Dialekt:Ein Massl, dieses Sprachgemisch

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Im Bairischen finden sich viele Einflüsse aus dem Jiddischen. Kein Wunder, schließlich prägten Juden jahrhundertelang das Leben in Deutschland. Sogar Geheimsprachen entwickelten sich so.

Von Hans Kratzer

Vor geraumer Zeit hat ein Leser die SZ-Redaktion von einem Ereignis in Kenntnis gesetzt, das ein bezeichnendes Licht auf das Sprachgemisch in Bayern wirft. Vor einer Apotheke in Bodenmais sei seiner Mutter eine Klosterschwester entgegengetaumelt, schrieb der Mann, sie sei auf der regennassen Außentreppe ausgerutscht und habe einen Sturz gerade noch vermeiden können. "Jetz hams aber a Massl ghabt", habe ihr die Mutter zugerufen. Die Schwester habe genickt und dankbar gelächelt. Einen Vorwurf erntete die Mutter von ihrer aus Schleswig-Holstein stammenden Freundin: "Du kannst doch einer Nonne nicht unterstellen, sie hätte so früh am Tag schon eine Maaß getrunken!" Der Sohn resümierte in seiner Mail: "Für Menschen, die nicht aus Bayern stammen, ist es halt nicht so einfach, ein Massl von einem Masserl zu unterscheiden."

Im Bairischen wird das Wort Massl (Massel) als Synonym für Glück und Dusel verwendet. Mit seiner Hilfe lässt sich die Flüchtigkeit des Glücks etwas vornehmer ausdrücken als mit dem viel derberen Wort Dusel. Im Übrigen beweist es, dass nicht nur englische und französische Begriffe in die deutsche Sprache eingeflossen sind. Hergeleitet ist das Wort vom jiddischen "massel" und vom hebräischen "mazzalot" (Geschick).

In Bayern sind Wörter aus dem Jiddischen keine Seltenheit. Warum auch, immerhin gibt es, wie das heurige Jubiläumsjahr hervorhebt, seit mindestens 1700 Jahren jüdisches Leben in Deutschland. Die ersten Juden kamen im Gefolge der römischen Legionen hierher. Natürlich hinterließ die enge Verwobenheit der deutschen und der jüdischen Geschichte auch in der Sprache ihre Spuren. Das belegt vor allem das Jiddische, das sich im Mittelalter entwickelt hat und als eine eigene, aber dem Deutschen eng verwandte Sprache gilt. Sein Satzbau und sein Wortschatz sind zu drei Vierteln deutsch, überdies speist sich das Jiddische aus dem Hebräischen, Slawischen und Romanischen.

Vor allem das Frühbairische färbte stark auf das Jiddische ab, davon zeugen beispielsweise die Pronomina ets, enk und enker (ihr, euch, euer). Es gibt noch weitere Parallelen. Laut der Jiddisch-Expertin Marion Aptroot (Uni Düsseldorf) kennen das Jiddische, das Bairische und das Schwäbische im strengen Sinne kein Imperfekt, sondern nur das Perfekt ("ich bin gewesen"). Zudem pflegen sie die doppelte Verneinung. "Ich habe kein Pferd" heißt im Jiddischen: "Ikh hab nisht keyn zossen."

Einige Musikgruppen und Solokünstler haben sich darauf spezialisiert, dieses bunte und fruchtbare Sprachfeld kreativ zu pflegen. Zu ihnen zählt die Münchner Sängerin Andrea Pancur, die eine CD mit dem Titel "Alpen Klezmer" veröffentlicht hat. Klezmer war einst die Hochzeits- und Festmusik der osteuropäischen Juden. Pancur vereint die Tradition von jiddischer und bayerischer Musik sehr originell. In den Texten ihrer Lieder wird deutlich, wie eng das Bairische und das Jiddische verbandelt sind. Dort wimmelt es von Begriffen wie Massel, Schamass (Kram) und Schlamassel (schwierige Situation).

Noch im 19. Jahrhundert sagte man statt jiddisch häufig "taitsch". Die Ähnlichkeit zum Bairischen hatte damals auch der große Sprachforscher Johann Andreas Schmeller erkannt. Etwa, dass das bairische Verb schterben der älteren jiddischen Form schtarben entspricht. Dem Jiddischen entstammen aber auch populäre Wörter aus dem Hebräischen, neben Massl beispielsweise Knast (Knass, Geldstrafe), Pleite (pleitah, Flucht) und Schmonzette (schmonzes, rührseliges Stück). Jiddischsprecher gebrauchen noch heute sogenannte taitsche Wörter wie Vetter, Base, Schnur/Schnür (Schwiegertochter) und Deid. So heißt im Lechrainischen der Firmpate, auf hebräisch heißt er dod (Onkel).

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Eine Variante, die sich aus dem Jiddischen entwickelte, sind die Geheimsprachen. Etwa das Rotwelsche und das Jenische, das im mittelfränkischen Schillingsfürst gesprochen wurde und geprägt war vom Deutschen, Jiddischen, Lateinischen und Französischen. Das Schillingsfürster Jenisch war eine altertümliche Variante des Rotwelschen, der alten Sprache des fahrenden Volks, der Bettler und der Prostituierten.

Auch in dem zwischen Feuchtwangen und Dinkelsbühl gelegenen Markt Schopfloch sprechen noch einige Menschen eine Geheimsprache, die einst jüdische Viehhändler entwickelt hatten. Lachoudisch heißt diese Sprache, niemand sonst auf der Welt beherrscht sie. Die Viehhändler mischten Ausdrücke aus dem Hebräischen und Jiddischen in ihren fränkischen Dialekt. Für Außenstehende war diese Sprache völlig unverständlich. Männer, die als dick, dumm und gefräßig gelten, werden folgendermaßen beschrieben: "Bekaan will immer achle dijejne und schuure laaf!" Das heißt: Dieser Mensch will viel essen, aber nur wenig arbeiten.

Ein Drittel der Bevölkerung in Schopfloch waren einmal Juden. Davon zeugt der alte jüdische Friedhof am Ortsrand mit seinen Jahrhunderte alten Gräbern. Auch eine Synagoge stand mitten im Dorf, bis sie von den Nazis zerstört wurde. Die Juden wurden noch vor dem Krieg vertrieben, viele kamen in den Vernichtungslagern ums Leben. Und auch Lachoudisch wurde verboten. Dennoch sprechen es einige Schopflocher heute noch. "Bekaan Suss is a Massik!" - Dieses Pferd ist ein Quälgeist. "Was schuckt die Bore?" Was kostet die Kuh? Trotz des Verbots lebte die Sprache weiter. Nur, dass man von da an in Schopfloch nicht mehr Lachoudisch sagte, sondern "laaf schmuesn" (schlecht sprechen). Man tat ja etwas Verbotenes.

© SZ vom 10.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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