In der Bayern-AfD gibt es Versuche, die im Mai und Juni aufgestellte Bundestagsliste anzufechten, auf einzelnen Positionen erneut wählen zu lassen und dazu einen Sonderparteitag einzuberufen. Hintergrund sind Medienberichte über eine Berateraffäre: Demnach soll ein Geschäftsmann deutschlandweit AfD-Politiker strategisch unterstützt, zum Netzwerken in Luxushotels eingeladen und Geldflüsse angeboten haben.
Die Recherche betraf auch Politiker aus Bayern, an prominenter Stelle fiel der Name von Landeschefin Corinna Miazga, die auf Platz zwei antritt. Interne Kritiker wähnen einen Verstoß gegen die "Lobbyismus"-Erklärung, die alle Kandidaten abgeben mussten. Und sie glauben, im Lichte der Erkenntnisse wären Entscheidungen auf dem Listenparteitag womöglich anders ausgefallen.
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Wie die Recherche von NDR, WDR und Zeit kürzlich zeigte, soll der "Schattenmann" Tom Rohrböck über Jahre und mit Geldern aus dubiosen Quellen versucht haben, massiv Einfluss auf die personelle Ausrichtung der AfD zu nehmen. Dazu gehörten die Einladungen. Über den Medienbericht wird in internen Chatgruppen nun hitzig debattiert.
Der Bundesvorstand will eine Untersuchungskommission einsetzen, um die Vorgänge aufzuklären. Im Fall Miazga soll Rohrböck laut Zeit deren Aufstieg durch Beratung forciert haben, als "klassische Hinterbänklerin" zur Landeschefin, hieß es. Bei ihrer Wahl ins Parteiamt 2019 habe er mutmaßlich einen Gegenkandidaten ausgebremst. Justiziabel ist das alles offenbar nicht, kratzt aber Parteikreisen zufolge an "unserem Selbstverständnis, immun gegen Einflüsse von außen" zu sein.
Miazga sagte auf Anfrage der SZ, sie fühle sich nicht in Kollision mit der Lobbyismus-Erklärung bei ihrer Kandidatur. "Die Medien haben ziemlich dick mit der Rohrböck-Geschichte aufgetragen. Ich habe 2018 einfach nicht weitergedacht, was die Einladung von Herrn Rohrböck für Konsequenzen nach sich ziehen kann. Der Kontakt schlief allerdings sehr schnell wieder ein." Der Bundesvorstand werde die Kommission einsetzen "und ich stehe dieser natürlich Rede und Antwort". Der Landesverband prüfe zudem selbst, inwieweit in Bayern Kontakte zu Funktionären bestanden.
AfD-Parteitag in Greding:Schwarz-Rot-Gold - "bunt genug"
Die AfD wählt Finanzpolitiker Boehringer als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Landeschefin Miazga landet auf Platz zwei. Beide gelten nicht als Rechtsaußen-Vertreter - üben sich beim Parteitag aber in radikaler Wortwahl.
"Die AfD ist mit einem umfangreichen, exklusiven und ambitionierten Anspruch angetreten - und zwar, anders zu sein als die Altparteien", sagt Wilfried Biedermann, Vorsitzender im AfD-Kreisverband München-Ost. Mandatsträger, die den Eindruck machten, "korrumpierbar" zu sein, könne man "nicht nach Berlin schicken". Biedermann gehört einer Gruppe von Funktionären an, die den Sonderparteitag wollen. Darunter ist auch Miazgas erster Vize im Vorstand, Hansjörg Müller. Er bekam bei der Listenwahl keinen Platz mehr und will die Tagespolitik verlassen. Bei einer erfolgreichen Anfechtung wolle er nicht kandidieren, schrieb Müller in internen Chats. Er handele im Sinne der "Rechtsstaatspartei", nicht aus eigenen Interessen heraus.
Die Anfechtungen sind formal beim Landeswahlleiter des Freistaats in Fürth eingegangen. Im Landesvorstand soll dazu beraten worden sein, dem Vernehmen nach ohne eine Mehrheit für den Sonderparteitag. Laut Satzung könnte ein Bündnis von zehn Kreisverbänden diesen direkt durchsetzen. Intern läuft ein Werben, um die Zahl zusammenzubekommen; was jedoch noch bei Weitem nicht gelungen ist. In Parteikreisen verweisen zwar viele auf die "Instinktlosigkeit", die in der Rohrböck-Affäre zu sehen sei, die Vorwürfe seien aber "nicht handfest genug".
Und: Nachwahlen seien organisatorisch heikel, sie brächten die Statik der an mehreren Wochenenden mühsam gewählten Liste ins Wanken und ergäben überdies ein "noch chaotischeres Bild" der AfD. Im Fokus der Kritiker stehen insgesamt fünf Listenkandidaten. Dabei geht es auch um Lobbyismus-Verdacht jenseits der "Schattenmann"-Geschichte: um Coachings durch eine Psychologin. Deren politischer Hintergrund sowie die Finanzierung dieser Sitzungen würfen Fragen auf.
Der mit der Organisation des Listenparteitags betraute Partei-Vize Gerd Mannes sagte auf SZ-Anfrage: "Ich gehe fest davon aus, dass unsere Listenaufstellung rechtssicher abgehalten worden ist." Das betreffe sowohl Anfechtungen, weil es wegen Corona einen Delegierten- statt Mitgliederparteitag gab, als auch "mögliche Vorwürfe gegen einzelne Kandidaten aufgrund von Medienberichten". Mannes sagt: "Es gibt hier keine konkreten Ansatzpunkte, die zu einer Ungültigkeit oder Rechtsunsicherheit der Liste führen könnten."