Im Bayerischen Wald wird seit einiger Zeit darüber spekuliert, nun ist es gleichsam offiziell: Der Nationalpark Bayerischer Wald soll aus Anlass des 50. Jahrestags seiner Eröffnung am 7. Oktober 2020 um etwa 600 Hektar vergrößert werden. Das hat Ministerpräsident Markus Söder jetzt in einem Schreiben an den Landrat des Landkreises Freyung-Grafenau, Sebastian Gruber (CSU), angekündigt.
"Seit nunmehr 50 Jahren steht der Nationalpark Bayerischer Wald für gelebten Naturschutz in der Region", heißt es in Söders Brief, der der SZ vorliegt. "Er hat sich zu einer Erfolgsgeschichte für Mensch und Natur entwickelt." Damit der Nationalpark auch in Zukunft "Leuchtturm und Aushängeschild" sein kann, will Söder das Schutzgebiet nun "maßvoll erweitern" und damit zugleich einen "wichtigen Zukunftsimpuls für die Region" setzen.
Das Erweiterungsgebiet, das Söder anvisiert, liegt im Osten des Nationalparks nahe den beiden Ortschaften Mauth und Finsterau direkt an der Grenze zu Tschechien und zum dortigen Nationalpark Šumava. Die neuen Nationalparkflächen sind allesamt Staatswald, Waldbauern und andere private Waldbesitzer sind nicht betroffen. Zugleich sind die Wälder naturschutzfachlich sehr wertvoll. Wie in den höheren Lagen des Bayerischen Waldes üblich, handelt es sich in der Hauptsache um Fichtenwälder, denen in den Neunzigerjahren Stürme und der Borkenkäfer arg zugesetzt haben. Inzwischen wächst auf ihnen ein junger, üppiger Naturwald heran. Vor allem entlang der Buchwaldstraße, die an der bisherigen Nationalpark-Grenze in Richtung Tschechien führt, unterscheidet er sich für Laien nur wenig von den Wäldern im Schutzgebiet selbst.
Außerdem umfasst das Erweiterungsgebiet das Finsterauer Filz. Das ist ein etwa 4,2 Hektar großes Hochmoor, in dem früher Torf abgebaut worden ist. Es ist vor etlichen Jahren renaturiert worden und den Filzen und Mooren im Nationalpark durchaus ebenbürtig. Das Finsterauer Filz ist denn auch bei Wanderern und Ausflüglern sehr beliebt. Das gilt auch für die Hammerklause, eine alte Holztrift, wo einst der Teufelsbach angestaut wurde. Heute ist die Klause ein idyllischer See, an dem sich sehr gut rasten lässt. Das Erweiterungsgebiet ist aber auch ein wichtiger Rückzugsraum für seltene Tierarten. Als Beispiele zählt der Nationalpark-Chef Franz Leibl Haselhühner und Auerhühner auf. Beide Arten stehen auf der Roten Liste und sind streng geschützt. Und natürlich streifen Luchse in dem Gebiet umher.
Es gibt aber auch noch andere Aspekte, die für die Erweiterung sprechen. Einer hat aus Sicht des Rekorde-Fans Söder besonderen Charme: Mit dem Plus von 600 Hektar wäre der Nationalpark Bayerischer Wald nämlich nicht mehr nur der älteste und anerkannteste Nationalpark Deutschlands. Sondern auch der größte Waldnationalpark in der Bundesrepublik. In dem Ranking liegt nämlich der Nationalpark Harz mit seinen 24 700 Hektar Fläche bisher eine Nase lang vor dem Nationalpark Bayerischer Wald (24 250 Hektar). Mit 24 850 Hektar nach der Erweiterung käme der dann zwar knapp, aber doch deutlich auf Platz eins - was Söder in seinem Schreiben an den Freyunger Landrat Gruber denn auch eigens betont.
Der Freyunger Landrat stellt eine Bedingung
Der andere Aspekt ist die Lage des Erweiterungsgebiets direkt am tschechischen Nationalpark Šumava. Die beiden Nationalparks arbeiten traditionell eng zusammen, was auch damit zu tun hat, dass sich ihre Chefs Leibl und Pavel Hubený sehr gut verstehen. Beide Nationalparks kooperieren zuallererst beim Naturschutz. Aber auch in der Forschung laufen gemeinsame Projekte, über den Klimawandel genauso wie über die Flora in der Region oder die Luchse. Und natürlich im Tourismus. Das Netz an gemeinsamen Wanderwegen, Lehrpfaden und mehrsprachigen Info-Stationen wird immer dichter. Das Erweiterungsgebiet passt auch deshalb sehr gut in diese Kooperation, weil von ihm aus bereits einige Wanderwege hinüber in den Šumava markiert sind.
In der Region selbst zeichnet sich Zustimmung zu Söders Vorhaben ab. Der Freyunger Landrat Gruber spricht von einem "fachlich sehr plausiblen Angebot, das sehr gut in die Debatte um den Klima- und den Waldschutz passt". Er stellt aber eine Bedingung. Das Projekt müsse intensiv mit der Bevölkerung und vor allem den Waldbauern besprochen werden. "Man darf es den Leuten nicht einfach überstülpen", sagt Gruber. "Man muss ihre Sorgen zum Beispiel wegen der Borkenkäfer-Gefahr ernst nehmen." Ansonsten wünscht sich Gruber, dass es nicht nur bei der Erweiterung selbst bleibt. Sondern, dass der Freistaat mit der Infrastruktur nachzieht, "etwa mit einem kleinen Besucherzentrum". Der Mauther Bürgermeister Ernst Kandlbinder (CSU) äußert sich ähnlich. Auch die Naturschutzverbände sind erfreut. "Wir hoffen sehr, dass die Pläne bald Realität werden", sagt Richard Mergner vom Bund Naturschutz.
Aber zuerst ist die anvisierte Erweiterung ein Gewinn für den Nationalpark selbst. Er ist der älteste Deutschlands. Das sogenannte Altgebiet rund um den Rachel und den Lusen, das am 7. Oktober 1970 eröffnet worden ist, umfasst 13 300 Hektar und bestand seinerzeit fast zur Gänze aus alten Bergwäldern. 1997 wurde der Nationalpark rund um den Falkenstein auf seine heutige Fläche von 24 250 Hektar erweitert. Die meisten Wälder samt ihren Mooren, Bächen und Schachten, wie die früheren Bergweiden in der Region genannt werden, entwickeln sich getreu dem Nationalpark-Grundsatz "Natur Natur sein lassen" zu einer ursprünglichen Waldwildnis mit einer besonderen Artenvielfalt.
So sind im Nationalpark fast 11 000 Insekten, Pilz- und Vogelarten dokumentiert. In seinem Jubiläumsjahr ist das Schutzgebiet arg von der Corona-Krise gebeutelt worden. So mussten alle bisherigen Feiern abgesagt werden. Nach wie vor ist offen, ob der Staatsempfang zum 50. Jahrestag am 7. Oktober in München stattfinden kann.