Wie gefährlich frei lebende Wölfe für Menschen und deren Haustiere sind, darüber gehen die Meinungen auch im Bayerischen Wald weit auseinander. Was die Wölfe in seinen Gehegen betrifft, ging der den Nationalpark Bayerischer Wald bisher jedenfalls auf Nummer sicher: Meterhohe Zäune trennen die Tiere von den Besuchern seiner beiden Freigelände.
Am Gehege beim "Haus zur Wildnis" nahe Ludwigsthal (Landkreis Regen) stand am Freitagfrüh jedoch das schwere, sonst mehrfach versperrte und gesicherte Tor weit offen, sechs von neun Wölfen waren verschwunden. Einer von ihnen war schon am späten Donnerstagabend von einem Zug überfahren worden, wie die Nationalparkverwaltung selbst erst am Vormittag erfahren hat. Sie nimmt an, dass das Tor absichtlich geöffnet worden ist.
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Nahe Memmingen ist eine Hirschkuh gerissen worden - von wem, ist unklar. Der Jägerpräsident prescht vor und fordert ein besseres Wolfsmanagement in Bayern.
Dieses Tor wird normalerweise nur für Fütterungen geöffnet, sagte Nationalparksprecher Gregor Wolf am Freitag - und gefüttert werden die Wölfe dort nur dreimal pro Woche, zuletzt am Mittwoch. Dass ein Mitarbeiter das Tor versehentlich offen stehen ließ, ist demnach kaum wahrscheinlich. Genau so offen wie das Tor steht nun die Frage im Raum, wer für einen solchen Sabotageakt verantwortlich sein könnte.
Dass inzwischen wieder Wölfe durch den Bayerischen Wald und den angrenzenden tschechischen Nationalpark Šumava streifen, stößt bei vielen Menschen in der Region keineswegs auf Begeisterung. Im älteren, südöstlichen Teil des Nationalparks Bayerischer Wald rund um das Nationalparkzentrum Neuschönau hat sich aus mehreren Tieren sogar kürzlich das erste frei lebende Wolfsrudel in ganz Bayern gebildet. Was Wolfsexperten, Naturfreunde und Nationalparkverwaltung freut, lässt viele Bauern um ihr Vieh und manche Menschen sogar um ihre Kinder fürchten.
Fachleute wie der Wolfsexperte Ulrich Wotschikowsky versuchen beharrlich, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Auch von den Wölfen, die nun aus dem Gehege beim Haus der Wildnis im neueren nordwestlichen Teil des Nationalparks entkommen sind, gehe aller Voraussicht nach so gut wie keine Gefahr aus, sagte Wotschikowsky am Freitag. Dass die Tiere Menschen gewohnt sind, dürfte nach seiner Ansicht aber doch dazu führen, dass sie Menschen nicht grundsätzlich als gefährlich wahrnehmen und deswegen womöglich auch etwas weniger Scheu hätten als ihre schon immer wild lebenden Artgenossen.
Die durchweg erwachsenen Tiere hätten zwar gemeinsam im Gehege gelebt, bildeten aber kein eigentliches Rudel. Jedes einzelne Tier werde in Freiheit daher wohl schnell eigene Wege gehen. Der Wolfsexperte hofft, dass dies auch die Ängste in der Umgebung etwas dämpfen könnte. Einem Tier ist ohnehin schon der Mensch mit seiner Technik zum Verhängnis geworden. Es wurde am Donnerstagabend gegen 22 Uhr und nur wenige hundert Meter vom Gehege entfernt auf der Bahnlinie von Zwiesel nach Bayerisch Eisenstein von einem Zug überfahren. Warum der Nationalpark dies erst am Freitagvormittag erfahren hat, konnte sein Sprecher Gregor Wolf nicht erklären.
Die Wölfe sind zum ersten Mal in Freiheit
Die übrigen fünf Tiere streiften noch am späten Freitagnachmittag in einer Dreier- und einer Zweiergruppe in der Nähe des Geheges umher. Man versuche sie mit insgesamt 35 Tierpflegern, Forstmitarbeitern und Berufsjägern wieder Richtung Tor zu treiben. Dort habe man Futter ausgelegt, um die Tiere zurück zu locken, sagte Wolf. "Sollte das nicht gelingen, kommen Narkosegewehre zum Einsatz", teilte Nationalparkleiter Franz Leibl mit.
Die Tiere haben nach Nationalpark-Angaben ihr gesamtes bisheriges Leben in Gefangenschaft verbracht. Unter anderem deswegen hält es auch Wolfs-Experte Ulrich Wotschikowsky für erfolgversprechend, die Tiere mit Futter wieder dahin zu locken, wo sie regelmäßig versorgt worden sind. Sollte dies in den ersten Tagen nicht gelingen, so würden die Tiere aber sicher schnell die nötigen Instinkte ausbilden, um in der Wildnis zurecht zu kommen, sagte Wotschikowsky, der selbst einige Jahre im Nationalpark gearbeitet hat.
In dieser Zeit Ende der 1970er Jahre seien auch schon einmal neun Wölfe aus einem Gehege entkommen, erinnert er sich. Die Tiere hätten sich zwar blitzschnell zurecht gefunden, aber ein langes Leben in Freiheit war ihnen nicht vergönnt. Nach wenigen Tagen sei auch das letzte der neun Tiere erschossen worden - dies aber in einer Zeit, in der die Menschen überhaupt nicht mit der Vorstellung frei lebender Wölfe vertraut waren. Bayerns offizieller Wolfsmanager Manfred Wölfl vom Landesamt für Umwelt verfolgte den Fall am Freitag von seinem Schreibtisch in Hof aus. Er ist nur für Wildtiere zuständig. Ob und wann die entlaufenen Wölfe Wildtiere werden könnten, blieb bis zum Abend offen.