Eisenbahn in Bayern:Endlich wieder Zugfahren

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Reaktivierung der Hesselbergbahn: Nach fast 40 Jahren verbindet die RB62 nun wieder Gunzenhausen und Wassertrüdingen. (Foto: VGN GmbH)

Fast 40 Jahre lang war Wassertrüdingen vom Bahnnetz abgeschnitten. Nun ist die Hesselbergbahn wieder in Betrieb – und macht vor, wie die Reaktivierung von stillgelegten Strecken gelingen kann.

Von Maximilian Gerl, Wassertrüdingen

Wer wissen will, was die Bahn bedeuten kann, muss bei Stefan Ultsch anrufen. Denn Zugfahren war fast 40 Jahre lang in Wassertrüdingen im Landkreis Ansbach nur bedingt möglich. Klar, es gab einen Bahnhof, an dem ab und zu historische Museumszüge hielten, einmal täglich rumpelte außerdem ein Güterzug vorbei. Was schon gut war: So wucherten die Gleise nicht zu und blieb die Strecke intakt, so erzählt es Bürgermeister Ultsch am Telefon und klingt dabei bestens gelaunt. Doch ansonsten? Machten die meisten Züge um Wassertrüdingen gewissermaßen einen großen Bogen. 1985 hatte man den Personenverkehr auf der Hesselbergbahn eingestellt. Doch seit knapp zwei Wochen sind die Züge offiziell zurück. „Eine tolle Geschichte“, „eine absolute Bereicherung“, sagt Ultsch. „Jetzt kommt endlich mal ein ÖPNV rein.“

Ein bisschen mehr Nahverkehr würden sich auch andere Bürgermeister in Bayern wünschen. Er ist schließlich Daseinsvorsorge. Doch wer zu jung, zu alt, zu arm oder zu krank ist, um selber Autofahren zu können, hat manchmal das Nachsehen. Vor allem in Sachen Bahn. Etliche Orte haben vor Jahrzehnten ihren Anschluss verloren – und nur wenige ihn wieder zurückbekommen. Seit 1994 wurden bayernweit nur 80 Kilometer Gleis für den Personenverkehr reaktiviert, so hat es die Eisenbahnorganisation Allianz pro Schiene mal ausgerechnet.

Nun aber sind in Bayern ein paar Kilometer dazu gekommen, erstmals seit Längerem: die der Nördlichen Hesselbergbahn. Sie macht damit vor, wie eine Reaktivierung gelingen kann.

Die Wiederinbetriebnahme hat schon Ultschs Amtsvorgänger beschäftigt, „seit 2009 läuft das ganze Thema“, sagt er. Seitdem arbeiteten viele Hände und Köpfe an der Rückkehr der Bahn, hinter den Kulissen und an der Strecke. Als Ergebnis pendeln seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2024 wieder Züge im Stundentakt zwischen Wassertrüdingen und Gunzenhausen. Außerdem wurden neue Buslinien eingerichtet. Sie fahren vom Bahnhof Wassertrüdingen aus die Umgebung an, Ultsch zählt ein paar Stationen auf: Dinkelsbühl, der Hesselberg, das örtliche Römermuseum. Ultsch hofft auf positive Effekte – für die Einheimischen, die Wirtschaft und nicht zuletzt den Tourismus. Für Besucher aus den Großstädten sei man jetzt auch ohne Auto erreichbar, „jetzt sprechen wir eine ganz andere Schicht an“.

Eine gewisse Prominenz hat die Nördliche Hesselbergbahn schon erreicht: als einzige Strecke, die 2024 in ganz Deutschland reaktiviert wurde. Dazu kommt für Bayern die Legalisierung einer zweiten Bahnstrecke. Zwar fahren schon seit 2016 wieder Personenzüge zwischen Gotteszell und Viechtach (Landkreis Regen) – allerdings taten sie das die meiste Zeit im Probebetrieb, immer mit Gefahr der Wiedereinstellung. 2020 kündigte die damalige Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) gar das Ende des Versuchs an. Nach lautstarkem Protest aus der Region wurde der Probebetrieb doch verlängert. Im April 2024 beschloss der Landtag schließlich, die Strecke auch in Zukunft zu erhalten.

Fast 40 Jahre lang war Wassertrüdingen vom Bahnnetz weitgehend abgeschnitten. Nun halten hier seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2024 wieder ganz regulär Personenzüge. Zur Reaktivierung kam auch Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU, Zweiter von rechts). (Foto: Bayerisches Verkehrsministerium)

All das ließ Eisenbahnfreunde zuletzt manchmal verwundert die Augen reiben. Bei ihnen stand der Freistaat bislang eher im Ruf, Streckenreaktivierungen restriktiv zu handhaben. Auch deshalb spricht Lukas Iffländer von der Fahrgastvereinigung Pro Bahn von einem „Lichtblick“. Was diesen in seinen Augen mitbefördert hat: das Deutschlandticket – und die daraus resultierende Nachfrage nach mehr Nahverkehr. „Das hat uns sehr geholfen“, sagt Iffländer. Nun sei man bei Pro Bahn gespannt, wo weitere Reaktivierungen in Bayern folgen könnten. Als ein aussichtsreicher Kandidat gilt die Mainschleifenbahn von Seligenstadt nach Volkach. Aber auch für die Staudenbahn bei Augsburg sieht Iffländer Chancen.

Anderswo dürften die Signale dagegen weiter auf Halt stehen. Dabei gäbe es in Bayern genug größere Orte ohne Bahnanschluss, Kreisstädte wie Kelheim zum Beispiel oder Freyung. Eine Reaktivierung? Könnte in diesen beiden Fällen womöglich sinnvoll sein, so hat es zumindest die Allianz pro Schiene in einem Bericht festgehalten. Für andere Mittelzentren zeigt sie sich hingegen skeptisch. Die Strecke Forcheim-Höchstadt an der Aisch sei etwa zu stark überbaut, um Letzteres wieder anzuschließen. Und fürs niederbayerische Hauzenberg listet das Papier auf, dass die „Busverbindung nach Passau mit 39 Minuten Fahrzeit attraktiver“ sei.

Tatsächlich gelten Reaktivierungen hierzulande gerne als mühsam, mitunter sogar als unmöglich. Mal ist die Bahn-Infrastruktur nicht mehr recht vorhanden, mal passt die alte Trasse nicht zu neuen Bedürfnissen, mal gibt es gute Verkehrsalternativen, mal fehlt es an Geld. Und dann ist da noch ein strenges Kriterium, vom bayerischen Verkehrsministerium aufgestellt: Wer eine Strecke reaktivieren will, muss per Gutachten nachweisen, dass dort täglich mindestens 1000 Fahrgäste unterwegs sein werden. Ansonsten gilt der Betrieb als unrentabel und der Bus als die bessere Wahl.

Die his­to­rische Aufnahme zeigt den Bahn­hof Wassertrüdingen, als die Hesselbergbahn hier noch regelmäßig Station machte. (Foto: Gerhard Schneider)

Das vielleicht größte Hindernis aber ist oft: Streit. Nicht überall wird die Bahn so freudig begrüßt wie in Wassertrüdingen, wo sich die gewählten Vertreterinnen und Vertreter einer ganzen Region hinter ihr versammelt haben. Im Gegenteil: Reaktivierungen können Lokalpolitik auch in Lager mit verhärteten Fronten spalten. Und Kompromisse sind bei dem Thema naturgemäß schwierig, man kann entweder einen Zug fahren lassen oder keinen. So hat sich zwischen Kitzingen und Schweinfurt zwar eine Initiative pro Steigerwaldbahn gebildet – zugleich aber in- und außerhalb der Rathäuser Widerstand gegen sie formiert. Ähnliches ist seit Jahren bei der Ilztalbahn zwischen Freyung und Passau zu beobachten. Auch Iffländer sagt, dass es erfahrungsgemäß immer dort schwierig werde, „wo jemand dagegen schießt“. Sei man sich aber in der Region einig und in der Nähe des 1000er-Kriteriums, dann finde sich oft ein Weg.

Bürgermeister Ultsch bestätigt: Ohne Einigkeit gehe es nicht. Nun hofft er, dass die Wassertrüdinger fleißig in die Bahn einsteigen werden. Das sei „entscheidend“, damit sich das Angebot langfristig durchsetze. Trotzdem denkt Ultsch schon mal weiter – bis nach Nördlingen. Die Gleise dorthin sind nämlich weiter stillgelegt. „Die Strecke muss weitergehen“, sagt Ultsch.

Im neuen Jahr will er aber erst mal in die Hauptstadt fahren, natürlich mit dem Zug. Läuft alles nach Fahrplan, ist man mit den Öffentlichen in unter fünf Stunden von Wassertrüdingen in Berlin.

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