Süddeutsche Zeitung

Pandemie-Bekämpfung:Aiwangers Schnelltest-Flop

Bayerns Wirtschaftsminister hatte Ende 2020 ein "super Gerät" präsentiert. Gekauft hat die Regierung bislang ganze sechs Stück.

Von Klaus Ott und Johann Osel

Das Wundermittel im Kampf gegen die Pandemie, das Hubert Aiwanger Ende 2020 voller Stolz präsentierte, hieß GNA Octea. "Wir haben ein super Gerät entwickelt", verkündete der Wirtschaftsminister zwischen Weihnachten und Silvester zusammen mit der staatlich geförderten Medizintechnikfirma GNA Biosolutions.

Mit tragbaren Testapparaten lasse sich überall binnen 40 Minuten sehr gut feststellen, ob sich jemand mit dem Coronavirus infiziert habe. Aiwangers Motto: sicher, schnell, mobil und günstig - es handele sich um einen PCR-Test, dieser solle weniger als 20 Euro kosten. "Das macht uns so schnell keiner nach. Es ist ein bayerisches Qualitätsprodukt der Spitzenklasse." Aiwanger schwärmte gar vom "weltweit besten Corona-Schnelltest". Sein Ministerium hatte die Firma GNA beauftragt, Octea zu entwickeln - und das Projekt mit acht Millionen Euro gefördert.

Gute acht Monate später ist von der Verheißung des Ministers und Freie-Wähler-Chefs nicht viel übrig geblieben. Das von Klaus Holetschek (CSU) geleitete Gesundheitsministerium hat Ende 2020 ganze sechs Geräte der Marke Octea samt 60 000 Testmöglichkeiten gekauft, und dabei ist es bislang geblieben. "Weitere Beschaffungen erfolgten nicht und sind derzeit nicht geplant", antwortete Holetschek kürzlich auf eine Landtagsanfrage der Abgeordneten Ruth Waldmann (SPD).

"Die weltbesten Tests sind offenbar ein grandioser Flop. Bislang hatten sie nur den einen Effekt, dass sich Aiwanger und Holetschek furchtbar wichtig gemacht und ungelegte Eier begackert haben", lautet Waldmanns Bilanz. "Ob und wie dieser bayerische PCR-Schnelltest in einer wirksamen Pandemiebekämpfung eingesetzt werden kann, war wohl von Anfang an unklar. Das lässt auch befürchten, dass diese Fördergelder womöglich auf gut Glück oder dank besserer Connections geflossen sind."

Sechs Geräte - das ist fast nichts im Vergleich zu Aiwangers Ankündigung am Jahresende. "Wir haben uns ein Bezugsrecht für 1000 Testgeräte und eine Million Einzeltests gesichert. Soweit nötig, können wir weitere Tests ordern", sagte der Minister damals. GNA Octea solle an Brennpunkten wie Krankenhäusern, Seniorenheimen und Verkehrsknoten wie Flughäfen, Bahnhöfen und Autobahnen genutzt werden. Von Mitte Januar 2021 an werde die Einsatzfähigkeit des Testverfahrens in Praxistests in bayerischen Kliniken und anderen Einrichtungen wie Schlachthöfen unter Beweis gestellt, hatte das Wirtschaftsministerium am 29. Dezember 2020 mitgeteilt.

Die Suche nach den Gründen für Aiwangers Test-Debakel gestaltet sich schwierig. Fachliche Ergebnisse gibt es noch nicht. Eine von GNA bei einem Forschungsinstitut in Auftrag gegebene Pilotstudie liegt nach Angaben des Wirtschafts- wie auch des Gesundheitsministeriums bislang nicht vor. Auf Waldmanns Frage, wann mit der Studie zu rechnen sei, antwortete Holetschek: "Ein genauer Zeitpunkt ist nicht bekannt. Wissenschaftliche Auswertungen benötigen naturgemäß eine gewisse Zeit." Die Staatsregierung könne die Arbeit eines unabhängigen Forschungsinstituts nicht beschleunigen.

Die Firma GNA erklärte auf Anfrage, die Ergebnisse würden dem Gesundheitsministerium "in Kürze" vorgelegt. Auf Basis vorhandener Informationen sei "die Leistungsfähigkeit des Octea-Systems bestätigt"; der rein wirtschaftliche Erfolg hänge vom künftigen Bedarf an PCR-Testkapazitäten ab.

Es sieht so aus, als habe Aiwanger sehr schnell sehr viel versprochen - statt vorsichtshalber abzuwarten, ob das angebliche Wundermittel Octea sich in der Praxis überhaupt als tauglich und tatsächlich benötigt erweisen werde. Der neue Schnelltest "wird uns dabei unterstützen, die Pandemie einzudämmen", hatte der Minister bei seiner Präsentation des "super Geräts" damals erklärt. Im Wirtschaftsministerium klingt das jetzt ganz anders. Nüchtern, um nicht zu sagen, ernüchternd.

Aiwangers Pressestelle verweist auf Anfrage darauf, dass sich das Testgeschehen stark verändert habe. Bürgertestungen, Tests an Schulen und in Betrieben sowie die Zulassung privater Teststellen hätten sich "massiv auf das Testgeschehen ausgewirkt". Geplant sei zudem, dass es ab Oktober überwiegend keine kostenlosen Tests mehr gebe. Ob dann noch ein Markt für die Octea-Geräte bestehe, "kann derzeit nicht beurteilt werden", schreibt das Ministerium.

Was ist mit den acht Millionen Euro, die das Wirtschaftsministerium in Octea investiert hat? Je nach Verkaufserlösen des Geräts fließt Geld an den Freistaat zurück. Mitte Juli war das laut Ministerium ein "höherer fünfstelliger Betrag", also weniger als 100 000 Euro. Auf Nachfrage der SZ im August, wie hoch die bisherige Rückzahlung genau sei, hieß es im Ministerium: Das sei Bestandteil von Verträgen, die der "Geheimhaltung" unterlägen. Wie teuer Aiwangers Schnelltest-Flop die Steuerzahler kommt, soll also ein Geheimnis bleiben. Die Mittel, die man vom Freistaat für Entwicklungsauftrag sowie als Wachstumskapital erhalten habe, sind nach Auskunft von GNA "in Summe" bereits zu einem erheblichen Teil zurückgeflossen. Die Details aber - geheim.

Profitiert von Octea hat hingegen einer, der jahrzehntelang für die CSU im Landtag saß und der wegen seiner Maskenaffäre inzwischen fraktionslos ist: Alfred Sauter. Er hat für seine anwaltliche Dienste bei der Zulassung des neuen Testsystems 300 000 Euro bei der Firma GNA Biosolutions abgerechnet.

Was bei Octea sowie bei Maskenbeschaffungen tatsächlich geschehen ist, wollen Grüne, SPD und FDP demnächst mit einem Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag aufklären. Dann dürften auch die genauen Umstände zutage treten, unter denen Hubert Aiwangers Wundermittel überhaupt zustande kam.

Sein Wirtschaftsministerium versucht dem wenig gefragten Testsystem jedenfalls immer noch gute Seiten abzugewinnen: Es gebe durch Octea zusätzliche Effekte, zur Beispiel bei der Infektionsdiagnostik der Firma GNA. Die Entwicklung des Geräts habe also auch jenseits der Einsatzmöglichkeiten als Schnelltestsystem "den Hochtechnologiestandort Bayern gestärkt".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5388777
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.08.2021/amm
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.