Asylpolitik in Bayern:Kritik an Abschiebeversuch von Herzkrankem

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Geparkte Lufthansa-Maschinen auf dem Flughafen München, dem zweitgrößten Drehkreuz der Airline nach Frankfurt. (Foto: Marco Einfeldt)

Der Bayerische Flüchtlingsrat verurteilt die geplante Rückführung eines 62-Jährigen nach Armenien. Der Mann musste am Flughafen wegen Schmerzen in der Brust notärztlich versorgt werden.

Von Dietrich Mittler, München

In Bayern sind jüngst in mehreren Fällen auch schwer kranke Senioren nach Armenien abgeschoben worden, darunter nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrates ein 81-jähriger herzkranker Witwer, bei dem der Verdacht der Demenz im Raum steht. Bei einem weiteren dieser Senioren wurde die Abschiebung nur deshalb abgebrochen, weil er nach Aussage seines Nürnberger Rechtsanwaltes Ilja Hecht von einem Rettungsteam ins Münchner Herzzentrum gebracht werden musste. Der Süddeutschen Zeitung liegt seitens des Herzzentrums eine Bestätigung vor, dass sich dieser Patient "wegen eines herzchirurgischen Eingriffs seit dem 24.02.2021 bis auf Weiteres in unserer stationären Behandlung" befindet.

Dass der 62-Jährige, der sich aufgrund weiterer Erkrankungen nur mit einem Rollator fortbewegen kann, noch rechtzeitig "notoperiert" werden konnte, so der Flüchtlingsrat, verdanke er letztlich seiner Frau, die auf seine brennenden Schmerzen in der Brust aufmerksam geworden war und laut um Hilfe rief. Ein Arzt habe dann, so Rechtsanwalt Hecht, zunächst die mitgeführten Medikamente geprüft, die der Mann täglich einzunehmen hat. Sodann habe er auf ihn einwirken wollen, sein blutdrucksenkendes Mittel einzunehmen. "Das hat mein Mandant aber mit dem Hinweis verweigert, dass ihm dieses Mittel in seinem Zustand nicht mehr helfen könne", sagt Hecht. Schließlich sei dann doch ein Notarzt gerufen worden.

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Auf Anfrage teilte das Landesamt für Asyl und Rückführungen mit, es könne "weder bestätigt noch verneint werden", dass am Flughafen München eine Person "einen Herzinfarkt erlitt und aufgrund dessen notoperiert wurde" - allein schon "zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte" und datenschutzrechtlicher Bestimmungen. Im angesprochenen Fall, so bestätigte die Behörde indes, sei die Abschiebung abgebrochen worden. Und: "Vorher wurden von der betroffenen Person geeignete Medikamente zur Behandlung der Symptome abgelehnt."

"Das ist absoluter Quatsch", kommentierte Anwalt Hecht am Donnerstag diese Aussage. Sein Mandant habe den Arzt vielmehr darauf hingewiesen, dass er in seinem Zustand "mit brennenden Schmerzen in der Herzgegend" ein Notfallmedikament brauche und nicht die Mittel, die er täglich einnehme.

Auch bezüglich der weiteren Senioren, die trotz ihrer Beschwerden nach Armenien abgeschoben wurden, sieht das Landesamt für Asyl und Rückführungen keinen Anlass zur Kritik: "Grundsätzlich waren alle Rückzuführenden bei der Abholung sowie während des Transports zum Flughafen in stabilem Zustand und nach Beurteilung durch medizinisches Personal reise- beziehungsweise flugtauglich", heißt es in der Stellungnahme.

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In mehreren Fällen seien vorgebrachte medizinische Diagnosen vom Verwaltungsgericht Ansbach geprüft worden. "Hierbei wurde festgestellt, dass die Erkrankungen keine Abschiebehindernisse darstellen", so betonte ein Sprecher der Behörde. Ausreisepflichtige Ausländer hätten "durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung" glaubhaft zu machen, dass ihre Erkrankung "die Abschiebung beeinträchtigen kann".

Genau hier aber hat der Gesetzgeber durch seit Jahren geltende Änderungen im Aufenthaltsgesetz hohe Hürden gesetzt - "zur Beschleunigung der Abschiebungen", wie Jürgen Soyer, der Geschäftsführer von Refugio München, erklärt. Die strengen Vorgaben für ärztliche Atteste seien, so Soyer, "ein Riesenproblem". "Sobald eines dieser Kriterien nicht erfüllt ist, können die Behörden das einfach vom Tisch wischen", sagt er.

Rechtsanwalt Hecht kennt diese Problematik nur zu gut. "Ärzte sind keine Juristen und verstehen häufig nicht alles, was der Gesetzgeber da von ihnen verlangt, damit ihr Attest den formellen Anforderungen genügt", sagt er. Anders als der Refugio-Geschäftsführer Soyer betont Hecht aber auch: "Damit ist jedoch aus meiner Sicht nicht das Ende der Fahnenstange erreicht." Verwaltungsgerichte hätten sehr wohl durch ihre Entscheidungen deutlich gemacht, dass die Ausländerbehörden nicht automatisch davon ausgehen könnten, dass kein Fall von Reiseunfähigkeit vorliegt - nur weil im Attest formale Kriterien nicht erfüllt sind.

Was er aber in anderen Fällen durchaus schon erlebt habe, sei, dass die Behörden andere Ärzte mit der Prüfung des Falls beauftragt hätten. "Und das geschah dann anhand der aus Behördensicht nicht formell korrekten Atteste - und ohne meine Mandanten überhaupt gesehen zu haben."

© SZ vom 05.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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