Für Sepp Glatz ist es ein Anfang. "Jetzt ist immerhin offiziell, dass wir unsere Rinder, Schafe und anderen Nutztiere auf den Almen nicht vor Angriffen von Wölfen schützen können", sagt der Landwirt aus Garmisch-Partenkirchen, der als Vorsitzender des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern gleichsam der oberste Almbauer im Freistaat ist. Seit Jahren wehren sich Glatz und seine Kollegen vehement dagegen, dass sich Wölfe in den bayerischen Bergen ansiedeln. Aus ihrer Sicht sind die Nutztiere auf den Almen den Raubtieren nämlich hilflos ausgeliefert. Die Rückkehr der Wölfe nach Bayern ist laut Glatz eine immense Gefahr für die Almwirtschaft. "Deshalb ist es ein Fortschritt, dass die Staatsregierung jetzt so gut wie alle Almen hier bei uns in Oberbayern und im Allgäu zu ,nicht zumutbar schützbaren Weidegebieten' erklärt hat", sagt Glatz.
Friedlich grasende Rinder, Schafe und bisweilen Ziegen auf steilen Bergwiesen, dazu Gebimmel von Kuhglocken und fesche Sennerinnen und Senner: So präsentiert sich die Almwirtschaft gerne, so lieben sie Ausflügler und Touristen und so wird sie von Politikern hochgehalten, allen voran von Ministerpräsident Markus Söder und Agrarministerin Michaela Kaniber (beide CSU). Tatsächlich ist die Almwirtschaft sehr bedeutsam für die Bergwelt. Ungefähr 1400 Almen und Alpen gibt es im Freistaat. Jedes Frühjahr werden Tausende Nutztiere auf sie hinaufgetrieben und verbringen den Sommer auf den oft steilen und felsigen Bergweiden. "Unsere Berglandschaft ist das Ergebnis der harten und unermüdlichen Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern", sagt Agrarministerin Kaniber gerne. "Ihre Tiere halten die Landschaft offen. Und die nutzen wir zur Erholung, Einheimische wie Gäste."
Die Rückkehr der Wölfe - so sehen das die Almbauern, die CSU und die FW - passt nicht in diese Welt. Denn Weidetiere sind eine leichte Beute. Deshalb wäre es ihnen am liebsten, wenn die Almen frei von Wölfen blieben. Glatz und andere Bauernfunktionäre fordern seit Jahren, dass die Staatsregierung die bayerischen Alpen zu "wolfsfreien Zonen" erklärt, in denen die Raubtiere abgeschossen werden dürfen, sowie sie Rinder, Schafe und andere Nutztiere angreifen. CSU und FW teilen die Forderung. "Der Wolf gehört hier nicht her", sagte Ministerpräsident Söder erst wieder in diesem Sommer bei einer Kundgebung der Almbauern. "Das ist nicht sein Lebensraum."
Doch so einfach ist die Sache nicht. Das haben Almbauern und Politiker lernen müssen. Wölfe sind streng geschützt. Sie dürfen nur in extremen Ausnahmen "entnommen werden", wie ihr Abschuss auf Amtsdeutsch heißt. Zum Beispiel, wenn eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben von Menschen besteht. Übergriffe auf Nutztiere reichen für die Genehmigung eines Abschusses nicht aus, vor allem nicht, wenn diese nicht gegen einen Wolf geschützt sind, zum Beispiel durch einen Zaun. Die Staatsregierung ist denn auch schon länger von ihrer Zusage abgerückt, "wolfsfreie Zonen" auszuweisen.
Landwirte sollen unbürokratisch entschädigt werden
Stattdessen haben Agrarministerin Michaela Kaniber und Umweltminister Thorsten Glauber (FW) ihre Fachbehörden jetzt in mühseliger Kleinarbeit "nicht zumutbar schützbare Weidegebiete" ermitteln lassen. Damit sind alle Almen gemeint, auf denen aus Sicht des Freistaats der Bau von Zäunen, Nachtpferchen, der Einsatz von Hirten und andere Schutzmaßnahmen gegen Wölfe mit so hohem finanziellen, technischen und personellen Aufwand verbunden sind, dass sie den Bauern nicht zugemutet werden können. Für sie gilt von sofort an, dass die Landwirte unbürokratisch entschädigt werden, wenn ein Wolf dort ihre Tiere angreift. Außerdem soll die Einstufung eine Hilfestellung für die Behörden sein, falls diese sich wieder einmal mit der Forderung nach Abschuss eines Wolfes befassen müssen.
Den Almbauern reicht das nicht aus. Zum einen sind ihnen die "nicht zumutbar schützbaren Weidegebiete" zu kleinteilig. "Wölfe sind sehr mobil", sagt Glatz. "Sie legen in einer Nacht 50, 60 oder noch mehr Kilometer zurück. Da kann es nicht sein, dass die eine Almweide als nicht zumutbar schützbar eingestuft ist und die Nachbarweide nicht." Außerdem müssten die Talregionen in das Regelwerk aufgenommen werden. "Und vor allem muss die Staatsregierung endlich rechtssichere Entnahmen von Wölfen ermöglichen", sagt Glatz.
Nicht dass sich wieder der Fall des Traunsteiner Wolfs vom Jahreswechsel 2021/2022 wiederholt. Da hatte die Regierung von Oberbayern einen Wolf zum Abschuss freigegeben, der in der Region Traunstein nächtens Schafe gerissen hatte, die schutzlos auf den Weiden standen. Der Rechtsstreit um die Abschusserlaubnis war noch nicht entschieden, als sich herausstellte, dass der Wolf längst die Region verlassen und in Tschechien überfahren worden war.