien. Auf Basis dieses Gutachtens hat der Freistaat seine Bundesratsinitiative für die Laufzeitverlängerung gestartet. Die Bundesregierung hegt weiter massive Zweifel an dem Gutachten. "Diese drei Seiten entsprechen nicht den Maßstäben gutachterlicher Arbeit" erklärte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums erst wieder am Montag. "Das ist keine belastbare Grundlage aus unserer Sicht." Man habe die Kollegen in Bayern bereits vor Wochen darauf hingewiesen, dass wir die "dortige Sichtweise nicht im Einklang mit höchstrichterlicher Rechtsprechung sehen und den bisherigen Maßstäben der AKW-Sicherheit in Deutschland".
Umweltminister Glauber hingegen, der lange Atomkraft-Kritiker war, hat sich Söders Sicht zu eigen gemacht. "Wir müssen uns in der jetzigen Krise alle Chancen zur Stromerzeugung offen halten", sagte er. "Verantwortung übernehmen heißt, die Restenergie in den Kernkraftwerken für Bürger und Wirtschaft zu nutzen." Die drohende Notlage bei der Gas- und damit auch der Stromversorgung mache eine befristete Verlängerung der Laufzeiten um wenige Jahre nötig. "Grundsätzlich gilt: Die Sicherheit von Mensch und Umwelt hat beim Betrieb der bayerischen Kernkraftwerke oberste Priorität", sagt Glauber. "Es gibt keinen Sicherheitsrabatt bis zum letzten Tag."