Umweltpolitik:Experten zweifeln Artenschutz-Erfolge der Staatsregierung an

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Mit dem Plakat „Eine kleine Biene bewegt einen großen Hintern!“ hat die ÖDP den Erfolg ihres Volksbegehrens „Artenvielfalt – Rettet die Bienen“ immer wieder in der Öffentlichkeit in Erinnerung gebracht. (Foto: ÖDP)

Zum fünften Jahrestag des sogenannten Bienen-Volksbegehrens zeigt eine wissenschaftliche Auswertung der bayerischen Artenschutzmaßnahmen, dass es an der Umsetzung des Naturschutzgesetzes weiterhin hapert. Beispiele sind Öko-Landwirtschaft, Biotopverbund und Einsatz von Pestiziden.

Von Christian Sebald

In diesen Tagen ist es exakt fünf Jahre her, dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit seiner Staatsregierung und der Landtag das Volksbegehren „Artenvielfalt – Rettet die Bienen“ in das bayerische Naturschutzgesetz überführt und sogar noch einige zusätzliche Ziele und Projekte aufgenommen haben. Seither rühmen Umweltminister Thorsten Glauber (FW) und Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) im Vorfeld eines jeden Jahrestags der Initiative, dass der Freistaat Spitze sei in Sachen Artenschutz. Als Beleg führen sie die vielen Einzelmaßnahmen und Millionen Euro an, die Bayern seit 2019 in den Artenschutz investiert. Das Bienen-Volksbegehren 2018/2019, wie es zumeist kurz genannt wird, war mit 1,7 Millionen Unterstützern oder 18,3 Prozent der Stimmberechtigten das erfolgreichste Volksbegehren Bayerns.

Das Monitoring all der neuen Artenschutzmaßnahmen, das Roman Lenz, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen, und seine Mitarbeiter jedes Jahr für die Initiatoren des Volksbegehrens um die ÖDP-Vorsitzende Agnes Becker anfertigt, kommt freilich regelmäßig zu einem anderen Urteil als Minister Glauber und seine Kollegin Kaniber. Lenz hat 32 Indikatoren entwickelt, um die Fortschritte bei der Umsetzung des Volksbegehrens messen und beurteilen zu können. Zu ihnen zählt der Ausbau der Öko-Landwirtschaft ebenso wie der Erhalt von Wiesen und Weiden, die Schaffung eines Biotopverbunds, die Gewässerrandstreifen und andere Forderungen des Volksbegehrens, die alle seit 2019 per Naturschutzgesetz Gesetzeskraft haben.

Zum fünften Jahrestag der Initiative hat Lenz jetzt erstmals alle seine 32 Indikatoren ausgewertet. Das Ergebnis fällt erneut ernüchternd aus. „Nur neun Indikatoren sind im grünen Bereich“, sagte er bei der Präsentation im Landtag. „Sechs sind im gelben und sechs im roten Bereich.“ Grün bedeutet, dass das Ziel erreicht wird. Bei Gelb wird es größtenteils erreicht, bei Rot wird es verfehlt. Als Paradebeispiel für Letzteres gilt der Ausbau der Öko-Landwirtschaft. Die Staatsregierung hat sich dafür bis 2030 eine Quote von 30 Prozent vorgenommen. Seit geraumer Zeit stagniert der Anteil aber bei 13 Prozent. Außerdem gibt es etliche Ziele, bei denen sich Lenz keine Bewertung zutraut, weil ihm trotz aller Nachforschungen die Daten fehlen. Außerdem machte Lenz darauf aufmerksam, dass bei einer Reihe von Indikatoren zwar das quantitative Ziel erreicht wurde, aber eine qualitative Bewertung nicht möglich war.

Als Beispiel nannte Lenz den Biotopverbund, der bis 2023 zehn Prozent des bayerischen Offenlandes, also des freien Lands außerhalb der Wälder, umfassen sollte. Die Quote ist laut Umweltminister Glauber bereits etwas überschritten. „Bei dem Verbund kommt es aber nicht nur auf die Menge der Flächen an“, sagte Lenz. „Sondern ganz entscheidend auch auf ihre Qualität.“ Und da liegt offenbar einiges im Argen. Aus Sicht von Lenz ist ein großer Teil der Kartierungen, auf deren Basis der inzwischen erreichte Biotopverbund errechnet wurde, so veraltet, dass man nicht seriös beurteilen kann, ob die Flächen in ihm überhaupt für die Förderung der Artenvielfalt taugen.

„Gerade beim Ausbau des Ökolandbaus herrscht eine atemberaubende Ambitionslosigkeit“

Ganz ähnlich ist es bei dem Ziel, den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft bis 2028 zu halbieren. Der aktuelle Bericht von Agrarministerin Kaniber weist für 2022 immerhin ein Minus von 19 Prozent gegenüber dem Mittel der Jahre 2014 bis 2018 aus. Damit herrscht zwar noch eine große Lücke bis zu dem 50-Prozent-Ziel bis 2028. Aber rechnerisch könnte es durchaus noch erreicht werden, sagt Lenz. Aus Sicht des Artenschutzes müssten nach seiner Überzeugung aber zwei weitere Punkte in das Pestizid-Ziel einfließen: die Giftigkeit der jeweiligen Stoffe, zwischen denen es große Unterschiede gibt, und die Gesamtfläche, auf der sie eingesetzt werden. „Für beides fehlen aber die Daten“, sagt Lenz. „Das macht es schwer, den Erfolg der Maßnahme für die Artenvielfalt zu beurteilen.“

Unter der ÖDP-Chefin Becker und ihren Mitstreitern beim Bienen-Volksbegehren herrschte denn auch Einigkeit. „Gerade beim Ausbau des Ökolandbaus herrscht eine atemberaubende Ambitionslosigkeit“, sagte Becker. Der Vorsitzende des Landesbunds für Vogelschutz, Norbert Schäffer, betonte: „Was zählt ist, ob es schlussendlich in unserer Landschaft wieder mehr Arten gibt.“ Darüber könne man aber auch wegen der schlechten Datenlage noch keine Auskunft geben. Nach wie vor seien mehr als die Hälfte der heimischen Arten gefährdet.

Auch der Grünen-Politiker und Vize-Präsident des Landtags, Ludwig Hartmann, ging hart mit der Staatsregierung ins Gericht. „Die Artenvielfalt im Freistaat wird nicht durch Schönrechnerei gerettet“, sagte Hartmann. „70 Prozent der Maßnahmen sind bisher nur unzureichend umgesetzt oder können wegen mangelnder Daten nicht bewertet werden.“ Außerdem müssten die Maßnahmen unterschiedlich stark gewichtet werden. Hartmann: „Für die Artenvielfalt ist ein echter Biotopverbund sehr viel wertvoller als die Herausgabe einer Broschüre über die ökologische Gestaltung von Grundstücken.“

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