Jahresbilanz von RiasZahl antisemitischer Vorfälle in Bayern verdoppelt

Lesezeit: 2 Min.

Rechtsextremistische Schmierereien sind selbst an Gedenkstätten immer wieder zu sehen.
Rechtsextremistische Schmierereien sind selbst an Gedenkstätten immer wieder zu sehen. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sieht die Jahresbilanz der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus düster aus. Bayernweit stieg demnach die Zahl antisemitischer Vorfälle stark.

Nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 mit Hunderten getöteten Israelis und dem folgenden Gaza-Krieg mit zahlreichen zivilen palästinensischen Opfern ist die Zahl antisemitischer Vorfälle in Bayern stark gestiegen. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) Bayern dokumentiert in ihrem Jahresbericht für 2024 im Freistaat 1515 antisemitische Vorfälle – fast doppelt so viele wie 2023 (761 Fälle). In 80 Prozent aller Vorfälle habe es sich um israelbezogenen Antisemitismus gehandelt, erläutert Rias.

„2024 war ein einschneidendes Jahr. Wir haben so viele antisemitische Vorfälle wie nie zuvor dokumentieren müssen“, sagte Rias-Bayern-Leiterin Annette Seidel-Arpacı. „Neben dem Schock über die Massaker durch palästinensische Terrorgruppen und dem anhaltenden Schmerz über verschleppte und ermordete Geiseln, hat die massenhafte antisemitische Agitation auf den Straßen und im Netz seit dem 7. Oktober viele Jüdinnen und Juden auch in Bayern tief getroffen.“ Mangelnde Empathie habe viele weiter verunsichert.

SZ Bayern auf Whatsapp
:Nachrichten aus der Bayern-Redaktion – jetzt auf Whatsapp abonnieren

Von Aschaffenburg bis Berchtesgaden: Das Bayern-Team der SZ ist im gesamten Freistaat für Sie unterwegs. Hier entlang, wenn Sie Geschichten, News und Hintergründe direkt aufs Handy bekommen möchten.

Im vergangenen Jahr zeigte sich Antisemitismus laut Rias verstärkt auf Versammlungen. Die Institution dokumentierte 557 Versammlungen, auf denen es verbal oder schriftlich antisemitische Äußerungen gab. Somit ereigneten sich mehr als ein Drittel aller Vorfälle im Kontext von Versammlungen, von denen sich wiederum der Großteil gegen Israel richtete. Mit den Schüssen auf das israelische Generalkonsulat und das NS-Dokumentationszentrum in München am 5. September habe es im vergangenen Jahr einen Fall extremer Gewalt gegeben, erläuterte Rias weiter.

Die Zahl der Rias bekannt gewordenen körperlichen Angriffe stieg von acht auf 15, die der gezielten Sachbeschädigungen von 32 auf 50, und die der Massenzuschriften – also etwa Rundmails – von 24 auf 65. Die Zahl der Bedrohungen blieb mit rund 30 etwa auf Vorjahresniveau. Die allermeisten Vorfälle – insgesamt 1354 – seien als verletzendes Verhalten dokumentiert. Darunter zählt Rias zum Beispiel Direktnachrichten, E-Mails oder Versammlungen.

„Der 7. Oktober 2023 hat auch in Bayern und Deutschland den Alltag von Jüdinnen und Juden dramatisch belastet“, sagte der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle. Die Anzahl der antisemitischen Straftaten habe in Bayern 2024 bei der sehr hohen Zahl von rund 550 gelegen. „Dazu kommen Situationen und Erlebnisse, die Jüdinnen und Juden unterhalb der strafrechtsrelevanten Ebene machen müssen. Wir können dieser Entwicklung nicht tatenlos zuschauen, der wehrhafte Rechtsstaat ist zu handeln gefordert“, sagte Spaenle.

Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) äußerte sich erschüttert über die Zahlen. „Es ist nicht zu ertragen, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in Angst leben müssen und bedroht werden. Es entsetzt mich, wie tief verwurzelt der Antisemitismus ist und immer offener zutage tritt.“ Bayern werde die Jugend- und Präventionsarbeit gegen Antisemitismus stärken und Fachkräfte in ihrer pädagogischen Arbeit unterstützen.

Die Vorsitzende des Verbands jüdischer Studenten in Bayern (VJSB), Jessica Flaster, schilderte die Lage an den Hochschulen. „An bayerischen Universitäten herrscht seit dem 7. Oktober 2023 ein Klima der Angst, das ein unbeschwertes Studium unmöglich macht. Viele jüdische Studierende ziehen es vor, Online-Lernangebote zu nutzen oder ihre jüdische Identität auf dem Campus zu verbergen, da es einem Wagnis gleicht, als jüdisch erkennbar zu sein.“

Bayern habe ein Antisemitismus-Problem, das sei nicht zu beschönigen, kommentierte Cemal Bozoglu von den Landtags-Grünen die Zahlen. Der Schutz jüdischen Lebens und jüdischer Einrichtungen müsse höchste Priorität haben. „Der Kampf gegen den Antisemitismus sollte deshalb als Staatsziel in die bayerische Verfassung aufgenommen werden“, forderte er.

© SZ/DPA - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Autor Paul Maar über Demenz
:„Nele erkennt mich nicht mehr. Sie erkennt niemanden mehr“

Bei der Therapeutin und Buchautorin Nele Maar ist vor sechs Jahren Alzheimer diagnostiziert worden. Ein Gespräch mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Paul Maar, und ihrer Tochter, der Theaterleiterin Anne Maar, über einen langen Abschied voneinander.

SZ PlusInterview von Olaf Przybilla

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: