Bayern 1919:Bamberg - Landeshauptstadt auf Zeit

Bayern 1919: Vom April 1919 an leisteten auch Bürgerwehren (deren Mitglieder weiße Armbinden trugen) Sicherheitsdienste in der Regierungsstadt Bamberg.

Vom April 1919 an leisteten auch Bürgerwehren (deren Mitglieder weiße Armbinden trugen) Sicherheitsdienste in der Regierungsstadt Bamberg.

(Foto: Stadtarchiv Bamberg)

Nach der Ermordung Eisners 1919 war es in München zu gefährlich für die Regierung - sie rettete sich nach Bamberg. Bevölkerung und Geschäftsleute erhofften sich einen Aufschwung. Vergebens.

Von Hans Kratzer, Bamberg

In den Wochen nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 21. Februar 1919 versank München im Chaos. Der Kampf zwischen Rätesystem und Parlamentarismus sowie zwischen föderalen und zentralistischen Vorstellungen über die neue Verfassung wurde mit großer Härte geführt. Die im März 1919 vom Landtag autorisierte Regierung unter dem SPD-Politiker Johannes Hoffmann geriet unter massiven Druck.

Weil ihre Sicherheit in München nicht mehr gewährleistet war, zog sie sich mit zahlreichen Landtagsabgeordneten nach Bamberg zurück. Dass Bamberg in dieser unruhigen Phase Sitz der Staatsregierung war und dass hier bedeutende Beschlüsse wie die Bamberger Verfassung von 1919 gefasst wurden, das wird in der öffentlichen Wahrnehmung bis heute weitgehend verdrängt. Auch bei den zurückliegenden Feierlichkeiten zu "100 Jahre Freistaat Bayern" war von Bamberg, wenn überhaupt, nur sehr am Rande die Rede.

Die Verabschiedung der ersten demokratischen Verfassung in Bayern fiel in einen der turbulentesten Abschnitte der Landesgeschichte. Nach dem Umsturz im November 1918 hatte die revolutionäre Regierung Eisner sogleich den Staatsrechtler Robert Piloty und den Ministerialrat Josef von Graßmann beauftragt, eine Verfassung für den "Volksstaat Bayern" auszuarbeiten. Die parlamentarischen Beratungen verzögerten sich aber wegen der Unruhen bis zum April 1919. Bamberg war als Regierungsort keine schlechte Lösung. Der spätere Justizminister Ernst Müller-Meiningen schwärmte: "Gebadet in Sonnenschein und Blütenpracht lag dieses herrliche Land vor uns, uns täglich den Schwur erneuern lassend, dieses köstliche Land deutscher Erde nicht in Anarchie und Bolschewismus verkommen zu lassen."

"Natürlich wurde die Verwaltung des Landes durch die Verlagerung der Regierung nicht einfacher", sagt Horst Gehringer, der Leiter des Bamberger Stadtarchivs. Allein schon wegen des aufwendigen Transports der Unterlagen. Das Justizministerium wurde provisorisch im Bamberger Gerichtsgebäude untergebracht, das Verkehrsministerium im Bahnhof. Es herrschte ein reger Pendelverkehr zwischen München und Bamberg, vor allem Ministerialbeamte fuhren hinauf und hinunter. Am 17. August 1919 endete Bambergs Funktion als Hauptstadt wieder.

Bis dahin hatten sich die Bamberger von ihrem neuen Status als Regierungssitz viel versprochen, sagt Gehringer, der in einem neuen Sammelband über die Bamberger Verfassung untersucht hat, welche Auswirkungen die Verlagerung der Regierung auf das Stadtleben hatte. Viele witterten gute Geschäfte, aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Ein Ministerium bildete damals im Gegensatz zu heute nur einen bescheidener Apparat mit einem Personalstand von unter 20. "Dass diese Minimalbesetzung unter schwierigen Bedingungen die ganze Arbeit stemmte, das ist schon erstaunlich", sagt Gehringer, dem diese Leistung heute noch Respekt abnötigt.

Ein Lichtblick in diesen destruktiven Zeiten war die Überschaubarkeit von Bamberg mit seinen gut 50 000 Einwohnern. Die Abgeordneten besuchten fleißig die vielen Bierkeller, immerhin gab es in Bamberg 27 Brauereien. "Da kam man sich näher", sagt Gehringer, und das war gut für die junge Demokratie. Manchmal verstand man sich, etwa beim Kartenspielen, fast zu gut, weshalb sich der Ministerpräsident Johannes Hoffmann veranlasst sah, seine Regierungsmitglieder an das Gebot der Verschwiegenheit zu erinnern.

Wegen des überstürzten Aufbruchs herrschte Kleidungsnotstand

Das konservative, etwas verschlafene Bamberg erwies sich für die Regierung als eine sichere Basis. In der unruhigen Industriestadt Nürnberg wäre das Regieren wohl wesentlich schwieriger gewesen. Die weitläufigen Sicherheitsvorkehrungen waren aber auch im Bamberger Stadtbild deutlich zu merken, etwa an den patrouillierenden Bürgerwehrmännern mit ihren grauen Mänteln und weißen Armbinden. Nicht zuletzt standen das in Bamberg beheimatete 5. kgl. bayerische Infanterieregiment und das 1. kgl. bayerische Ulanenregiment treu ergeben hinter der Regierung, die sich eh schon genug mit allerlei Kleinkram herumschlagen musste. Im Stadtarchiv seien Akten mit wunderbaren Geschichten zu entdecken, sagt Gehringer. Etwa, wie sich der Justizminister persönlich darum kümmern musste, dass angesichts des Mangels für seine Leute wenigstens ein paar Gramm Tabak aufgetrieben wurden. Wegen des überstürzten Aufbruchs aus München herrschte im Bamberger Regierungsapparat überdies ein Kleidungsnotstand.

Deshalb wurden in einem Depot sogar alte Militärmäntel ausgehoben, um den Beamten eine wenigstens einigermaßen ihrem Status angemessene Kleidung zu verschaffen. Solche Kleindramen gehören ebenfalls zur Begleitmusik der ersten demokratischen bayerischen Verfassung, die am 14. August 1919 vom Landtag verabschiedet wurde. Kurz darauf kehrten Regierung und Abgeordnete wieder nach München zurück, um auf der Grundlage der "Bamberger Verfassung" weiterzuregieren. Reichswehr und Freikorps hatten die Räterepublik in München blutig beendet.

Mehr zum Thema im neuen Band von Horst Gehringer, Hans-Joachim Hecker, Hans-Georg Hermann (Hrsg.), Demokratie in Bayern. Die Bamberger Verfassung von 1919, Bamberg 2019.

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