Regen und herbstlich kühl - die Wetteraussichten für Lichtenfels in Oberfranken klingen ziemlich mies in den nächsten Tagen. Oder anders ausgedrückt: Die Heizperiode beginnt. Auf Beate Ehl, die Leiterin der Caritas-Beratungsstelle, wird viel Arbeit zukommen, zwar nicht sofort, weil die meisten Nebenkostenabrechnungen noch nicht verschickt worden sind. Doch es braut sich was zusammen, das spürt auch sie, wenn sie die Stimmung ihrer Klientel beschreibt: "Die meisten sitzen da wie das Kaninchen vor der Schlange. Sie haben diffuse Angst und wissen überhaupt nicht, wie sie das bezahlen sollen."
Mit jedem Grad Celsius, den das Thermometer fällt, rückt ein Problem weiter in den Vordergrund, das in den Wintermonaten die Menschen in Bayern so stark beschäftigten wird wie zuvor nur die Corona-Pandemie: Hunderttausende werden aller Voraussicht nach ihre Strom-, Öl- und Gasrechnungen nicht mehr bezahlen können. Die 300 Euro Pauschale vom Staat reichten vielleicht einen Monat lang, schätzt Ehl. Denn ausgerechnet die sozial Schwachen wohnten oft in Häusern, die so schlecht gedämmt seien wie ein Zelt. Und dann? Das weiß sie auch nicht. Jobcenter und Sozialämter hätten noch keinerlei Vorgaben bekommen, ob und wie viel von den horrenden Energiekosten übernommen würden.
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In Lichtenfels trifft die heranziehende Krise auf eine Bevölkerung, die ohnehin immer schon aufs Geld schauen muss, erst recht, seitdem die Lebensmittelpreise gestiegen sind. "Unser Kunden jammern stark, dass sie sich das Essen nicht mehr leisten können", sagt Ehl. Die Zahl der Bedürftigen, die sich einmal wöchentlich an der Tafel von Lichtenfels für Brot oder Gemüse anstellen, ist von 90 auf 160 gewachsen. Doch wegen der Inflation kalkulieren Supermärkte und Bäckereien immer genauer - für die Armen bleibt weniger übrig. Die Existenznöte, beobachtet Ehl, reichten inzwischen aber weit in die Mittelschicht hinein. Es erwische nun auch Handwerker, die bisher gut leben konnten von ihrem Beruf.
Politik und Sozialverbände in Bayern wirken angesichts der Entwicklung alarmiert und ratlos. Ulrike Mascher, die Landesvorsitzende des VdK, beobachtet ähnlich wie Caritas-Beraterin Ehl, dass Angst und Unsicherheit herrschen - besonders unter Rentnerinnen: "Es gibt Frauen, die ohnehin schon gespart haben, früh das Licht ausmachen und ins Bett gehen, damit sie weniger Energie verbrauchen." Wo sollen sie noch weiter sparen? Mascher kann hier auch nicht helfen. Die Lage sei undurchsichtig: "Man kann keinen guten Rat geben, weil man nicht weiß, was man raten soll." Auf alle Fälle müsse die Politik dafür sorgen, dass zumindest niemandem im Winter Strom und Gas abgestellt würden.
Ein solche Garantie kann aber auch Bayerns Städtetagspräsident Markus Pannermayr (CSU) nicht geben. Der Oberbürgermeister von Straubing berichtet, dass die Stadtwerke gerade eine Preiserhöhung von 61 Prozent für Gas vorgenommen haben - weitere Preissteigerungen sind ihm zufolge nicht ausgeschlossen. Ein Drittel der Kunden habe sich zu einer Erhöhung der Vorauszahlungen entschlossen, der Rest müsse sich auf eine saftige Nachzahlung gefasst machen. Pannermayr spricht sich dafür aus, für Strom und Gas schnell einen Preisdeckel festzulegen. Eine bestimmte Verbrauchsmenge pro Person könnte demnach zu einem günstigen Tarif bezogen werden. Die Stadtwerke müssten die Kosten dafür vom Bund ersetzt bekommen. "Entscheidend ist, dass man Klarheit hat, wie das gestemmt werden soll", sagt Pannermayr.
Mit einer Deckelung des Strom- und Gaspreises könnte sich auch Stefan Wolfshörndl, der Chef der Arbeiterwohlfahrt in Bayern, anfreunden. Das sei auf keinen Fall verkehrt, sagt er. Dennoch befürchtet er, dass die hohen Energiepreise im Winter zu einem gigantischen "Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Schuldnerberatungen" würden. Dass es zu den befürchteten Protesten kommen könnte, glaubt Wolfshörndl allerdings nicht. Er rechnet vielmehr damit, dass sich die Armen zurückziehen und den Glauben an die Gesellschaft verlieren.
Mit der Frage, wie die Bevölkerung ohne zu frieren und ohne Insolvenzen durch den Winter kommt, beschäftigt sich inzwischen auch die Staatsregierung. Bayerns Ministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Ulrike Scharf (CSU), kritisiert die von der Bundesregierung beschlossene Pauschale von 300 Euro als unzureichend. "Ich halte sehr wenig von der Einmalzahlung. Das wird uns nichts nützen", sagt sie. Scharf schlägt stattdessen vor, die Steuersätze für Geringverdiener zu senken - eine Forderung, die auch von Landescaritasdirektor Bernhard Piendl unterstützt wird. "Das ist das einfachste Instrument", sagt Piendl, der zugleich darauf verweist, dass die steigenden Energiekosten auch die Caritas belasten. Bei den Verhandlungen der Pflegesätze für Heime müsse das berücksichtigt werden.
Armut in Bayern:"Die Not ist groß, das lässt sich nicht mehr kaschieren"
Deutschland wird ärmer, sagt Vizekanzler Robert Habeck. Was das bedeutet, ahnen sie bei der Nürnberger Tafel schon länger - und es macht ihnen große Sorgen. Ein Besuch an der Armutsgrenze.
Eine Reform der Einkommensteuer liegt allerdings in der Zuständigkeit der Bundesregierung. Was aber könnte die Staatsregierung im Winter unternehmen? Müsste Ministerpräsident Markus Söder im Jahr der Landtagswahl zur Not auch ein eigenes Hilfsprogramm auflegen? Scharf lässt dies offen, kündigt aber an, dass man die Entwicklung "sehr genau" im Auge behalten werde. Es gehe auch darum zu schauen, dass die Menschen ihre Arbeitsplätze behalten könnten.
Ob sich die Energiekrise tatsächlich zu einer großen Sozial- und Wirtschaftskrise auswächst, das vermögen derzeit weder Politik noch Sozialverbände vorherzusagen. Straubings Oberbürgermeister Pannermayr warnt aber davor, man müsse inzwischen auch aufpassen, dass man den Menschen nicht jeden Tag Angst einjage. Schließlich gehe es jetzt um notwendige Veränderungen, auch auf dem Energiesektor. Dazu brauche es ein Grundvertrauen, dass die Zukunft gestaltbar sei.