Süddeutsche Zeitung

Geschichte des Bayerischen Rundfunks:"Das hätte nicht nach Demokratie ausgeschaut"

Nach dem Krieg startete der BR unter Aufsicht der Amerikaner als Stimme des liberalen Bayerns. Doch schon bald formte die CSU daraus einen christlich-konservativen Heimatsender.

Von Hans Kratzer

Am 25. Januar 2019 darf der Bayerische Rundfunk ein Jubiläum feiern: An diesem Tag wird es 70 Jahre her sein, dass die US-Militärregierung den Sender als öffentlich-rechtliche Anstalt zurück in deutsche Hände gab. Die Hörer, die damals um die Mittagsstunde den Sender Radio München aufgedreht hatten, erlebten am Radiogerät live mit, wie der Direktor der US-Militärregierung in Bayern, Murray D. van Wagoner, die Lizenzurkunde an den BR-Intendanten Rudolf von Scholtz übergab. Dieser Moment gilt als die Geburtsstunde des Bayerischen Rundfunks.

Um 12.45 Uhr meldete er sich unter diesem Namen, den er schon in den 30er-Jahren getragen hatte, zum ersten Mal wieder mit einer Nachrichtensendung. Gleich nach dem Kriegsende hatte die US-Militärregierung den Reichssender München übernommen, der fortan "Radio München" hieß. 400 Deutsche arbeiteten dort, beaufsichtigt von sieben amerikanischen Kontrolloffizieren. Die Amerikaner legten großen Wert auf eine umfangreiche Berichterstattung von den Nürnberger Prozessen. Der Programmauftrag lautete: Umerziehung der Deutschen zu Demokraten. Allerdings verlief dieser Prozess nicht so reibungslos, wie es im Nachhinein oft dargestellt wurde. Zwischen Amerikanern und Deutschen herrschten unterschiedliche Ansichten, wie man dieses Ziel umsetzen solle.

Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Festreden zur Übergabe des Bayerischen Rundfunks (BR) im Januar 1949. Nach einem Plädoyer für eine Demokratisierung der Bevölkerung durch den BR erklärte der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard: "Wir erwarten, dass im Bayerischen Rundfunk unser bayerisches Denken, Fühlen und Wollen auf allen Gebieten zum Ausdruck komme." Er ließ keinen Zweifel daran, dass die Staatsregierung vom Bayerischen Rundfunk erwartete, schwerpunktmäßig die kulturellen Qualitäten Bayerns zum Ausdruck zu bringen.

Der Direktor der US-Militärregierung in Bayern, Murray D. van Wagoner, sagte dagegen: "Der Bayerische Rundfunk sollte allen besonderen Bedürfnissen und Geschmacksrichtungen des bayerischen Volkes gerecht werden und hierbei vor allem bayerische Traditionen, Sitten und Ereignisse berücksichtigen. Zugleich sollte er aber seinen Hörern Programme bieten, die auch ihren Wünschen hinsichtlich außerbayerischer Ereignisse Rechnung tragen. Es muss ein glückliches Gleichgewicht bei den Sendungen über bayerische Angelegenheiten und jenen der deutschen und internationalen Entwicklungen bestehen."

Der hier zutage tretende Konflikt über die Funktion des BR als Massenmedium und Identitätsstifter ist bislang wenig beachtet worden. Der Historiker Georg Karl Maximilian Schulz hat diese Forschungslücke mit seiner Doktorarbeit, die nun stark gekürzt als Buch vorliegt, wenigstens zum Teil geschlossen. Seine Arbeit wirft für die Anfangsjahre ein neues und durchaus überraschendes Licht auf den Bayerischen Rundfunk und sein Selbstverständnis. Schulz geht der Frage nach, ob der Bayerische Rundfunk tatsächlich jenen besonders großen Beitrag zur Modernisierung Bayerns nach 1945 geleistet hat, wie in der wissenschaftlichen Literatur bislang zu lesen war.

Zu diesem Zweck schildert er zunächst die liberalen Anfänge des Rundfunks nach 1945 unter der Oberhoheit der US-Besatzungsmacht und er zeigt personelle, strukturelle und konzeptionelle Verbindungen zum Rundfunk der Weimarer Republik in München auf. Vor allem die Werdegänge der wichtigen Akteure der Frühzeit des BR zeigen, dass die inhaltliche Ausrichtung des Senders deutlich weltanschaulich geprägt war. Obwohl der Sender als Anstalt des öffentlichen Rechts nominell unabhängig war, gelang es der Staatsregierung vor allem unter dem Einfluss des konservativen Kultusministers Alois Hundhammer (CSU), immer größeren Einfluss geltend zu machen.

BR als wichtigstes Instrument bayerischer Kultur- und Staatspolitik

Schulz kommt zu dem Ergebnis, dass Kräfte, die in der Weimarer Republik den politischen Katholizismus mitsamt seinen bayerisch-konservativen Positionen vertraten, nach dem Krieg die Gestaltungshoheit übernahmen. Der Rundfunk sollte in ihren Plänen eine zentrale Rolle spielen, er sollte als wichtigstes Instrument bayerischer Kultur- und Staatspolitik eingesetzt werden. Nach dem Konzept jener Konservativen, die im Sender wichtige Ämter besetzten, sollte der Rundfunk nach dessen Missbrauch durch das NS-Regime zur Identitätsstiftung auf der Basis des christlichen Glaubens und der damit verbundenen Werte und Traditionen der bayerischen Heimat eingesetzt werden.

Auf erhellende Weise legt Schulz die Querverbindungen zwischen dem Sender mit den Instanzen Rundfunkrat, Verwaltungsrat und Intendanz offen. Unter dem Intendanten von Scholtz nahm der BR eine weniger liberale als christlich und bayerisch-konservativ geprägte Entwicklung mit entsprechenden Konzessionen gegenüber der Regierungspartei. Linksliberale und progressive Kräfte in Leitungspositionen, die Kritik an den politischen Verhältnissen übten, wurden in untergeordnete Positionen gedrängt. Ebenso erhielten sie ungünstigere Programmplätze für ihre Sendungen.

Wenn sich der Chefredakteur Walter von Cube für die Sonderstellung Bayerns in Deutschland und Europa stark machte, brachte er dies in prominent platzierten Kommentaren zum Ausdruck. Das politisch kritische Kabarett wurde weitgehend durch volkstümliche Brettl ersetzt. Innerhalb weniger Jahre, so die Bilanz von Schulz, habe der BR als "die Stimme Bayerns" die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Stiftung bayerisch-konservativer Identität geschaffen. Den Amerikanern gefiel das nicht besonders, sie mischten sich aber nicht ein, "das hätte nicht nach Demokratie ausgeschaut", sagt Schulz.

Georg Karl Maximilian Schulz, Die Stimme Bayerns. Der Bayerische Rundfunk zwischen Tradition und Moderne, Verlag Friedrich Pustet, 216 Seiten.

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SZ vom 03.11.2018
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