Uni-Atlas Bayern:Studieren in Gottschalks Geburtshaus

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Illustration: Korbinian Eisenberger

In Bamberg hat fast jedes Uni-Gebäude eine besondere Geschichte. In diesem historischen Ambiente gedeihen vor allem die Geisteswissenschaften.

Von Johann Osel, Bamberg

"Es ist hier körperlich einfach ein ganz anderes Gefühl", sagt Godehard Ruppert, das "Magisch-Zauberhafte, die Atmosphäre, die einen sofort gefangen nimmt." Anfang der Neunzigerjahre kam er als Professor für Religionspädagogik nach Bamberg. Aus Hannover. Dann stand er im ehemaligen Jesuitenkolleg, das vor einem halben Jahrtausend Keimzelle der Universität war und immer noch die Theologie beherbergt. Man kann sich das gut vorstellen, wenn man das Gebäude heute betritt, steinerne Böden, kühle Luft selbst an heißen Tagen, knarzendes Holz, Aura.

Vom Hörsaalfenster aus muss Ruppert auch damals diesen Blick in den Hof gehabt haben, alles grün, klösterlich ruhig. Aus Hannover sind ihm andere Böden in Erinnerung, "rubbeliger Kunststoff, auf dem wohl schon Zigtausende Zigarettenkippen ausgetreten wurden". In der niedersächsischen Stadt flüchtete man eher von der Uni nach Hause, sagt er; in Bamberg bleibt man gerne oder flaniert durch die Stadt, genießt die "Cool-Down-Atmosphäre, bleibt auch mal wo hängen auf ein Bier oder ein Glas Wein".

Godehard Ruppert ist hängengeblieben in Bamberg, seit gut anderthalb Jahrzehnten ist er Uni-Präsident - und bringt die Hochschule strategisch voran, expandiert. Innerhalb dieser 15 Jahre hat sich die Studentenzahl fast verdoppelt.

"Universität in der Stadt" - das ist das Konzept, keinen Klotz auf der grünen Wiese wollte man. Ein Frühsommertag lädt ein zum Schlendern durch die Straßen, die zugleich Campus sind: vorbei am Standort der Geschichtswissenschaften, dem früheren Hochzeitshaus, in dem sich Bürger vor allem im 17. Jahrhundert vermählten und betranken.

Überall wartet Geschichte, in jedem Uni-Gebäude beinahe, Häuser waren einst Arbeitsstätte von Schlächtern, Sitz von Adeligen. Oder das Markushaus, vormalig Frauenklinik, immerhin erblickte Thomas Gottschalk hier das Licht der Welt. Nun lernen darin Psychologiestudenten. Ein kleiner Kosmos aus Uni-Gebäuden, Bibliotheken, Cafés, Buchhandlungen, mitten im Weltkulturerbe. Jeder Präsident schwärmt wohl von seiner Stadt, der in Bamberg aber zu Recht.

Alteingesessene, Studenten, Touristen scheinen hier in harmonischer Symbiose das Leben zu genießen. Der Bamberger an sich, das kann man an den urigen Stehtheken der vielen Brauereien erfragen, ist eh "dollerandd". Sogar an das rheinische Idiom des gebürtigen Bonners Ruppert hat man sich gewöhnt.

Von Provinz-Uni kann keine Rede mehr sein

Eine serbische Erasmus-Studentin erzählt, dass sie "unbeschreiblich froh" sei, hier gelandet zu sein, wegen der "Warmherzigkeit". Kurze Wege, die Atmosphäre, das beflügelt das Miteinander. Studenten berichten: Am Café Müller, Sonnenplatz im Kosmos, muss jeder vorbei, oft bleibt man kleben. Und wenn da Studenten und Professoren aufeinandertreffen, kaffeeschlürfend-müslischaufelnd, spricht man kurz, man kennt sich, eine Frage zum Referat - Sprechstunde gespart. Wobei man auch hört, dass Personal fehlt in der Lehre. Manche an der Uni beklagen schon Massenbetrieb, Geheimtipp in Sachen Betreuung sei Bamberg nicht mehr so ganz.

Dafür in Sachen Fachzuschnitt: Geisteswissenschaften sind andernorts oft Stiefkind, als brotlose Kunst bringen sie kaum Drittmittel, man kann damit nicht angeben wie mit Naturwissenschaften, in denen der nächste Nobelpreisträger womöglich werkelt. In Bamberg sind die Fächer Kernstück, früher hat man sie als Diplom-Studiengänge geführt, mit Praxis, damit eben keine Absolventen brotloser Kunst herauskommen: Diplom-Germanisten, Diplom-Historiker.

Auch im Bologna-System blieb der Praxisbezug erhalten, Germanisten können etwa Übungen in Kulturmanagement belegen. Und da sind die abseitigen Fächer. "Der englische Rasen ist kein Idealbild für die Wissenschaft", sagt Ruppert. "Wir brauchen die Vielfalt der Blüten, nicht die gleichlangen Halme." Beispiele: Iranistik, Europäische Ethnologie, Denkmalpflege. Historische Disziplinen genießen einen guten Ruf, wo, wenn nicht hier, sollte das so sein. Als starkes Feld gelten zudem die Sozialwissenschaften, eine Doktorandenschule in der Exzellenzinitiative hat Bamberg abgestaubt; ein Leibniz-Institut siedelte sich an. Nicht alltäglich.

Und so hat sich diese "Universität in der Stadt" immer mehr in die Stadt hineingefräst, wenn ein Haus oder Grund frei wurde, dann saß die Hochschule schnell drauf. Man hat neu gebaut zwischen historischen Gebäuden. Einen Campus außerhalb der Stadt - an der Feldkirchenstraße, Sechzigerjahre-Hässlichkeit - gibt es sehr wohl auch. Wenig bezaubernd da. Und da wäre der jüngste Akt der Expansion, das frühere Gelände einer Textilfabrik, auf 18 000 Quadratmetern sind Hörsäle entstanden. Ohne die Entlastung stünde die Uni am Kollaps.

Viertelstunde Fußweg dorthin, der Fabrikschlot raucht nicht mehr, wacht aber angekokelt über das studentische Treiben. Der industrielle Charme hat auch seinen Reiz, der Kammerchor der Uni probt im neuen Musiksaal, Romantik dem Hören nach. Es ist mindestens ein bisschen Cool-Down. Nachfrage bei einem Studenten, der dem Bus entsteigt. Er zeigt sich begeistert vom Gelände. Er stammt jedoch aus der Region, wohnt noch bei den Eltern, man hört heraus, dass ihm das stinkt - da wäre wohl jeder Campus willkommene Zuflucht.

Studierende aus der Gegend sind gar nicht so stark vertreten, stellen nur etwa zwölf Prozent. Der Rolle des akademischen Regionalversorgers - böse: Provinz-Uni - ist Bamberg längst entwachsen. Ruppert sagt: "Wir haben uns genau überlegt, wo unser Platz in der wissenschaftlichen Landschaft ist, und diese Stärken gestärkt. Wir haben es geschafft, auf dem akademischen Markt der Bundesrepublik so bekannt zu werden, dass Studierende in relevanter Zahl aus anderen Regionen kommen." Mit Sicherheit sogar aus Hannover.

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