Barbara Stamm:Eine Politik-Ära vor ihrem Ende

Barbara Stamm bei einer Plenarsitzung im Landtag.

Barbara Stamm bei einer Plenarsitzung im Landtag.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die Landtagspräsidentin Barbara Stamm genießt unangefochtene Autorität. Obwohl sie bereits 73 Jahre alt ist, tritt sie für die CSU noch einmal auf der Liste an - ihre Erfolgsaussichten sind schlecht.

Von Wolfgang Wittl

Barbara Stamm bräuchte jetzt dringend etwas, woran sie sich festhalten kann. Aber vor ihr liegen nur ein paar Blätter Papier. Also der Griff zur Brille, einmal zurecht gerückt, weiter im Text. Jedem hat sie bereits gedankt, vom Fraktionschef bis zum Sanitäter, nun spricht sie in eigener Sache. Fünf Jahre habe sie Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags sein dürfen, zehn Jahre seine Präsidentin. "Ich darf Ihnen sagen, dass dies nicht in meiner Geburtsurkunde gestanden hat." Die Abgeordneten klatschen, alle stehen auf. Auch jene, die nicht der CSU angehören. Es war die letzte Sitzung in dieser Amtszeit.

Ein seltsamer Hauch von Abschied weht am Donnerstagabend durch den Plenarsaal. Zum elften Mal tritt Barbara Stamm am 14. Oktober zu einer Landtagswahl an. In der CSU gibt es niemanden, der ihr das Amt der Präsidentin offen streitig machen würde. Kaum jemand im Freistaat wird wieder so viele Stimmen holen wie die 73-Jährige. Die Liste in Unterfranken führt selbstverständlich sie an, nicht der Minister. Trotzdem weiß jeder im Saal: In der nächsten Legislatur wird wohl eine andere Person die Sitzungen leiten. Die Frage ist nur, für wen der Einschnitt größer ist: für Barbara Stamm oder die CSU?

Als Horst Seehofer noch dachte, er dürfe selbst als Ministerpräsident in die Wahl gehen, hat er Stamm regelrecht bekniet, sie müsse weitermachen. Wetzspuren an Markus Söders Hosen sind nicht bekannt, aber auch nicht auszuschließen. Er danke herzlich für den Dienst an Bayern und der Partei, ruft Söder ihr am CSU-Parteitag zu. Ein Dienst, der auch Söder bei der Wahl zum Ministerpräsidenten helfen könnte. 217 083 Stimmen sammelte Stamm bei der Wahl 2013, nur Seehofer hatte mehr. Der nächstbeste Unterfranke, CSU-Bezirkschef Gerhard Eck, kam trotz eigenen Stimmkreises nicht mal auf ein Viertel.

Barbara Stamm führt ihren Wahlkampf wie immer

Stamm trat immer nur auf der Liste an, volles Risiko, seit sie 1976 erstmals in den Landtag einzog. Doch diesmal sprechen alle Prognosen gegen sie, zumal Unterfranken noch ein Mandat an das wachsende München abgeben musste. Es wäre mehr als eine Sensation, käme Stamm wieder in den Landtag. Doch selbst wenn: Barbara Stamm führt ihren letzten großen Wahlkampf, sie führt ihn wie immer.

Ein Septembertag in Würzburg, ihrer Heimat. Politiker werben für Naturschutz und Inklusion. Auf Stamms Plakat steht ein Satz: "Für die Menschen." Stamm sitzt in einem Wirtshaus, nein: sie residiert. Gleich kommt der Bürokratie-Beauftragte der Staatsregierung, er darf sich auf ihren Wunsch anhören, mit welch unnützen Vorschriften Gastronomen und Vereine behelligt werden. Zwei Dutzend Menschen sind da, jeder erweist Stamm die Ehre. Handschlag. Verbeugung. Stamm wehrt ab: "Ich bin ja nur die Zuhörende heute."

Ein paar Mal mischt sie sich dann doch ein. Stamm kennt jeden im Raum, mit einigen Anwesenden ist sie per Du. Sie nimmt die Sorgen auf, aber sie widerspricht auch. "Sie sind ein wunderbarer Mensch, aber die Feinheiten der Politik sind manchmal beschwerlich", sagt sie zu einem Koch. Auf Kritik an der Ausschreibepraxis des Landtags entgegnet sie: "Das ärgert mich jetzt schon. Ich muss doch auch Gesetze beachten." Ein paar Minuten später prostet der Kritiker ihr zu: "Ich verstehe Sie ja." So funktioniert das Prinzip Stamm: Nähe aufbauen, Vertrauen schaffen, Kurs halten. Es ist die elegantere Variante eines Lieblingssatzes von Franz Josef Strauß. Politiker müssten dem Volk aufs Maul schauen, aber nicht nach dem Mund reden.

Stamm zählt zu den letzten drei aktiven Politikern, die Strauß persönlich ins Kabinett berufen hat (neben ihr Thomas Goppel und Alfred Sauter). Es ist ein Klausurabend im Herbst 1987, als Fraktionschef Gerold Tandler ihr im Kloster Banz ausrichtet: "Du sollst ins Bierstüberl zum Chef kommen." Stamm staunt. Immer wieder hat sie Strauß widersprochen, nicht mal beim Trennungsbeschluss 1976 folgte sie ihm. Strauß ist nicht nachtragend, Stamm soll 1987 Staatssekretärin werden. Aber wo? Neben Strauß sitzen Kultusminister Hans Zehetmair und Staatskanzleichef Edmund Stoiber. Kultus? Der Stoiber behaupte ja, Sozialpolitik sei ihr auf den Leib geschneidert, sagt Strauß. "Kurze Antwort, stimmt das, ja oder nein?" Wenig später saß Stamm im Sozialministerium.

Stoiber hat sie bis heute nicht verziehen

Es war die Zeit, als Stoiber und Stamm sich noch verstanden. Er berief sie zur stellvertretenden Ministerpräsidentin, 2001 kommt es zum Bruch. Stoiber lässt Stamm in der BSE-Krise fallen, zu Unrecht, wie viele auch in der CSU finden. Stamm verliert ihr Ministeramt, sie hat es Stoiber bis heute nicht verziehen. Während in München das diesjährige Oktoberfest beginnt, eröffnet Stamm in Schwandorf die Aktionswoche "Herbstlich willkommen" des Bayerischen Gärtnerei-Verbandes, der den Landtag jedes Jahr am Valentinstag mit Blumen überschwemmt. Sie räsoniert über die Bedeutung von Beratungsstellen, dann sagt sie unvermittelt: "Wenn ich an Stoibers Zeiten denke, was da eingespart wurde."

Stamm ist als Schirmherrin gekommen. In München feiern Zehntausende im Bierzelt, im Gewächshaus in Schwandorf sitzen 25 Menschen zwischen Heidekraut und Hornveilchen. "Für mich ist eine Schirmherrschaft immer noch etwas Besonderes", sagt Stamm: "Entweder ich komme - oder ich lasse es gleich." Sie sei froh, den Tag mit Menschen verbringen zu können, die mit dem Land verwurzelt seien. Selbst hier mahnt sie an die Verantwortung jedes Einzelnen für die Gesellschaft: "Reden wir nicht darüber, was uns trennt, reden wir darüber, was uns verbindet."

Mit Leuten zu reden, das ist für Barbara Stamm die Grundlage für gute Politik. Keine Sozialministerin nach ihr hat das "S" im Parteinamen mit mehr Herzenswärme verkörpert. Sie kann emotional sein bis zum Tränenfluss, Parteifreunde beklagen mitunter "Larmoyanz" und "mangelnde Kritikfähigkeit". Andere finden, sie habe es in der Verwandtenaffäre mit ihrem Beschützerinstinkt zugunsten der Abgeordneten übertrieben. Andererseits versteht Stamm es durchaus, Konflikte auszutragen. In der jüngsten Parteivorstandssitzung geriet sie mit Landesgruppenchef Alexander Dobrindt aneinander. Stamm plädiert bei der Abschiebung von berufstätigen Asylbewerbern für eine rückwirkende Stichtagsregelung. Dobrindt warf ihr vor, sie stelle sich außerhalb des Rechts - nichts, was Stamm sich gefallen lassen wollte. "Da haben die Wände gewackelt", sagt ein Teilnehmer.

Peter Paul Gantzer kann sich das gut vorstellen: "Sie ist die Mutter Teresa der CSU, aber sie kann auch mit der Faust auf den Tisch hauen." Seit 40 Jahren sitzt der SPD-Mann Gantzer mit Stamm im Landtag, er hat all ihre Höhen und Tiefen aus der Ferne miterlebt. Er hat gesehen, wie in der CSU ihre - inzwischen überwundene - Krebserkrankung instrumentalisiert wurde, ehe sie 2008 Landtagspräsidentin wurde. Auch jetzt werden Namen für die Nachfolge genannt, wenn auch respektvoll dezent: Ilse Aigner, Thomas Kreuzer, Joachim Herrmann, Marcel Huber. Stamm, sagt Gantzer, habe nie politisch taktiert, sie habe sich immer an den Menschen orientiert. Dass sie erneut kandidiere, sei typisch. "Sie ist immer Parteisoldatin gewesen." Gantzer bedauert das. "Weil sie noch einmal antritt, haben wir sie zum Abschied nicht mal richtig ehren können."

Barbara Stamm sagt, sie habe sehr lange überlegt mit ihrer Familie. Danach sagte ihr Sohn: "Mutter, du hast jetzt kein einziges Argument geliefert, warum du nicht kandidieren solltest." Worüber rede man also eigentlich? Stamm sitzt in ihrem Landtagsbüro, neben ihr liegt eine blaue Mappe. Es sind Terminanfragen für die nächsten Monate, fünf Zentimeter dick. Wenn sie Jüngere blockieren würde, wäre sie sofort weg, sagt Stamm. Tatsächlich werden ihre Stimmen den Jüngeren helfen. "Wenn jemand über die Liste reinkommt, dann die Barbara", sagt ein CSU-Mann. Stamm spricht viel über die Menschen im Land, über rauer werdende Zeiten, über eine auseinander driftende Gesellschaft. Sie sagt: "Ich möchte dazu beitragen können, dass es besser wird, auch wenn es persönlich nicht reicht." Und wenn es wirklich der Abschied ist? "Ich bin mit mir im Reinen."

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