Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft in Bayern:"Rückschritt ins 19. Jahrhundert"

Der Vorstoß von Arbeitsministerin Scharf, die täglichen Arbeitszeiten auf bis zu zwölf Stunden auszuweiten, stößt bei Gewerkschaften und Berufsverbänden auf Kritik.

Flexibler, aber auch länger arbeiten? Am Vorstoß von Bayerns Sozial- und Arbeitsministerin Ulrike Scharf (CSU), die täglichen Arbeitszeiten unter bestimmten Bedingungen auf bis zu zwölf Stunden auszuweiten, üben Gewerkschaften und Berufsverbände deutliche Kritik. Der Vorstoß sei "vollkommen unverständlich" und ein "Rückschritt ins 19 Jahrhundert", teilte etwa die Katholische Arbeitnehmerbewegung Bayern am Donnerstag mit. Die zulässige Höchstdauer auszudehnen, während besonders Frauen durch Arbeitsalltag, Kinderbetreuung und Angehörigenpflege belastet seien, "ist nicht gerade das, was ich von einer Frauenministerin erwartet hätte", sagte die Landesvorsitzende Regina Soremba-Böxkes. "Eine Erhöhung der täglichen Arbeitszeit ist kein geeignetes Mittel, um dem Fachkräftemangel zu begegnen."

Ähnlich äußerte sich die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten Bayern. Die Arbeitszeiten auszudehnen, werde das eigentliche Problem nicht lösen, sagte Landesbezirkssekretär Sebastian Wiedemann am Telefon. Viele Kolleginnen und Kollegen hätten während der Corona-Pandemie in andere Branchen gewechselt, um bessere Verdienste und geregeltere Arbeitszeiten zu haben. Neue Arbeitskräfte gewinne man daher nicht, "indem man die Gastronomie unattraktiver macht". Zwar gebe es durchaus einzelne, die gerne mehr arbeiten würden. Zu ihrem eigenen Schutz wie zu dem der Kollegen benötige man aber klare Arbeitszeitbegrenzungen. Die Tarifverträge sähen zudem bereits die Möglichkeit vor, Stunden auszuweiten - viele Arbeitgeber weigerten sich nur, diese auch anzuerkennen.

Laut Arbeitszeitgesetz gilt in Deutschland der Acht-Stunden-Tag, nur in Ausnahmen sind zehn Stunden maximal möglich. Hier flexibleres Arbeiten möglich zu machen, begründete Ministerin Scharf am Mittwoch unter anderem mit der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zwölf-Stunden-Schichten müssten aber freiwillig bleiben und den Arbeitnehmerschutz beachten. Wie das im Detail aussehe, müsse man nun mit allen Beteiligten besprechen. Daran wiederum zeigte sich jedoch auch die IG Metall Bayern wenig interessiert. "Geht's noch?", twitterte die Gewerkschaft. Für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf "braucht es nicht längere, sondern kürzere und selbstbestimmte Arbeitszeiten".

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