Volksbegehren Artenvielfalt:"Jetzt ist wieder der Bauernverband an allem schuld"

Volksbegehren Artenvielfalt: Über die Krise des Bauernverbands diskutierten (v.l.) die Landwirte Hermann Etzel, Robert Willnecker, Josef Meindl und Stefan Stelzeneder.

Über die Krise des Bauernverbands diskutierten (v.l.) die Landwirte Hermann Etzel, Robert Willnecker, Josef Meindl und Stefan Stelzeneder.

(Foto: Hans Kratzer)

Bayern und Bauern, das war einst eine Einheit. Doch seit dem Volksbegehren wächst unter den Landwirten die Wut.

Von Hans Kratzer und Christian Sebald

Mitten auf dem Stadtplatz von Pfarrkirchen thront ein markantes Zeugnis des Bauernstolzes. Dieses Pferdestandbild stemmt sich ehern gegen alle Stürme, die den Bauernstand umtosen, erst recht nach dem Volksbegehren "Rettet die Bienen". Einen Steinwurf vom sogenannten Wimmer-Ross entfernt steht das Gasthaus Spatzl. Dort haben sich eine Handvoll Landwirte versammelt, allesamt Funktionäre des Bayerischen Bauernverbands (BBV). Ihr Frust, so viel schon mal vorweg, ist groß. Sie suchen nach einer Erklärung für die Misere, in die ihr Berufsstand hineingeschlittert ist - obwohl er das Land über Jahrhunderte hinweg geprägt hat: Bayern und Bauern, das war eine Einheit.

"Wir werden ganz allein an den Pranger gestellt, das tut sehr weh", sagt Stefan Stelzeneder mit leicht resigniertem Unterton. Die beim Volksbegehren fast mantraartig vorgebrachten Vorwürfe, die Landwirte zerstörten die Umwelt, hält der Milchbauer und Bullenmäster für unberechtigt. "Man muss sich nicht wundern, wenn die Jungen keine Bauern mehr werden wollen", pflichtet Josef Meindl bei, auch er lebt von Milchkühen und Bullenmast.

Es ist aber nicht nur das Volksbegehren, das die BBV-Leute tief verunsichert. Sondern auch die schnelle Entscheidung von Ministerpräsident Markus Söder, alle Forderungen der Initiative zu übernehmen. Damit hat Söder den BBV und dessen Präsidenten Walter Heidl so brüsk vor den Kopf gestoßen, wie kein CSU-Politiker vor ihm. Noch schlimmer, er hat ihnen damit zugleich vor Augen geführt: Arbeiter und Bauernschaft als Fundament der Gesellschaft - das war vielleicht mal im 19. und 20. Jahrhundert so. Selbst im einstigen Agrarland Bayern ist der Bauernverband inzwischen nur noch eine Lobbygruppe von vielen, aber keinesfalls mehr eine tragende Säule der Staatsregierung. Das schmerzt.

"Jetzt ist wieder der Bauernverband an allem schuld", klagt Hermann Etzel, BBV-Kreisobmann im Landkreis Rottal-Inn, einer immer noch agrarisch geprägten Gegend. Die Bauern waren hier einst so selbstbewusst wie heute die Start-up-Unternehmer. Davon ist wenig geblieben. Statt dessen breitet sich Verunsicherung aus. "Sogar beim Jahrtausendhochwasser in Simbach hat's geheißen: Das liegt nur an den Bauern." Etzel nerven besonders die "vielen besserwisserischen Vorgaben" von Leuten, die seiner Meinung nach wenig Ahnung von der Landwirtschaft haben. "Da verlier ich echt den Glauben", sagt er und greift zu einem drastischen Vergleich: "Es ist so ähnlich, als würden wir Bauern den Herzchirurgen erklären, wie sie bei einer Operation schneiden müssen."

Heidl und der BBV treten seit jeher mit dem Anspruch auf, nur sie alleine repräsentierten die Landwirte - als eine Art Volkspartei für Wiesen und Äcker, unter deren Schirm sich alle versammeln. Die kleinen Nebenerwerbler mit zehn Kühen im Stall, die Geflügelmäster, die ihre Hähnchen in 40 000er-Einheiten zählen, die Biogasbauern mit ihren Maisfeldern und die Ökolandwirte. Für sie ist der BBV auch allumfassende Servicestelle mit 62 Geschäftsstellen. Die Mitarbeiter beraten die BBV-Mitglieder in Steuer-, Rechts- und Versicherungsfragen, helfen bei der Hofübergabe und halten Muster-Pachtverträge bereit. So wie die Mitgliedschaft im ADAC für die meisten Autofahrer selbstverständlich ist, gehört es auf dem Land zum guten Ton, im BBV zu sein. Deshalb hat der Verband auch 145 000 Mitglieder, fast 40 000 mehr als es Höfe gibt. In vielen Familien wird die Mitgliedschaft regelrecht weitervererbt.

Die Symbiose zwischen BBV und CSU prägte lange Zeit die Politik im Freistaat. Ihren Anfang nahm sie nach dem Krieg. Der parteipolitische und konfessionelle Pluralismus in der Landwirtschaft, wie es ihn in der Weimarer Republik gab, fand nach 1945 keine Anhänger mehr. Seinerzeit hatten Katholiken, Protestanten und Antikleriker jeweils ihre eigene Vertretung, was sie insgesamt aber schwächte. Nach dem Neustart agierte der BBV von Anfang an als Lobby der hauptberuflichen und großbäuerlichen Landwirtschaft. "Durch das Verschwinden der Kleinbetriebe gewann er schnell an Legitimität, Homogenität und Stabilität", bilanziert der Agrarhistoriker Johann Kirchinger.

Der Bauernverband und CSU wuchsen auf dem Land zu Monolithen heran. Und obwohl beide Organisationen an Macht eingebüßt haben, sorgen BBV-Orts- und Kreisobmänner als CSU-Mitglieder in Gemeinderäten und Kreistagen immer noch dafür, dass alles nach dem Wunsch ihres Verbands läuft. Kreisobmann Etzel zum Beispiel ist CSU-Ortschef und Bürgermeister in seinem Heimatort Egglham. Auch die Liste hochrangiger BBV-Funktionäre, die für die CSU im Landtag saßen, ist lang. Ex-Landesbäuerin Annemarie Biechl und der legendäre Rosenheimer Kreisobmann Sepp Ranner dominierten einst den Agrarausschuss des Landtags. Politik aus einem Guss gewissermaßen. Weniger Wohlwollende sagen: ein über Jahrzehnte gewachsener Filz aus Politik, Beamten und Verband.

Seit einiger Zeit sind die Bauern selbst eine bedrohte Art

Volksbegehren Artenvielfalt: Bauernstolz: Anfang des 20. Jahrhunderts war die Landwirtschaft noch das Rückgrat der Gesellschaft.

Bauernstolz: Anfang des 20. Jahrhunderts war die Landwirtschaft noch das Rückgrat der Gesellschaft.

(Foto: HDBL Herrsching)

Das gesellschaftliche Klima freilich hat sich geändert. Das Bild vom Bauernstand als Ernährer des Volks ist einer kritischen Sichtweise gewichen. Das hat Folgen. Im Gasthof Spatzl hat sich Veit Hartsperger zum Bauerntisch dazugesellt. Er leitet die BBV-Geschäftsstelle Altötting/Mühldorf-Eggenfelden und macht sich Sorgen um die Zukunft der Betriebe. "Der Druck auf die Familien ist schon lange spürbar", sagt er. Aber jetzt habe er sich nochmals stark erhöht. In den Beratungen komme zutage, dass "die psychischen Krankheiten dramatisch ansteigen". Zugleich schwinde das Interesse an dem Beruf auffällig. "Die nervliche Belastung, die Nichtanerkennung der Leistung, das nagt gewaltig an den Familien." Hartsperger hört dann Sätze wie diesen: "Wir trauen uns gar nicht mehr, die Kinder Landwirtschaft lernen zu lassen. Dabei machen wir unsere Arbeit doch eigentlich gerne."

Seit einiger Zeit geht es den Bauern wie den Wildbienen und den Schmetterlingen, derer sich jetzt das Volksbegehren angenommen hat. Sie werden selbst zur bedrohten Art. In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Zahl der Höfe in Bayern auf gut 100 000 halbiert. Knapp zwei Drittel der Bauern haben neben der Landwirtschaft noch einen anderen Job. Ohne die Milliarden der EU würde sich aber selbst für Nebenerwerbler die Landwirtschaft nicht mehr rentieren. Auf vielen Höfen machen die Subventionen der EU die Hälfte des Einkommens aus. Vor allem die Haupterwerbler stöhnen unter der Last der harten Arbeit. Früher gab es in jedem Dorfgasthaus mindestens einen Bauern-Stammtisch. Heute muss man lange suchen, bis man einen findet. Die Wirtshäuser sind aus den Dörfern ebenso verschwunden wie die Ställe und die bäuerliche Kultur. Und das Höfesterben schreitet ungebremst fort. "Das ist momentan wirklich krass", sagt der Ackerbauer und Schweinemäster Robert Willnecker.

Viele Mitglieder des BBV nervt die dauernde Kritik an der Industrialisierung der Landwirtschaft samt ihrem massiven Einsatz an Dünger und chemischem Pflanzenschutz. Sie haben die Nase voll vom dauernden Streit um die Ferkelkastration und andere Auswüchse der Massentierhaltung. Für Willnecker ist es vor allem dieses "Bauern-Bashing" das den Strukturwandel forciert. "Alles was wir zum Tierwohl oder zu den Grünstreifen machen, kommt bei den Menschen nicht an" klagt er. "Viele glauben, wir spritzen und düngen mehr als je zuvor." Und jetzt auch noch das Bienen-Volksbegehren.

Für den BBV geht es nun ums Ganze. Präsident Heidl hat seinen Terminkalender freigeschaufelt für den runden Tisch, an dem die Details der neuen Artenschutzoffensive der Staatsregierung ausgehandelt werden. "Egal wie groß der Frust ist, wir können uns jetzt nicht wegducken", sagt er. "Wir müssen dafür sorgen, dass all die neuen Vorgaben für uns Landwirte handhabbar sind und wir einen angemessenen finanziellen Ausgleich bekommen." 140 Millionen Euro zusätzlich soll Söder den Bauern für die nächsten beiden Jahre versprochen haben. Vielen im Bauernverband ist das zu wenig.

Aber Heidl kämpft nicht nur am runden Tisch. Sondern auch intern. Es kursiert der Vorwurf, der Bauernpräsident gebe sich viel zu versöhnlich. Damit habe er es Söder einfach gemacht, das Volksbegehren durchzuwinken. Tatsächlich hatte Heidl schon beim ersten Treffen des runden Tisches signalisiert, dass das Volksbegehren nichts enthalte, worüber man nicht reden könnte. Heidl sei nicht wiederzuerkennen gewesen, hieß es , so konstruktiv und ohne Schaum vor dem Mund. Wenige Tage zuvor hatte der Bauernpräsident das Volksbegehren noch eine "Hetzkampagne" genannt. Nicht wenige im BBV hätten lieber diesen harten Kurs fortgesetzt.

Das hat auch Heidl gemerkt. In einem Brief bittet er die Ortsbauern fast schon inständig um ihr Vertrauen und versichert, "mit aller Kraft für die Interessen unserer Mitgliedsbetriebe zu kämpfen". Den Segen der Bauern im Pfarrkirchner Gasthaus Spatzl hat Heidl. "Mit der Landwirtschaft kannst du viel verdienen, nur betreiben darfst du sie nicht", zitiert einer am Tisch einen gängigen Spruch. Aufgeben wollen sie trotzdem nicht. Schließlich ist jetzt die Zeit der Aussaat. Heidl hat bisher herausgeholt, was herauszuholen war. Und besser wird es wohl nicht mehr werden, wie es ja schon in einer alten Bauernweisheit festgehalten ist: "Wie's im April und Maien war, so wird das Wetter im ganzen Jahr."

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