Aiwangers Regierungserklärung:70 Maßnahmen zur Energiewende - aber wenig Neues

Sitzung des bayerischen Landtags

Hubert Aiwanger hielt seine Regierungserklärung zur Energiepolitik ohne Manuskript - eine Seltenheit im Bayerischen Landtag.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)
  • Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat im Landtag seine erste Regierungserklärung zum Thema "Bayerisches Aktionsprogramm Energie" gehalten.
  • Mehr als 70 Maßnahmen sollen der Energiewende neuen Schwung geben, kündigt Aiwanger an.
  • Vieles von dem, was er in seiner Rede vorstellt, ist bekannt. Er setzt etwa auf noch mehr Sonnenenergie, 300 zusätzliche Windräder bis 2022 oder eine bessere Nutzung von Geothermie.

Von Wolfgang Wittl

Mitten in der Debatte stellt sich für Hubert Aiwanger ein ganz persönliches Energieproblem. Sein Handy muss dringend aufgeladen werden, doch weit und breit ist kein Kabel in Sicht. In der dritten Reihe des Plenarsaals wird er schließlich fündig. Aiwanger springt von der Regierungsbank auf, leiht sich von einer Abgeordneten ein Ladekabel aus, dann lauscht er weiter den Beiträgen der nächsten Redner. Ein Wirtschaftsminister mit leerem Handy, und das am Tag seiner ersten Regierungserklärung über die sichere Energieversorgung in Bayern: Das wäre dann doch etwas unangenehm gewesen.

Hubert Aiwanger ist ein Mann des verbalen Grenzbereichs: Er geht dahin, wo es weh tut - nicht nur ihm selbst. Als wortmächtiger Chef der Freien Wähler hat er die Staatsregierung jahrelang vor sich hergetrieben. Wie kaum ein anderer Oppositionspolitiker hat er alle Themen bespielt - ohne Manuskript in freier Rede, wie es sich im Landtag gehört und wie es trotzdem nur wenigen gelingt. Die Rolle des Generalisten hat er bis heute nicht abgelegt.

In Kabinettssitzungen spricht er über Uniformen von Polizisten oder Gülleverordnungen für Bauern. Am Mittwoch ist Aiwanger aber ausschließlich in seiner neuen Rolle als Wirtschaftsminister gefragt. Thema der Regierungserklärung: "Bayerisches Aktionsprogramm Energie". So gesehen ist dieser Auftritt auch ein Test: Schafft er den Wechsel ins Fach des Staatsmanns? Beschränkt er sich auf das Wesentliche?

Aiwanger beginnt seine Rede mit einem Versprechen: Nein, das Licht in Bayern werde nicht ausgehen. Auch wenn bald die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet werden: "Wir haben mehr Gaskraft in der Garage stehen, als wir Kernenergie vom Netz nehmen." Das reiche ihm aber natürlich nicht. Die Frage sei doch: "Wie halten wir das Licht zu einem vernünftigen Preis am Brennen?" Nur wenn es der Politik gelinge, die Bürger auf diesem Weg mitzunehmen, werde man vorwärts kommen, sagt Aiwanger. "Die Akzeptanz ist ein Schlüssel für mich."

Mehr als 70 Maßnahmen sollen der Energiewende neuen Schwung geben, kündigt Aiwanger an. Vieles von dem, was er in seiner Rede vorstellt, ist bekannt. Er setzt auf noch mehr Sonnenenergie, auf eine weitere Terawattstunde bei Wasserkraft und Biomasse, 300 zusätzliche Windräder bis 2022, eine bessere Nutzung von Geothermie, lieber auf tausend kleine Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung als drei große Gaskraftwerke, auf energetische Sanierung von Gebäuden sowie eine intensive Förderung für die Entwicklung neuer Technologien.

Selbst seine Lieblingsgegner verschont er weitgehend

Nach 25 Minuten wird auch Ministerpräsident Markus Söder hellhörig. Aiwanger kommt zum Bau von Stromtrassen, den er einst massiv bekämpft hat und den die CSU befürwortet. "Sind wir ehrlich", sagt Aiwanger: "Keiner will diese Trassen." Er hoffe, dass sich in den nächsten Jahren herausstelle, dass man auch ohne Trassen auskomme. Damit kann Söder vermutlich leben. Die Verträge mit dem Bund stellt Aiwanger nicht infrage.

Gut fünfzig Minuten spricht der Minister, auch seine Regierungserklärung hält er völlig frei. Eine Leistung, die auch die Opposition anerkennt, obwohl sich manches wiederholt. Drei Mal referiert Aiwanger über den Wert von Beratungsstellen und Photovoltaik ("unser Flaggschiff"), vier Mal dankt er dem Regierungspartner. Für Aiwangers Verhältnisse ist es eine versöhnliche Rede, selbst seine Lieblingsgegner von den Grünen verschont er weitgehend.

Die Konkurrenz zeigt sich weniger gnädig. Einen Ritt durch alle Themen habe Aiwanger hingelegt, sagt Martin Stümpfig von den Grünen, "aber wir wissen nachher so viel wie zuvor". Ein Jahr sei der Minister im Amt - "und wir sind von einem Konzept weiter entfernt als je zuvor". Bayern brauche endlich eine Energiewende, kritisiert Stümpfig, doch nichts gehe voran. Nur mit mehr Windrädern sei sie zu schaffen.

Stromlücke

Seit Franz Josef Strauß war es das Dogma jeder Staatsregierung, dass Bayern so viel Strom produzieren muss wie es verbraucht. Das ist vorbei: Die Stromlücke - also die Differenz zwischen Produktion und Verbrauch - klafft immer weiter auseinander, weil die bayerischen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Das zeigen Daten des Statistischen Landesamts. Zwischen 2017 und 2018 sank die bayerische Stromproduktion von 84,7 Milliarden Kilowattstunden auf 73,9 Milliarden Kilowattstunden, ein Minus von 12,8 Prozent. Hauptgrund ist die Stilllegung von Block B im Atomkraftwerk Gundremmingen zum 31. Dezember 2017. Außerdem war 2018 ein Dürrejahr: Die Wasserkraftwerke lieferten deshalb knapp 1,5 Milliarden Kilowattstunden Strom weniger als 2017. cws

Der Vorwurf, Aiwanger fehle es an einem Konzept, zieht sich durch nahezu alle Beiträge der Opposition. "Wir haben viel über den Status quo gehört. Was wir nicht gehört haben, waren Neuerungen und der Weg, wie es weitergehen soll", kritisiert FDP-Fraktionschef Martin Hagen. Aiwangers Plan von einer Terawattstunde Strom mehr aus Biomasse sei "Unsinn", da zu teuer. Allein die Vermaisung des Landes werde dadurch gefördert. Ein Beispiel, dass Reden nicht unbedingt besser werden, wenn sie abgelesen anstatt frei gehalten werden, liefert der AfD-Abgeordnete Ferdinand Mang. Er beobachte in Bayern gerade das größte Desaster in der Geschichte der deutschen Energieversorgung.

Annette Karl (SPD) erinnert Aiwanger an zwei Lieblingsthemen aus seiner Oppositionszeit. Damals habe er vehement gegen die 10-H-Abstandsregelung der CSU gekämpft. Jetzt versuche er, "irgendwie damit umzugehen". Die Trassenpläne habe Aiwanger 2017 als "Wahnsinn" bezeichnet, jetzt behaupte er, "machtlos" zu sein. Genau da zeige sich das Problem, sagt Karl in Anlehnung an Konfuzius: "Wenn über das Grundsätzliche keine Einigung besteht, hat es keinen Sinn, einen Plan zu machen."

Sogar beim Koalitionspartner CSU blitzt in der vierstündigen Debatte bei allem Rückhalt zarte Kritik auf: Aiwanger hätte durchaus klarer sagen dürfen, dass Bayern Trassen brauche, findet Generalsekretär Markus Blume. Aiwangers Antwort: "Dafür hat die Zeit nicht mehr gereicht."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: