Auerhühner zählen zu den seltensten heimischen Tieren, selbst Jäger und Förster bekommen die mächtigen Hühnervögel kaum zu Gesicht. Am ehesten hat man noch eine Chance in der Balzzeit zwischen März und Mai. Denn dann sind die Auerhähne so im Hormonrausch, dass sie alles um sich herum vergessen und sogar die Scheu vor Menschen verlieren. In den Tölzer Bergen oberhalb der Lenggrieser Hütte zum Beispiel hat vor zwei Jahren ein Auerhahn, den die Hüttenwirtin alsbald Franz-Josef getauft hat, regelmäßig Wanderer attackiert, die ihm versehentlich zu nahe gekommen sind.
"Aber außerhalb der Balzzeit ist es schon ein extremer Glücksfall, wenn man mal einen Auerhahn oder eine Henne auffliegen sieht", sagt Martin Lauterbach. Er muss es wissen. Der Forstingenieur und Vogelkundler verantwortet das bayernweite Auerhuhn-Monitoring der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) in München-Freising.
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Ziel von Lauterbach und seinen Mitarbeitern ist es, die winzige Auerhuhn-Population im Freistaat zu erhalten. Bayernweit dürfte es allenfalls noch 600 bis 900 Brutpaare geben. Auf der Roten Liste ist Tetrao urogallus, wie der wissenschaftliche Name der Art lautet, längst als vom Aussterben bedroht eingestuft. Dabei haben sich die EU-Staaten und damit auch der Freistaat schon vor Jahren auf den Erhalt der Auerhuhn-Population verpflichtet - vor allem indem sie deren Lebensräume unter besonderen Schutz stellen. Das Monitoring, das erst im vergangenen Herbst gestartet worden ist, soll hierfür die Basis liefern. In seinem Rahmen haben Lauterbach und seine Kollegen mit Jägern, Naturpark-Rangern, Vogelkundlern und anderen Helfern mehr als 2600 Flächen in den potenziellen Auerhuhn-Lebensräumen in den bayerischen Bergen, im Bayerischen Wald und im Fichtelgebirge nach Federn, Kot oder anderen Nachweisen abgesucht.
Die Population im Fichtelgebirge ist am Verschwinden
Dieser Tage hat die LWF erste Ergebnisse des Monitorings präsentiert. Die gute Nachricht: In den oberbayerischen und in den Allgäuer Bergen, aber auch im Bayerischen Wald sind offenkundig viele Auerhuhn-Reviere besetzt. Aber es gibt auch eine schlechte Nachricht: Im Fichtelgebirge gab es bei dem Monitoring nur zwei Zufallsnachweise. "Die kleine Population dort ist offenbar am Verschwinden", sagt Lauterbach, "und zwar trotz aller Bemühungen der vergangenen Jahre um sie." Genauere Angaben, etwa zur Zahl der Auerhühner in Bayern oder gar den jeweiligen Regionen, kann Lauterbach nicht machen. Dabei hatten viele Vogelfreunde gerade darauf gehofft. Denn die bisher genannten 600 bis 900 Brutpaare basieren auf Zählungen an Balzplätzen, und haben "allenfalls die Qualität von Schätzungen", wie Lauterbach selbst einräumt. Gleichwohl sind quantitative Erfassungen erst für spätere Zeitpunkte vorgesehen. Das Monitoring wird nämlich alle drei Jahre wiederholt.
Mit ihren befiederten Beinen zählen Auerhühner zu den Raufußhühnern. Außerdem sind sie die größten heimischen Hühnervögel. Und Männchen und Weibchen unterscheiden sich sehr stark voneinander. Die Hähne, die bis zu einem Meter groß und fünf Kilo schwer werden, sind etwa ein Drittel größer als die Hennen. Von Weitem sehen die Hähne fast schwarz aus. Aus der Nähe betrachtet sind sie jedoch überraschend vielfarbig. Das dunkle Gefieder am Schwanz und auf der Bauchunterseite weist weiße Einsprengsel auf. Die Flügel heben sich dunkelbraun vom Körper ab und die Brust schillert grünlich-blau. Am auffälligsten sind die sogenannten Rosen. Das sind die beiden leuchtend roten Hautpartien über den Augen, die in der Balzzeit markant anschwellen. Die Hennen sind unauffällig braun gestreift und damit hervorragend getarnt.
Insgesamt wirken Auerhühner eher plump. Wenn sie vom Boden oder aus einem Nadelbaum abheben, hört man ein lautes polterndes Geräusch. Höhepunkt des Auerhuhn-Jahres ist die Balz. Dazu suchen die Hähne ab März die Balzplätze auf. Es sind jedes Jahr die gleichen. Früh morgens stimmen sie dort noch von ihren Schlafbäumen aus ihren Balzgesang an. Er läuft immer gleich ab. Auf das "Knappen" folgt der Triller, dann der Hauptschlag und zum Schluss das "Wetzen". Letzteres erinnert an das Wetzen einer Sense. Später wechseln die Hähne auf den Boden und verteidigen dort einem Baumstumpf oder einen anderen kleinen Platz gegen die anderen Hähne. Die Hennen kommen Anfang Mai zu den Balzplätzen. Sie kümmern sich später alleine um die Brut und die Aufzucht der Jungen.
Auerhühner leben in ursprünglichen, lichten Mischwäldern mit einem hohen Anteil an Fichten, Tannen oder Kiefern, wie sie in Bayern nur in den Bergen und in den hohen Lagen des Bayerischen Waldes und des Fichtelgebirges vorkommen. Im Winter ernähren sie sich fast ausschließlich von Tannen-, Fichten- und Kiefernnadeln. Sobald im Frühjahr die Bäume austreiben, fressen sie die Triebe und Knospen von Buchen, aber auch von Lärchen. Den Sommer über ernähren sie sich von allen möglichen Beerenblättern, Kräutern, Blüten, Trieben und Gräsern. "Die Heidelbeere ist die Leibspeise der Auerhühner", sagt Lauterbach. "Im Herbst vertilgen sie Unmengen davon." Die Jungen wiederum fressen in den ersten Lebenswochen vor allem Ameisen und andere Insekten.
Auerhühner sind Verlierer des Klimawandels
Auerhühner reagieren sehr sensibel auf Störungen, etwa durch Wanderer oder Mountainbiker und im Winter durch Skifahrer. Werden sie einmal aufgescheucht, kann es durchaus passieren, dass sie die Stelle in Zukunft strikt meiden. Aus Gebieten mit hohem Freizeitdruck ziehen sie sich denn auch tendenziell zurück. Zugleich gelten sie als Verlierer des Klimawandels. Der Grund: Mit den steigenden Durchschnittstemperaturen gedeihen auch in den Bergwäldern die Buchen immer besser, der Anteil der Fichten, Tannen und Kiefern in ihnen nimmt tendenziell ab. Außerdem fühlen sich die Auerhühner nur in lichten Wäldern wohl. Buchenmischwälder sind ihnen schnell viel zu dicht. "Wenn wir etwas für die Auerhühner tun wollen, müssen wir in geeigneten Lebensräumen dafür sorgen, dass die jungen Buchen nicht überhand nehmen", sagt Lauterbach.
Bleibt die Frage, was aus dem Auerhahn Franz-Josef geworden ist, der vor zwei Jahren oberhalb der Lenggrieser Hütte so manchen Wanderer attackiert hat. Forstleute, Naturschützer und die Hüttenwirtin haben ihn in einer aufwendigen Aktion eingefangen und etwas weiter weg in einem abgelegenen Stück Bergwald wieder ausgesetzt. Sonst wäre nämlich nicht nur der Schrecken für die Wanderer zu groß geworden, sondern - eben wegen der Beliebtheit der Lenggrieser Hütte - vor allem der Stress für den Auerhahn. In seiner neuen Heimat soll sich Franz-Josef sofort wohlgefühlt haben. Zumindest haben das seinerzeit Augenzeugen der Umsiedlungsaktion berichtet. Und seither hat man nichts mehr von ihm gehört.