Abschiebehaft:"Ein Schandfleck für unser Bundesland"

Abschiebehaft: Durchschnittlich 17 bis 30 Tage verbringen Abschiebehäftlinge in den vier bayerischen Anstalten Hof (im Bild), Eichstätt, Erding und am Flughafen München.

Durchschnittlich 17 bis 30 Tage verbringen Abschiebehäftlinge in den vier bayerischen Anstalten Hof (im Bild), Eichstätt, Erding und am Flughafen München.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)

Die Grünen werfen der bayerischen Staatsregierung einen rechtswidrigen und inhumanen Umgang mit ausreisepflichtigen Geflüchteten vor. CSU und Freie Wähler verteidigen die bisherige Praxis bei Rückführungen.

Von Johann Osel

Fast 2000 Migranten sind vergangenes Jahr in den vier bayerischen Einrichtungen für Abschiebehaft untergebracht gewesen. Das Niveau zum Jahresbeginn 2023 deutet einen ähnlichen, leicht höheren Trend an. Die durchschnittliche Inhaftierungsdauer in den Anstalten in Eichstätt, Hof, Erding und am Flughafen München betrug zwischen 17 und 30 Tagen. Der Maximalwert wurde 2022 in Eichstätt erreicht, wo ein Abschiebegefangener 242 Tage einsaß. Das geht aus den Antworten des Justiz- und Innenministeriums auf zwei schriftliche Anfragen der Grünen-Abgeordneten Gülseren Demirel hervor, die dieser Tage veröffentlicht wurden. Der Freiheitsentzug, vor allem damit Migranten vor einer geplanten Rückführung nicht untertauchen, wird jeweils richterlich angeordnet und ist laut Gesetz auf die "kürzest mögliche Dauer zu beschränken".

Demirel wirft der Staatsregierung vor, ausreisepflichtige Geflüchtete "rechtswidrig wie Straftäter" zu behandeln, sie spricht von einem "inhumanen Flüchtlingskurs". CSU und Freie Wähler ignorierten bei der Unterbringungspraxis in "gefängnisähnlichen" Einrichtungen europäische und bayerische Rechtsprechung. Konkret geht es um eine rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts Coburg von 2022. Anlass war der Fall eines vollziehbar ausreisepflichtigen Iraners, der sich vor dem Flug selbst verletzt hatte - die Rückführung musste storniert werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hatte den Asylantrag des 2016 eingereisten Mannes abgelehnt und keinen weiteren Schutzstatus festgestellt. Bei dessen Beschwerde über die Schubhaft in Eichstätt monierte das Gericht die dortigen Haftbedingungen. Diese liefen einem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zuwider, wonach es die Inhaftierung "in einer Gefängnisumgebung" zu verhindern gilt.

Nach dem EuGH-Urteil habe es bereits Änderungen gegeben, die das Coburger Gericht nicht mehr berücksichtigen konnte, schreibt die Staatsregierung. Zum Beispiel: ausgeweitete Besuchszeiten, wobei der Zugang von Anwälten und Hilfsorganisationen gar nicht angerechnet werde, sowie mehr Bewegungsfreiheit außerhalb der Zimmer. Auch sei den Inhaftierten in Eichstätt seitdem im Regelfall das Tragen von Privatkleidung gestattet. Der Besitz von Mobiltelefonen sei weiterhin untersagt, weil sonst die Gefahr von Konflikten oder unerlaubten Geschäften zwischen Insassen drohe. Es gebe aber die Möglichkeit, täglich eine halbe Stunde weltweit und kostenlos zu telefonieren; und bei nachvollziehbarem Grund Unterstützung für Recherchen im Netz.

Die Zimmerfenster müssten, ebenso wie in den anderen Anstalten, vergittert sein, damit sich niemand durch Flucht der Abschiebung entziehe. In Eichstätt, Erding und am Münchner Flughafen werde ausschließlich Abschiebungshaft vollzogen, in Hof herrsche baulich und organisatorisch eine strikte Trennung von klassischen Strafgefangenen. "Ein weitergehender Änderungsbedarf" ergebe sich infolge der Coburger Gerichtsentscheidung nicht.

Doch, finden die Grünen. In der letzten Sitzung vor der Pfingstpause debattierte der Landtag über deren Gesetzentwurf für ein bayerisches Abschiebehaft-Gesetz. Ein verbindlicher Rahmen soll demnach sicherstellen, die Maßnahme "so human wie möglich und so wenig einschränkend wie nötig zu vollziehen" - etwa Besuch, Telefon und Post oder Bewegungsfreiheit müssten sich klar geregelt vom Strafvollzug unterscheiden. Die Rechte von Insassen, sagte Demirel in der Aussprache, dürften "nicht der Empathie und dem Goodwill der Anstaltsleitung oder der Politik überlassen werden". Dass Bayern anders als andere Bundesländer kein solches Gesetz habe, sei ein "Schandfleck für unser Bundesland". Der Vorstoß wurde nach hitziger Debatte abgelehnt, nur die SPD stimmte mit den Grünen; CSU, FW und AfD dagegen, die FDP enthielt sich.

Karl Straub (CSU) erklärte: Wenn ein Asylantrag vom Bamf und oft mehreren Gerichte abgelehnt wurde und der Betroffene seiner Pflicht zur freiwilligen Ausreise nicht nachkomme, sei Abschiebehaft eben die "Ultima Ratio". An die Adresse der Grünen sagte er: "Sie wollen keine Abschiebehaft, weil Sie keine Abschiebungen wollen." Alexander Hold (FW) attestierte der Oppositionsfraktion, jegliche Bodenhaftung verloren zu haben: Während Gemeinden nicht mehr wüssten, wo sie Container aufstellen sollen für Flüchtlinge, werde die "komfortable Unterbringung Ausreisepflichtiger" gefordert. Die jetzige Praxis als Schande für den Rechtsstaat zu bezeichnen, sei eine "Frechheit". Innenstaatssekretär Sandro Kirchner (CSU) ergänzte, auch die Bundesregierung spreche sich für konsequente Rückführungen aus. Die Grünen-Vorlage würde die Durchsetzung der Ausreisepflicht "verkomplizieren, verlangsamen und fast unmöglich machen".

Zur SZ-Startseite

SZ PlusPolitik in Bayern
:Problem-Kennzeichen Kiew?

Die AfD sorgt sich um die vermeintlichen vielen einheimischen Unfallopfer mit unversicherten Autos aus der Ukraine. Nachfragen bei Innenministerium und Versicherungswirtschaft zeigen ein anderes Bild - und damit das eigentliche Motiv der AfD.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: