Süddeutsche Zeitung

AfD im bayerischen Landtag:Eine Spitze ohne Rückhalt

Die Klausur der Fraktion endet in einer Farce. Die Mehrheit verlässt die Tagung, der Vorstand macht weiter, als sei nichts gewesen und will über "interne Befindlichkeiten" nicht sprechen.

Von Johann Osel

War was? Erwähnenswertes? Vielleicht Ungeplantes am Tag zuvor, bei der Herbstklausur der AfD-Fraktion? Ingo Hahn vermittelt diesen Eindruck keineswegs. Der Fraktionschef (Co-Vorsitzende Katrin Ebner-Steiner ist nicht da) zieht am Donnerstag im Landtag Bilanz - und ist zufrieden. "Harte Arbeit" hätten die Abgeordneten bei der Tagung investiert, für Positionspapiere zu "drängenden Fragen" wie Corona und Migration. Hahn rügt die Maskenpflicht und eine "Verschwendung von Steuergeld" in der Pandemie. Fraktionsvize Richard Graupner attackiert die CSU wegen der Aufnahme von Migranten. "Konstruktiv" sagt Hahn gut ein halbes Dutzend Mal, wenn es um die AfD im Landtag geht.

Doch dazu, dass das alles nur im kleinen Kreis des Vorstands und zweier Getreuer erörtert wurde und eine Mehrheit am Mittwoch die Klausur platzen ließ - kein Wort. Als wäre es völlig normal, dass eine Fraktionsklausur zwei separate Pressekonferenzen benötigt. Fragen zu Interna, sagt Hahn sinngemäß, seien eher nicht erwünscht. Dann doch ein paar spärliche Sätze: Die Beschlüsse seien "allgemeingültig" für die Fraktion. "Es wäre ein Irrglaube", ergänzt Graupner, "dass bei einer Klausur bei null angefangen wird". Und dass "interne Befindlichkeiten in der Öffentlichkeit ausgetragen werden" - davon halte er eh nichts.

Das freilich, was am Mittwoch stattgefunden hatte, ist eine neue Volte im Machtkampf: Eine Mehrheit verlässt im Clinch den Raum, eine Rumpfbelegschaft macht weiter, als sei nichts geschehen. Nach langem Patt zwischen den zwei Lagern (zehn zu zehn) hat sich mittlerweile ein Zwölferbündnis gegen die Fraktionsspitze gebildet. Ende Mai war ein Abwahlantrag gegen die Führung an der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit (14) gescheitert; mit zwölf Opponenten fehlt der Spitze aber seitdem der Rückhalt. Die politische Linie - der Streit um den völkischen "Flügel" - spielt in dem Konflikt keine Hauptrolle mehr. Die Kritiker monieren selbstherrlichen Führungsstil, mangelnde Professionalität und Kommunikation sowie falsche Strategien.

Mit ihrer Mehrheit wollten die zwölf in der Klausur einen "Umbau" forcieren und dem Vorstand Privilegien nehmen, wie Zulagen oder Ausschusssitze. Schon früher hatte man mit der neuen Macht Dienstwägen und die vorderen Plätze im Plenum in Frage gestellt; beides wurde offenbar noch nicht umgesetzt. Die Klausur sollte jetzt die Entmachtung besiegeln. Das ist aber gescheitert - es bleibt nur der Eklat.

Später Mittwochnachmittag. Die Zwölfergruppe ergattert einen kleinen Konferenzraum. Drei Leute wurden ausgewählt, um zu sprechen: Markus Bayerbach aus Schwaben, Christian Klingen aus Unterfranken und Ralf Stadler aus Niederbayern; der Münchner Uli Henkel, mit Maske und in der Frage gelassener als die meisten Fraktionskollegen, spielt den Platzanweiser. Alle seien gleich in der Gruppe, es gebe auch "keinen Schattenvorstand". Klingen spricht von einer "Wagenburgmentalität" der Führung. Es sei "erschreckend, dass wir als Mitglieder, die wir die Mehrheit in der Fraktion haben, um Dinge kämpfen müssen, die in anderen Fraktionen selbstverständlich sind".

Bayerbach sieht eine "Totalverweigerung" und "Angst um die letzten Pfründe". Demnach seien Anträge der Gruppe, die etwa Ebner-Steiners Abberufung aus dem Haushaltsausschuss vorsahen, vom Sitzungsleiter abgelehnt worden, trotz der Mehrheit. Sitzungsleiter war Ingo Hahn. Das widerspreche den demokratischen Spielregeln, findet die Zwölfergruppe, im Streit kam keine Tagesordnung zustande. Laut Fraktionsvorstand war etwa besagter Antrag "unzulässig", da kein Ausschussposten vakant sei. Die Rücktrittsforderung gegen den gesamten Vorstand, wie sie die zwölf im Juni erhoben hatten, hat weiterhin Bestand, heißt es. Ihm sei bewusst, sagt Bayerbach, dass Politik "ein Geschäft mit Ellbogen ist und kein Ponyhof" - aber ein Vorstand müsse "Selbstreflexion" haben und erkennen, wenn man es eben "nicht kann".

Als die interne Opposition zuletzt tagte, verwendete man ein Schild mit dem Slogan "Vernunft der AfD". Wie aus den Kreisen zu hören ist, gehe es auch darum, von den anderen Fraktionen nicht mehr "als Krawalltruppe" wahrgenommen zu werden; offenbar mit Blick auf Posten wie den Vize-Präsidenten des Landtags. Einen solchen stellt die AfD bisher nicht, kein Kandidat bekam einen Mehrheit im Plenum.

Wie geht es weiter? Eine Spaltung steht wohl nicht zur Debatte; gemäß Geschäftsordnung des Landtags dürfen Abgeordnete derselben Partei nur eine Fraktion bilden. So will die Gruppe ihre Führung in regulären Sitzungen mit Anträgen piesacken und die Entmachtung proben. Der Vorstand gibt sich zuversichtlich, man biete jedem Gespräche an. Christoph Maier, der parlamentarische Geschäftsführer, merkt an: Mehrheiten würden abgerufen, wenn Wahlen anstehen. Alles andere sei "eine gefühlte Mehrheit", die nach zwei Minuten schon anders sein könne.

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SZ vom 18.09.2020/syn
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