Süddeutsche Zeitung

Oberallgäu:Neues Nahverkehrs-Ticket für 100 Euro im Jahr

  • Das Oberallgäu will zum 1. April 2020 ein Nahverkehrsticket einführen, das einheitlich für alle Bus- und Bahnlinien im Landkreis gilt.
  • Es soll nur 100 Euro im Jahr kosten.
  • Allerdings gibt es Kritik von verschiedenen Seiten - und die größte Stadt im Landkreis ist auch nicht dabei.

Von Florian Fuchs, Kempten

"So etwas", sagt Oberallgäus Landrat Anton Klotz, "ist mir im gesamten süddeutschen Raum nicht bekannt." Das Oberallgäu, so hat es der Kreistag am Freitag einstimmig beschlossen, will zum 1. April 2020 ein Nahverkehrsticket einführen, das einheitlich für alle Bus- und Bahnlinien im Landkreis gilt - und nur 100 Euro im Jahr kostet. CSU-Landrat Klotz spricht von "einem gewaltigen Sprung" im bayerischen Personennahverkehr, auch Verkehrsminister Hans Reichhart (CSU) lobt den Vorstoß.

Es gibt aber ein gewaltiges Problem bei dem Pilotprojekt: Die größte Stadt des Oberallgäus, Kempten, macht nicht mit. Oberbürgermeister Thomas Kiechle (CSU) und auch der benachbarte Landkreis Ostallgäu wollen ein einheitliches, grenzüberschreitendes Tarifsystem schaffen - das Oberallgäuer 100-Euro-Ticket passt nicht in diese Pläne.

Nürnberg führt ein 365-Euro-Ticket für Schüler ein, der Freistaat will ähnliche Fahrkarten auch für andere Ballungsräume wie Augsburg oder Regensburg fördern. Der Landkreis Oberallgäu will mit seinem 100-Euro-Ticket für alle Passagiere nun einen Schritt weiter gehen. Laut einem Gutachten, erläutert Klotz, werden mit diesem Ticket 600 000 Fahrten pro Jahr hinzu kommen, bei insgesamt 787 Haltestellen im gesamten Landkreis: Das wäre eine Steigerung der Auslastung um 30 Prozent. Eine Million Euro koste es, dem Allgäuer Verkehrsvertrieb Mona die durch das 100-Euro-Ticket entstehenden Einnahmeausfälle im Busnetz zu kompensieren. Die Gespräche mit der Bahn laufen noch, insgesamt kalkuliert der Kreistag mit Kosten von etwa 1,5 Millionen Euro im Jahr. Für die Finanzierung will der Landkreis die Kreisumlage für die Gemeinden um einen Prozentpunkt anheben. "Das ist für unsere Bürger gut angelegtes Geld, die Resonanz ist positiv", sagt der Landrat.

Dies gilt allerdings nicht für Kempten, und weil die größte Stadt im Landkreis nicht mitmacht, ist unter anderem Ostallgäus Landrätin Marita Zinnecker (CSU) gespannt, "ob das 100-Euro-Ticket funktionieren wird". Zeitgleich zur Sitzung des Oberallgäuer Kreistags saß Zinnecker am Freitag zusammen mit Kemptens Oberbürgermeister Kiechle, anderen Landräten und Oberbürgermeistern sowie Verkehrsexperten aus der Region beim Tourismus- und Wirtschaftsverband Allgäu GmbH an einem Runden Tisch mit Verkehrsminister Reichhart. Tenor der Veranstaltung: Es braucht billigere, aber auch grenzübergreifende Tarifangebote, um Fahrgäste in den Nahverkehr zu locken.

"Jeder hat Partikularinteressen", sagte der Vorsitzende der Allgäu GmbH und CSU-Landtagsabgeordnete Klaus Holetschek, "aber wir brauchen einen gemeinsamen Masterplan." Man könne 100 Busse durch einen Ort schicken, sagte Reichhart, wenn aber das Ticket zu teuer sei, bleibe das Angebot unattraktiv - ebenso wenn es zu kompliziert sei. Langfristig brauche es einheitliche, grenzübergreifende Tarife, betonte auch er.

Kemptens OB Kiechle will sich genau deshalb nicht an dem 100-Euro-Ticket beteiligen. Der Streit zeigt, wie schwierig es bei den derzeitigen Diskussionen in Bayern um neue Nahverkehrs-Tickets ist, Tarifsysteme zu harmonisieren. Er habe Pendler, sagt Kiechle, die nicht nur ins Oberallgäu, sondern auch ins Ostallgäu fahren. Denen nütze ein begrenztes 100-Euro-Ticket nicht. Zudem habe er Probleme mit den Kosten: Kempten biete derzeit ein vom Freistaat gefördertes Schülerticket für 276 Euro pro Jahr. Das müsste Kempten dann auch auf einen Preis 100 Euro reduzieren, womit die Förderung vom Freistaat wegfalle. "Das wäre für uns nicht zu bezahlen", sagt Kiechle.

Grundsätzlich gehe der Vorstoß von Landrat Klotz in die richtige Richtung, der öffentliche Nahverkehr sei viel zu unübersichtlich. "Es ist aber der Zeitpunkt, der mich stört." Denn die Landkreise und kreisfreien Städte im Allgäu sind gemeinsam im Gespräch über ein grenzüberschreitendes Tarifangebot, etwa für 365 Euro im Jahr. Im März nächsten Jahres, sagt Kiechle, werde ein Gutachten vorliegen, dann könne man die Gespräche vertiefen. Kemptens Oberbürgermeister will die "große Lösung", die auch Ostallgäus Landrätin Zinnecker favorisiert.

Für Kemptens Problem mit den Schülertickets zeigt der Oberallgäuer Landrat Klotz Verständnis. Er glaubt aber, dass der 100-Euro-Tarif auch ohne Kempten funktioniert, weil die ländlichen Buslinien und auch die Bahnfahrten in die Stadt hinein und wieder hinaus trotzdem im Ticket enthalten seien. "Ich bin auch ein Freund der großen Lösung über die Landkreisgrenzen hinweg. Aber wenn das erst in zwei, drei Jahren kommt, dann geht mir das zu langsam", sagt Klotz.

Einig sind sich die Landräte und Oberbürgermeister, dass sich neben dem Tarif die Infrastruktur verbessern müsse - nicht nur, was Takt und Haltestellen anbelangt. Die Digitalisierung könne helfen, Ticketkäufe stark zu vereinfachen, was den Nahverkehr attraktiver mache. Gerade der ländliche Raum brauche bei solchen Vorhaben aber die Unterstützung des Freistaats, sagt unter anderem die Ostallgäuer Landrätin Zinnecker. "Die Förderungen dürfen nicht nur in die Zentren nach Augsburg oder München gehen." Die CSU-Politikerin legt das Ziel, grenzübergreifend zu arbeiten, ohnehin weit über das Allgäu hinaus aus. "Wirklich ideal wäre es, wenn wir irgendwann einmal eine bayernweite Lösung im Nahverkehr kriegen."

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SZ vom 11.11.2019/vewo
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