Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Landtag:Die AfD und ihre Stinkgranaten

Es ist still geworden um den Machtkampf in der zerstrittenen Fraktion. Doch intern wird in der AfD Bayern mit Verve gestritten. Knallt's noch mal?

Von Johann Osel

Eine vierköpfige Kommission soll her, "zur Aufklärung von arbeits- und strafrechtlichen Verstößen gegen Mitarbeiter der Fraktion durch andere Mitarbeiter und Abgeordnete". Der Beschluss dazu sollte eigentlich neulich auf die Tagesordnung der AfD-Fraktionssitzung kommen. Die Forderung stammt aus dem Lager des früheren Vorstands rund um Katrin Ebner-Steiner und Ingo Hahn. Und gemeint sind mutmaßliche Verfehlungen des aktuellen Vorstands unter Führung von Ulrich Singer und seinen Stellvertretern Gerd Mannes und Franz Bergmüller. Untadelige Mitarbeiter seien beim Machtwechsel gekündigt worden, hört man in Kreisen der Antragssteller, andere würden "zur Sau gemacht" wegen Nichtigkeiten, die Stimmung gleiche einem "Pulverfass". Auf Anfrage der SZ bei der Pressestelle der Fraktion teilt der fürs Personal zuständige Vize Gerd Mannes dagegen mit: Die Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter seien insgesamt "attraktiv", seit 2019 gebe es auch einen Betriebsrat. "Sollten dem Vorstand arbeitsrechtlich relevante Probleme vorliegen, würde er konsequent in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat eine Problemlösung erarbeiten. Derzeit haben wir aber keine Kenntnis davon."

Ein Manöver, um die Führung zu piesacken, oder begründete Sorge? Man wird es kaum transparent klären können, aber eines steht fest: Der Machtkampf, der die Fraktion seit ihrer Gründung 2018 prägte und verlässlich zu öffentlich ausgetragenen Turbulenzen führte, ist zwar nach außen hin befriedet, es ist still geworden um die AfD im Landtag. Intern aber wird mit Verve gestritten. Wer sich umhört bei kundigen Leuten in der Partei, der erfährt: Die Gruppe um den früheren Vorstand hat nach jüngsten Austritten mittlerweile wieder eine einfache Mehrheit und versucht offenbar, damit etwas anzufangen. Die amtierende Führung gedenkt derweil dem Vernehmen nach, unbeeindruckt davon durchzuregieren. Und mittendrin steht die Satzung.

Rausfliegen aus westdeutschen Landtagen - ist möglich

Für einen außerturnusmäßigen Wechsel an der Spitze wäre demnach eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Hat keiner. Oder eben Beispiel Aufarbeitungskommission für angebliche Personalquerelen. Die Satzung sieht anscheinend vor, dass nur der Vorstand Kommissionen einsetzen kann, unabhängig von Mehrheiten. Wie die juristischen Exegeten beugen sich beide Lager daher gerade über das Vertragswerk, von den Rednerlisten im Plenum bis zum Antragsrecht oder organisatorischen Fragen - was steht felsenfest drin, was ist Interpretationssache? Es ist eine Satzung, die dem Vorstand viel Macht gibt - und die Ebner-Steiner und Mitstreiter 2018 selbst aufgelegt haben. Ohne einzuplanen, dass man mal nicht mehr das Sagen haben könnte.

Ein AfD-Mann, der nah dran an den Geschehnissen, aber nicht selbst involviert ist, beschreibt die aktuelle Lage so: "Es ist wie in den Schützengräben von Verdun, jeder liegt in seinem - und wirft ab und zu eine Stinkgranate rüber." Zustande gekommen ist die "Gefechtslage" - ja, bei internen Streitigkeiten neigt man in der AfD zum militärischen Vokabular - durch Aus- und Eintritte. Seit ihrer Gründung 2018 ist die Fraktion geschrumpft, von 22 auf 16 Abgeordnete - zuletzt hatten sich Markus Bayerbach und Singers Co-Fraktionschef Christian Klingen verabschiedet. Bei Klingen übrigens wurde auch gemunkelt, dass Unkorrektheiten in der Personalpolitik ein Grund für den Rückzug waren - allerdings den Vorgänger-Vorstand betreffend. Seit Kurzem zählt die AfD nun wieder 17 Mitglieder. Oskar Atzinger war als Nachrücker für den gestorbenen (zuletzt fraktionslosen) Josef Seidl ins Parlament gekommen - und Atzinger stützt offenbar das Lager um Ebner-Steiner, es ist die entscheidende Stimme zur knappen Mehrheit. Erst im Herbst 2021 war die neue, nach eigener Definition gemäßigtere Spitze mit den Vorsitzenden Singer und damals noch Klingen nach langem Krach ins Amt gekommen.

Wie geht es weiter? Imagefördernd für die Landtagswahl 2023 dürfte der Streit nicht sein. Daher bleibt er auch intern, vermuten Beobachter aus der Partei, womöglich gebe es auch "Ermattung" beim Kämpfen gegen Parteifreunde, die inhaltlich zu 90 Prozent gleich ticken. Erschrocken sollen jedenfalls viele in der AfD die jüngste Wahl in Schleswig-Holstein beobachtet haben. Dort sahen sie, dass man in einem westdeutschen Bundesland auch sehr wohl wieder aus dem Landtag fliegen kann. Die Umfragen in Bayern hatten zuletzt eine Tendenz nach unten. Entsprechend hitzig dürfte es bei den Listenaufstellungen zum Landtag nächstes Frühjahr werden. Dass es wieder 22 Abgeordnete werden könnten wie zum Start 2018, glaubt eigentlich kaum jemand. Im Meinungskosmos der Bayern-AfD gehen die Ansichten über die kommenden Monate indes auseinander. Die Legislaturperiode gleite jetzt so vertrackt aus, die Satzung sei halt Trumpf, meinen die einen. Andere sehen die amtierende Spitze als "angeschossenen Keiler", es könne noch mal so richtig knallen.

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