Bundestagswahl 2021:Bei der AfD beginnt das Ringen um die Listenplätze

Politischer Aschermittwoch - AfD

Als sicher gilt, dass die Landesvorsitzende Corinna Miazga bayerische Spitzenkandidatin werden will.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Viele Abgeordnete der Partei werden nervös, obwohl die Kandidatenwahl erst im März ansteht. Der Grund: maue Umfragewerte.

Von Johann Osel

Der frühere AfD-Landeschef Petr Bystron hat wieder ein Parteiamt inne. Er wurde kürzlich zum Chef des Kreisverbands München Nord gewählt. Das wäre normalerweise eine Randnotiz - wurde aber in der AfD mit höchstem Interesse beobachtet und eingeordnet: als inoffizieller Auftakt für das interne Ringen um die Listenplätze zur Bundestagswahl kommendes Jahr. Bei der AfD wählen nicht Delegierte, sondern Mitglieder die Liste.

Präsenz an der Basis, Einsatz für Angelegenheiten jenseits des fernen Berlin schaden da nie, man kann Truppen sammeln oder die Reihen schließen. "Sicher nicht ausschlaggebend" sei der Blick auf die Wahl gewesen, sagt Bystron selbst, vielmehr brauche sein Heimatverband nach mehreren Führungswechseln Stabilität; wie ein Dementi klingt das auch nicht. Andere in der Partei meinen wiederum, dass Bystrons Fraktionskollege Wolfgang Wiehle im Frühjahr bereits das Rennen eröffnet habe - durch eine aussichtslose OB-Kandidatur in München, die ihm aber mediale Sichtbarkeit bescherte.

Wie dem letztlich sei, der interne Wahlkampf scheint in der bayerischen AfD eröffnet zu sein. Zahlreiche Bundestagsabgeordnete aus dem Freistaat buhlen mittlerweile erkennbar um Aufmerksamkeit bei den Mitgliedern, rücken sich selbst in den Vordergrund - auch wenn es zur Listenaufstellung noch eine Weile hin ist, anvisiert ist der März für den Parteitag (sofern Corona es zulässt). Hintergrund sind die Umfragen, zuletzt der vergleichbare Stimmungstest, wenn am Sonntag Landtagswahl wäre: Dabei kam die AfD auf sechs bis acht Prozent. Bei der Bundestagswahl 2017 hatte die Partei im Freistaat ihr damals stärkstes Ergebnis in Westdeutschland erreicht, 12,4 Prozent. Hielte der Trend an, würde die Landesgruppe im Bundestag schrumpfen, womöglich bis zur Halbierung.

"Da geht die pure Angst um, alle Blicke richten sich schon jetzt auf Greding", sagt ein AfD-Mann mit Einfluss, aber ohne Ambitionen auf Berlin. In Greding finden die Parteitage statt. "Und bei uns ist das Ganze halt nicht steuerbar." Tatsächlich gleicht die Listenaufstellung einer Wundertüte: Völlig offen ist ja, welche Mitglieder kommen und abstimmen. Oder wer mobilisiert wurde (Gerüchten zufolge werden bei Parteiwahlen gern Busfahrten organisiert und gratis Schweinebraten versprochen). Bei der Aufstellung selbst kann eine gute oder maue Rede alles über den Haufen werfen.

Wie volatil das Ganze ist, hat Bystron erlebt. Obwohl er Landeschef war, landete er 2017 nur auf Platz vier. Offenbar hatte er Vorabsprachen unterschätzt und eigene Fehler gemacht. Durch Sympathiebekundungen für die "Identitäre Bewegung" hatte er Moderatere verstimmt. Mit seinem Bewerbungsauftritt, dem den Angaben Anwesender nach "Feuer" fehlte, fiel er im radikaleren Lager durch. Gereicht hatte Platz vier aber dann doch fürs Mandat.

Das alles vor Augen lässt in diesen Wochen viele Abgeordnete nervös werden. Und aktiv. Leute, von denen man in drei Jahren Berlin wenig vernommen hat, kommentieren im Akkord auf Facebook. Grillfeste an der Basis werden besucht, selbst wenn Leute vom anderen Parteiflügel eher die Mehrheit stellen. Auf Portalen der Haus- und Hofberichterstattung wie der Bayerndepesche werden Jubelartikel über die Bilanz im Bundestag lanciert; auch von Abgeordneten, die in der Fraktion nicht als die große Nummer gelten.

Der Bayreuther Tobias Peterka - damals Platz elf und im Bundestag stellvertretender Vorsitzender im Unterausschuss Europarecht - wird für seine "Wächterfunktion" für den souveränen Nationalstaat gerühmt. Martin Sichert, als Landeschef 2019 krachend abgewählt, "entlarvt die Nullaussagen" der Bundesregierung, heißt es. Stephan Protschka aus Niederbayern, der zuletzt mit der Beteiligung an einem revisionistischen Gedenkstein in Polen Aufsehen erregte, rettet demnach über ein "Zukunftskonzept" die Landwirtschaft. Und so weiter, alles ideal vermarktbar in der Netzblase der AfD-Basis.

Als sicher gilt, dass die Landesvorsitzende Corinna Miazga (2017 Platz drei) bayerische Spitzenkandidatin werden will. Sie hatte nach ihrer Wahl zur Chefin vergangenes Jahr einen passablen Start: Gerade bei AfD-Veranstaltungen auf dem Land freute man sich über die junge Frau mit ihren flotten Sprüchen. Auch ist es ihr gelungen, die Konflikte im Landesvorstand weitgehend unter der Decke zu halten. Mittlerweile formieren sich aber Kritiker, unter anderem wegen ihrer Positionierung im bundesweiten Richtungsstreit.

Miazga hatte 2015 die "Erfurter Resolution", das Gründungsmanifest des heute formal aufgelösten völkischen "Flügels", unterschrieben. Auch bei der Wahl zur Parteichefin 2019, als sie sich als Versöhnerin aller Lager anpries, glaubten viele Flügler, da vorne stehe eine der Ihren. Öffentlich positionierte sie sich jedoch jüngst gegen den AfD-Rechtsaußen Andreas Kalbitz. Und als die Flügel-Galionsfigur Björn Höcke im Juni den bayerischen Landtag besuchte, soll sie intern den "Staatsempfang" gerügt haben, der die Bayern-AfD "in gefährliches Fahrwasser" bringe.

Seitdem wird in Flügel-Kreisen rabiat gegen sie geschossen: "Verräterin", "umgedreht worden", "Falschspielerin". Welchen Einfluss dies - wie der Richtungsstreit insgesamt - auf die Bundestagsliste hat, wird ebenfalls spannend. Das Beispiel Bystron hat damals gezeigt, wie man als Landeschef düpiert werden kann.

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