Erst die Hirschkuh im Wendelsteingebiet bei Oberaudorf, die vor drei Wochen gerissen worden ist, jetzt die Fotos von einem "wolfsähnlichen Tier" auf einem Acker bei Dorfen (Landkreis Erding): Kein Zweifel, in Oberbayern streift ein Wolf herum. Der Wildtier-Experte Ulrich Wotschikowsky über den Zuwanderer.
SZ: Die staatlichen Fachleute haben sich immer noch nicht geäußert, ob das Tier auf den Fotos ein Wolf ist. Sie haben von Anfang an gesagt, das ist ein Wolf. Warum sind Sie sich so sicher?
Ulrich Wotschikowsky: Die Experten waren fix, aber die offizielle Bestätigung lässt auf sich warten. Die Fotos sind eindeutig. Allein die Fellzeichnung am Kopf, die Körperhaltung und der Sattelfleck auf dem Rücken. Als ich die Bilder gesehen habe, war mir klar, das kann nur ein Wolf sein.
Solche Schnappschüsse sind ein ziemlicher Glückstreffer.
Das kann man wohl sagen, es ist extrem außergewöhnlich, dass die jungen Frauen dem Wolf so nahe gekommen sind. Vor allem ist es toll, dass sie so gut reagiert haben und ihre Handykamera gezückt haben.
Waren die Frauen in Gefahr?
Man ist nicht in Gefahr, wenn man einem Wolf begegnet. Zudem sind sie in ihrem Auto geblieben. Wären sie ausgestiegen, hätte sich der Wolf davongemacht, sie hätten niemals ihre Fotos machen können.
Freuen Sie sich über den Wolf?
Natürlich ist es eine große Freude, dass der Wolf zugewandert ist. Ich freue mich über jede Art, die zurückkommt, nachdem sie ausgerottet wurde. Ob Wolf, Bär oder Seeadler, mit jeder Art, die zurückkommt, kehrt ein Stück Wildnis zurück. Das ist ein großer Gewinn, wir haben nichts so sehr verloren wie echte Wildnis.
Bayerisches Oberland:Bauern bereiten sich auf Wolf vor
Viele Landwirte im oberbayerischen Inntal sind in Sorge, dass ein über die Alpen gewanderter Wolf ihr Vieh bedrohen könnte. Nun bereiten sie sich auf eine Saison mit dem Wolf vor.
Warum lösen Wölfe Ängste aus?
Der Wolf war immer ein schwieriger Zeitgenosse. In Urzeiten hat er den Leuten das Vieh gestohlen, er hat ihnen die Hunde weggefressen und es gab tatsächlich welche, die Menschen überfallen und getötet haben. Das hatte weniger mit dem Wolf zu tun als mit den Lebensumständen der Menschen. Sie waren so armselig, dass die Wölfe keinen Unterschied machten, ob sie einen Menschen vor sich hatten oder ein Beutetier. Heute ist das ganz anders.
Weil die Lebensverhältnisse der Menschen ganz andere sind?
Das zum einen. Zum anderen sind die Wölfe durch die Jahrhunderte scharf verfolgt und schließlich ausgerottet worden. Dadurch wurde ihnen gleichsam einprogrammiert, die Menschen zu meiden. In Europa sind Wölfe keine Gefahr. Sollte tatsächlich ein Spaziergänger auf einen treffen, würde sich der Wolf aus dem Staub machen.
Ist der Wolf auf den Fotos der Wolf von Oberaudorf?
Das kann keiner sagen. Es kann der gleiche Wolf sein. Es können zwei verschiedene sein. Wir müssen warten, bis wir eine neue Spur finden, etwa ein gerissenes Reh. Dann können wir mit einem Gentest die Identität des Wolfes ermitteln.
Oberaudorf und Dorfen liegen gerade mal 70 Kilometer Luftlinie auseinander.
Ja genau, deshalb kann es durchaus derselbe Wolf sein, der vor gut drei Wochen in Oberaudorf die Hirschkuh gerissen hat. 70 Kilometer, das ist für einen Wolf ein Klacks.
Wird der Wolf in Oberbayern bleiben?
Auch das wissen wir nicht. Gut möglich, dass er auf der Durchreise ist. Es ist aber genauso gut möglich, dass er sich hier ein Revier sucht. Wahrscheinlich aber nicht in der Region Erding.
Viele Experten sagen ja, Wölfe, die wie der Oberaudorfer Wolf im Gebirge geboren worden sind, ziehen nicht ins flache Land.
Das ist eine Hypothese, für die einiges spricht. Aber wissenschaftlich bewiesen ist sie nicht.
Wenn es zwei verschiedene Wölfe sind, woher könnte der Dorfener Wolf kommen?
Bayern ist Wolfs-Erwartungsland, wie es im Fachjargon heißt. In fast allen Ländern rund um den Freistaat leben Wölfe. In Oberbayern hat man nur den Alpenbogen im Blick. Aber auch in Polen und in Sachsen leben Wolfsrudel, von denen jedes Jahr Jungtiere abwandern. Praktisch von überall her können Wölfe nach Bayern einwandern. Von der sächsischen Lausitz nach Dorfen sind es nur 400 Kilometer Luftlinie. Das ist keine Strecke für einen Wolf.
Was wäre Ihnen lieber, dass es zwei Wölfe sind oder doch nur einer?
Dass es zwei sind. Je mehr Tiere nach Bayern einwandern, desto größer ist die Chance, dass sich der Wolf wieder bei uns etabliert - so wie das alle Naturschutzgesetze vorgeben.