Extremismus in Bayern:Wider die Wirrköpfe

Demonstrierende nehmen am Sonntag, den 1. November 2020 an der Querdenker Demonstration auf der Theresienwiese in München (Oberbayern) teil. Die Bewegung steht in der Kritik, eine Plattform für Verschwörungstheoretiker zu sein.

Demonstrierende nehmen am Sonntag, den 1. November 2020 an der Querdenker Demonstration auf der Theresienwiese in München (Oberbayern) teil. Die Bewegung steht in der Kritik, eine Plattform für Verschwörungstheoretiker zu sein.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Landtagspräsidentin Ilse Aigner will ein Beratergremium einsetzen, das Abgeordneten Empfehlungen für den Umgang mit Verschwörungstheoretikern geben soll. Auch die Querdenker hat der Freistaat im Visier.

Von Andreas Glas und Johann Osel

Eine Landtagspräsidentin ist ja auch Privatperson, so hat Ilse Aigner bereits eigene Erfahrungen mit Corona-Verschwörungstheorien gemacht. Im privaten Umfeld, sogar in der Verwandtschaft. Oder durch Post mit absurden Thesen und Anwürfen. 100 Leute im Stimmkreis seien ein Promille der Einwohner, sagt sie. Aber 100 E-Mails wirkten natürlich wuchtig. "Da fragst du dich: Was ist da denn los?" In der Gesamtbevölkerung seien es nach wie vor wenige, die mit wilden Theorien um sich werfen - aber diese seien oft sehr laut.

Wie verhält man sich da? Um unter anderem das zu klären, hat Aigner ein Beratergremium einberufen. Der Runde, der unter anderem Psychologen oder Staatsrechtler angehören, soll die Problematik der Verschwörungstheorien ergründen. Im Januar steht die nächste Videositzung an, danach will man eine Handreichung für Abgeordnete erarbeiten. "Verschwörungstheorien gab es schon immer, aber über die sozialen Medien erhalten sie eine Dynamik, die einem Angst machen kann", so Aigner. Es gehe nicht darum, legitimen Protest zu kritisieren. "Aber wir müssen eine Trennlinie herausarbeiten zwischen einer begründeten anderen Meinung und Verschwörungstheorien" - diese seien "Brutstätte für demokratiegefährdende Tendenzen".

Es geht bei Verschwörungstheorien, die derzeit Hochkonjunktur haben, oft um einen angeblichen "großen Plan", der hinter der Pandemie steckt - ein perfides Treiben von Eliten zur Bereicherung oder Dezimierung der Weltbevölkerung, eine Verschwörung von Hochfinanz, Politik und Medien. Variabel und in Fragmenten wird das verwendet, oft ergänzt durch Hetze gegen Minderheiten oder "Reichsbürger"-Ideologie. Und durch Abstrusitäten wie von QAnon, nach deren These Eliten Kinder gefangen halten, um aus dem Blut ein Verjüngungselixier zu gewinnen. Oder kuriose Meldungen, wie sie aktuell kursieren, wonach etwa der Staat Stechmücken züchtet, die im Winter überleben und heimlich den neuen Covid-Impfstoff verabreichen sollen.

Das Gremium hat bisher etwa definiert, wie sich Verschwörungstheorien zu Fake News abgrenzen, bei denen Falschnachrichten bewusst produziert werden. "Bei der Verschwörungstheorie ist es ja wirklich so, dass die das glauben", erklärt Aigner. "Nichts ist ein Zufall, sondern alles ein großer Plan. Oft auch antisemitisch und da wird es irgendwann richtig gefährlich." Die CSU-Politikerin sieht "eine Polarisierung von Gut und Böse. Die Guten, die angeblich erkannt haben, was im Hintergrund abläuft. Und die anderen sind die Bösen oder die Unwissenden. Das ist dann schon ein bisschen sektenartig". Dagegen komme man auch mit Fakten kaum an. Bei denjenigen, die jetzt schon bei den Querdenkern sind, werde es schwer, sie zurückzuholen. "Es geht um die vielen, die einfach mitlaufen." Auch zeige ihr die Expertise, dass in diesen Milieus ein Gewaltpotenzial stecke.

Als eine Plattform für Verschwörungstheorien gilt eben Querdenken. Nach der Eskalation von Protesten in Leipzig im November hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Neubewertung durch die Behörden angedeutet. Man müsse prüfen, ob es sich um "eine Form von anderer Pegida" handele. Bayerns Verfassungsschutz hat bisher die Linie vertreten, so beim Halbjahresbericht im August, dass die Organisatoren "dem bürgerlichen Bereich" zuzurechnen seien; auch wenn viele Demos von Rechtsextremisten oder "Reichsbürgern" besucht werden. Mittlerweile hat der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg die Bewegung als Beobachtungsobjekt eingestuft. Es lägen hinreichend Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung vor. Im Verfassungsschutzverbund der Länder wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet.

Der Verfassungsschutz achtet auf die Unterwanderung durch Extremisten

Ein Vorpreschen wie in Stuttgart plant Bayern offenbar nicht. Das Landesamt werde die Querdenker "unverzüglich dann als Beobachtungsobjekte einstufen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür gegeben sind", teilte das Innenministerium auf Anfrage der SZ mit. Die Bewegung sei aber "äußerst heterogen", die verfassungsschutzrechtliche Bewertung regionaler Ableger könne in Bezug auf Aktionen und Personen unterschiedlich ausfallen. Vom "bürgerlichen" Kern wie noch im Sommer ist allerdings nicht mehr dezidiert die Rede. Der Verfassungsschutz achte genau auf die Unterwanderung von Extremisten und auch den Einfluss von Verschwörungstheorien wie QAnon. Festzustellen sei neben einem "fanatischen Aktionismus" gegen die Corona-Regeln, dass zunehmend Akteure mit einer grundsätzlichen Ablehnung staatlicher Stellen und des Staates auftreten.

Die Corona-Krise sei komplex, sagt Aigner, sie vermute, dass das auch manche überfordere. "Und dann suchen sie halt einfach die Erklärung in einer übergeordneten Macht, die alles steuert, um dieser Komplexität zu entfliehen und damit auch der Unsicherheit." Daher halte sie nichts davon, pauschal von "Covidioten" zu sprechen. Reden sei immer noch das Beste. Man stelle dann im Gespräch fest, "ob es noch Sinn macht oder nicht. Irgendwann muss man vielleicht auch mal abbrechen". Die Grenze sei fließend. Hierzu erhoffe sie sich Empfehlungen durch die Experten.

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