Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Landtag:NSU-Ausschuss macht Behörden massive Vorwürfe

Ahnungslos, ineffizient, fragwürdig: Im Entwurf für den Abschlussbericht des bayerischen NSU-Untersuchungsausschusses ist die Kritik am Verfassungsschutz des Freistaats vernichtend. Die bayerischen Abgeordneten sind sich einig, dass die Behörde refomiert werden muss.

Von Mike Szymanski

Der Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags zur Aufarbeitung der rechtsterroristischen NSU-Mordserie macht zum Ende seiner Arbeit den Sicherheitsbehörden schwere Verwürfe und mahnt Reformen an. Im ersten Entwurf der Abschlussbewertung, auf die sich am Montag die Mitglieder aller Fraktionen als Arbeitsgrundlage verständigt haben, wird nach Informationen der Süddeutschen Zeitung eine Vielzahl von Versäumnissen aufgelistet: ahnungslose Verfassungsschützer, ineffiziente Strukturen, ein fragwürdiger Umgang mit V-Leuten, unzureichende Zusammenarbeit der Behörden sowie fehlende Offenheit bei den Ermittlungen.

Etwa 40 Seiten umfasst der Berichtsteil, in dem die Mitglieder sich auf eine gemeinsame Bewertung der im Ausschuss gewonnenen Erkenntnisse verständigen. In der kommenden Woche soll der Bericht beschlossen werden. Er dürfte deutlich ausfallen. Was etwa die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz angeht, heißt es:

"Einigkeit besteht darin, dass es verschiedene Kritikpunkte gibt, die Anlass für Reformen sein sollten." Den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, die in den Neunzigerjahren den Rechtsextremismus beobachteten, wirft der Ausschuss fehlende Kompetenz vor. "Defizite sieht der Untersuchungsausschuss darin, dass bei der Auswertung der Informationen eine wissenschaftliche Durchdringung der Phänomene des Rechtsextremismus unterblieb."

Veränderungen? Nichts mitbekommen.

Die Behörde hatte nicht mitbekommen, wie sich die Szene veränderte und radikalisierte. Unterbesetzt war die Behörde nach Auffassung des Gremiums jedenfalls nicht. Unzufrieden sind die Ausschussmitglieder auch, wie der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten umging. Im Ausschuss wurden Fälle bekannt, wie V-Leute aktiv die rechtsextremistische Szene mit aufgebaut hatten.

Dazu heißt es im Bericht, dass der Untersuchungsausschuss "umfangreichen Verbesserungsbedarf bei der Führung der V-Leute" sieht. Soweit der Ausschuss das überprüfen konnte, hätten die V-Leute des Landesamtes nichts von den Mordtaten des Nationalsozialisten Untergrunds (NSU) gewusst. Jedoch hatten zwei Quellen vor dem Untertauchen der Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe "diese zumindest aus der Szene gekannt".

Ermittlungen in die falsche Richtung

Die Ermittler werden in dem Bericht schwer dafür gerügt, dass sie sich wenig offen für andere Ermittlungsansätze zeigten. "Es ist kritisch zu sehen, dass man sich aufgrund der Anhaltspunkte und Spuren, die sich jedoch meist bald als unzutreffend erwiesen, zu sehr auf die Ermittlungsrichtung organisierte Kriminalität konzentrierte und eine Offenheit für Ermittlungen in andere Richtungen fehlte", heißt es im Bericht.

Und weiter: "Tatsächlich ergaben die in Richtung der organisierten Kriminalität geführten Ermittlungen nie eine wirklich belastbare Spur. Sie beruhten größtenteils nur auf zweifelhaften Angaben von Zeugen oder anderweitigen Quellen." Als Beleg führt der Ausschuss an, dass allein in Nürnberg und München 900 türkische Kleinunternehmer persönlich aufgesucht worden seien, um Hinweise zu bekommen. "Dagegen erfolgten lediglich neun sogenannte Gefährderansprachen im Bereich der rechten Spur."

Heftig kritisiert wird zudem, dass die bayerischen Ermittler nicht rechtzeitig unter anderem auf die Hilfe des Bundeskriminalamtes (BKA) zurückgegriffen haben, diese zeitweise sogar zurückwiesen. Die Ausschussmitglieder sind der Meinung, dass Bayern bereits 2004 die Ermittlungen ans BKA hätte abgeben oder zumindest eine Steuerungsgruppe hätte einrichten sollen. Die Anstrengungen, "zentrale polizeiliche Ermittlungen" aufzunehmen, seien "zu spät" erfolgt, urteilt das Gremium, das insgesamt künftig eine bessere Zusammenarbeit der Behörden einfordert.

Einig sind sich die Ausschussmitglieder auch darin, dass die Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen ist. In München läuft der Prozess gegen Beate Zschäpe und Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds. Ein weiterer U-Ausschuss könne notwendig werden. Den Tätern des NSU werden zehn Morde vorgeworfen, fünf davon allein in Bayern.

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SZ vom 04.07.2013/infu/odg
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