Verkehr in Bayern:Gemischte Zwischenbilanz beim Neun-Euro-Ticket

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Das Deutschlandticket ist ein Erfolgsmodell. Die Menschen fahren wieder lieber Bahn, auch am Hauptbahnhof München. (Foto: Robert Haas/Robert Haas)

Der vergünstigte Fahrschein im Regionalverkehr bringt mehr Passagiere auf Bayerns Gleise. Aber ist er wirklich der Grund für Verspätungen und überfüllte Züge?

Von Maximilian Gerl, Freilassing/München

Die Passagiere, die am Montag in Freilassing aussteigen mussten, obwohl sie das nicht wollten, können nun ihre eigene Geschichte vom Verkehrsexperiment Neun-Euro-Ticket erzählen. Um 16.15 Uhr startete der Zug der Bayerischen Regiobahn (BRB) Berichten zufolge in Salzburg, nur um gleich darauf planmäßig am ersten Bahnhof auf bayerischer Seite zu halten: In Freilassing gibt es weiterhin Grenzkontrollen, Polizisten gehen dann durch den Zug, um Fahrgäste und ihre Ausweise zu prüfen. Das führt eh zu Verzögerungen. Weil die Regionalbahn aber an jenem Montag so voll war, dass die Beamten nicht mehr durchkamen, wurde sie kurzerhand geräumt - worauf manch Passagier am Bahnsteig zurückblieb, bis zum nächsten, späteren Zug.

Solche Vorfälle sind der wahrscheinlich sichtbarste Hinweis, dass seit Juni mehr Menschen auf Bayerns Gleisen unterwegs sind. Doch ob das Neun-Euro-Ticket deshalb ein Erfolg ist oder nicht eher die Probleme auf der Schiene offenlegt, darüber gehen die Meinungen mitunter auseinander. Die Deutsche Bahn sieht auf SZ-Anfrage in dem Ticket "ein klares Signal, dass wir in Deutschland mutig die Mobilitätswende angehen, um einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten". Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) hingegen fühlt sich bestätigt, dass das Geld, "das nun den Sommer über für das Neun-Euro-Ticket verbrannt wird", für den dringend nötigen Ausbau des ÖPNV-Angebots fehle.

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Tatsächlich ist das Neun-Euro-Ticket Teil eines viel größeren Streits: dem ums liebe Geld. Vereinfacht fordern die Länder seit Monaten vom Bund mehr Mittel, um den Regionalverkehr zu bestellen und auszubauen. Wie viel Geld fließt, könnte am Ende auch von der Bewertung des für Juni, Juli und August geltenden Sondertickets abhängen. Nur: Wie dieses genau die Fahrgastzahlen befeuert, darüber gibt es noch kaum Zahlen.

Auch das bayerische Verkehrsministerium kann für den Freistaat derzeit keine nennen. Besonders stark ausgelastet seien aber die "langlaufenden RE-Linien im Freizeit- und Ausflugsverkehr", heißt es: darunter die Strecken München - Hof und Nürnberg - Leipzig. Für Deutschland existieren immerhin seit Kurzem Näherungswerte. Das statistische Bundesamt maß anhand von Mobilfunkdaten im Juni 42 Prozent mehr "Bewegungen im Schienenverkehr" als im Vor-Corona-Juni 2019.

Die Anzahl der Verspätungen hat zugenommen

Wie oft Züge überfüllt sind, lässt sich für Bayern ebenfalls schwer sagen. Laut Deutscher Bahn als größtem Anbieter im Regionalverkehr sorgt das Neun-Euro-Ticket zwar unter der Woche für rund zehn Prozent mehr Passagiere. Doch auf welchen Strecken und Verbindungen es zu erhöhtem Fahrgastaufkommen komme, lasse sich schwer vorhersagen.

Bundesweit hätten bislang nur bei 0,1 Prozent aller Fahrten Personen wegen überfüllter Züge wieder aussteigen müssen. Auch das bayerische Verkehrsministerium berichtet von "punktuellen Überbesetzungen sowie vereinzelt zurückbleibenden Fahrgästen und Fahrrädern". Die Radlmitnahme indes war schon vor dem Neun-Euro-Ticket öfter ein Platzärgernis, mancherorts dürfen Räder deshalb nur außerhalb der Stoßzeiten mitgenommen werden. Die DB rät zu Leihrädern am Ausflugsort - und "insbesondere am Wochenende kein Fahrrad mit in den Zug zu nehmen".

Näher lassen sich die Verspätungen fassen, über die Bahnreisende derzeit häufiger klagen. Für Juni liegt die bayernweite Pünktlichkeitsquote laut Verkehrsministerium bei 82 Prozent - was gegenüber dem Vormonat einer Verschlechterung um sieben Prozent entspreche. Ein Grund: "zunehmende Haltezeitüberschreitungen" - also Verzögerungen beim Ein- und Ausstieg aufgrund hoher Fahrgastzahlen. Viele andere Ursachen haben jedoch mit dem Neun-Euro-Ticket nichts zu tun. So stellt das Ministerium unter anderem "spürbar steigende Verspätungen aufgrund von Langsamfahrstellen fest, welche der Infrastrukturbetreiber DB Netz zu verantworten hat". Langsamfahrstellen werden in der Regel dort errichtet, wo bauliche Probleme mit Gleisen und Gleisbett entstanden sind.

Zahlreiche Einschränkungen und Baustellen im Netz verzeichnen sie derzeit auch beim Eisenbahnunternehmen Go-Ahead, das unter anderem die Strecke München - Lindau bedient. Höhere Fahrgastzahlen und mehr Verzögerungen, das seien für sich genommen "schon große Herausforderungen", teilt eine Sprecherin mit. Aber die Kombination aus beiden mache es besonders belastend. "Die Infrastruktur ist seit Jahren unterfinanziert, Gleisanlagen und Bahnhöfe wurden stark zurückgebaut. Jetzt reicht die Kapazität nicht und im Alltag funktioniert die Infrastruktur sehr unzuverlässig."

Auch die Möglichkeiten, bei Bedarf einfach einen Wagen anzuhängen, sind begrenzt. Wo größere Fahrzeugkapazitäten möglich sind, stellen die DB und andere Unternehmen die in der Regel schon bereit- nur sind die Bahnsteige nicht überall lang genug für längere Züge. Das Ergebnis: immer wieder Frust, den dann mitunter das Personal abbekommt. Bei Go-Ahead etwa notieren sie derzeit "eine ungeheure Belastung" der Mitarbeiter im Fahrgastkontakt. Und das Verkehrsministerium meldet eine "zunehmende Anfeindungen des Zugpersonals durch Fahrgäste". Teils sei die Bundespolizei hinzugezogen worden, um Passagiere zum Ausstieg zu bewegen.

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