Verkehr:Modernisierung der Bahn in Bayern würde 25 Milliarden kosten

Verkehr: "Katastrophal" nennen Experten den Zustand des Schienennetzes in Bayern.

"Katastrophal" nennen Experten den Zustand des Schienennetzes in Bayern.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Experten nennen den Zustand des Schienennetzes im Freistaat "katastrophal". Um in den kommenden Jahren den Regionalverkehr zu stärken, bräuchte es laut Verkehrsministerium sehr viel Geld. Wo das herkommen soll.

Von Klaus Ott

Auf einer der schönsten Bahnstrecken in Bayern, von Freilassing über Bad Reichenhall nach Berchtesgaden am Königssee, fährt neuerdings ein ziemlich neuer Zug. Der Zug trägt den Namen "Berchtesgadener Land", es handelt sich um renovierte Wagen mit neuen Sitzen und mehr Komfort. Ein evangelischer und ein katholischer Pfarrer haben den Zug bei einer kleinen Feier im Bahnhof in Bad Reichenhall sogar gesegnet und gute und sichere Fahrt gewünscht. Eine Sektdusche durch den örtlichen Landrat Bernhard Kern gab es auch noch.

Gottes Segen allein reicht aber nicht für eine bessere Bahn in Bayern. Dazu braucht es auch das nötige Geld. Und da sieht es ziemlich bescheiden aus, wie Matthias Birkmann von der Bahngewerkschaft EVG kürzlich bei einem Besuch bei Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) erfuhr. Birkmann ist Geschäftsleiter der EVG in Bayern. Ihm und seiner Gewerkschaft wäre es am liebsten, es würden mehr Regionalzüge fahren - auch auf stillgelegten Strecken, die wieder in Betrieb genommen werden müssten.

Doch da gehe gar nichts, bekam der Bahngewerkschafter vom Verkehrsminister zu hören. Für die Reaktivierung von Strecken und mehr Züge auf den vorhandenen Linien sei "kein Geld übrig", lautet Birkmanns nüchterne Erkenntnis nach dem Gespräch mit Bernreiter. Eine Verkehrswende mit weniger Auto- und mehr Bahnverkehr sei "so nicht zu schaffen", sagt Birkmann. Er fordert mehr Geld vom Bund für regionale Strecken und Züge. Das macht auch Bernreiter, dessen Ministerium bereits ausgerechnet hat, was eine Verkehrswende in Bayern kosten würde.

Extremer Finanzbedarf

Herausgekommen ist eine in heutigen Krisenzeiten astronomisch wirkende Zahl: Insgesamt rund 25 Milliarden Euro bräuchte der Freistaat in den kommenden acht Jahren von der Bundesregierung. Also jährlich mehr als drei Milliarden Euro. Das wäre in etwa das Doppelte dessen, was der Bund bislang für Bayern vorgesehen hat. Dazu muss man wissen, dass die Bundesregierung seit Jahrzehnten den Bundesländern Geld gibt, mit dem diese bei der Deutschen Bahn (DB) und anderen Bahngesellschaften regionale Zugverbindungen bestellen und mitfinanzieren - das sind die sogenannten Regionalisierungsmittel. Mit den Ticketerlösen alleine ließen sich die Regionalzüge und S-Bahnen nicht bezahlen.

Der Nahverkehr auf der Schiene ist ein Zuschussbetrieb. Ein Zuschussbetrieb, den niemand in Frage stellt. Ohne S-Bahnen und Regionalzüge gäbe es einen Verkehrskollaps, von den Umweltschäden durch noch mehr Autos auf den Straßen gar nicht zu reden. Die Frage ist nur: Wie gut soll der Nahverkehr auf der Schiene sein? Und soll das Angebot ausgebaut werden?

Das Staatsunternehmen DB und private Bahngesellschaften haben über die Jahre hinweg für viel Geld neue Züge gekauft oder alte Wagen modernisiert. Auch mit finanzieller Hilfe des Freistaats aus den Regionalisierungsmitteln. Doch tolle Züge ergeben wenig Sinn, wenn diese auf teilweise maroden Gleisen unterwegs sind und vielerorts nur langsam oder gar nicht fahren dürfen. Die DB hat, auch weil der Bund zu wenig Geld gibt, die Instandhaltung und Sanierung regionaler Streckennetze vernachlässigt.

Die Rechnung des bayerischen Verkehrsministeriums sieht so aus: Um den aktuellen Stand bei den Regionalzügen und S-Bahnen aufrechterhalten, "bereits beschlossene Maßnahmen umsetzen und das Verkehrsangebot entsprechend den politischen Zielsetzungen ausbauen zu können", bräuchte man von 2023 bis einschließlich 2030 die besagten rund 25 Milliarden Euro vom Bund. Gestiegene Preise etwa für die Energie seien da bereits berücksichtigt.

Die übrigen Bundesländer fordern auch mehr Geld

Die Bundesregierung und ihr Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) dürften sich über diese Rechnung nicht besonders freuen. Die anderen Bundesländer fordern ebenfalls mehr Geld. Und das in Zeiten, in denen die Folgen der Pandemie und des russischen Krieges gegen die Ukraine auch den deutschen Staat massiv belasten und viel Geld kosten. Aber einen besseren öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für mehr Umwelt- und Klimaschutz gibt es nicht umsonst. Bund und Länder arbeiten gemeinsam mit den Verbänden der Städte, Landkreise und Gemeinden an einem "Ausbau- und Modernisierungspakt" für den ÖPNV.

Nach Angaben des bayerischen Verkehrsministeriums fordern die 16 Bundesländer "gemeinsam vom Bund eine deutliche und dauerhafte Erhöhung der Regionalisierungsmittel". Die Berliner Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP mit Verkehrsminister Wissing soll also jene Baustellen schließen, die Wissings Vorgänger aus den Reihen der CSU, Andreas Scheuer und Alexander Dobrindt, hinterlassen haben. Unter Scheuer und Dobrindt und deren Vorgängern wiederum wurden viele regionale Schienennetze vernachlässigt.

Zu diesem Übel kam dann auch noch die Corona-Pandemie hinzu. Die Bahn verlor zwischenzeitlich viele Fahrgäste und Ticketerlöse, gerade auch im Regionalverkehr. 838,7 Millionen Euro hat der Freistaat dafür aus Ausgleich vom Bund bekommen, damit Regionalzüge und S-Bahnen weiter fahren konnten. Und das aktuelle Neun-Euro-Ticket für den Nahverkehr führt noch einmal zu weniger Erlösen. Hierfür bekommt der Freistaat vom Bund 529,2 Millionen Euro als Ausgleich. Macht insgesamt fast 1,5 Milliarden Euro.

Es brauche einen "Masterplan Schiene"

Doch dieser Betrag reiche nicht aus, erklärt Bayerns Verkehrsministerium unter dem seit Februar amtierenden Ressortchef Bernreiter, der mehr Klartext redet als seine Vorgängerin Kerstin Schreyer (CSU). Das Ministerium fordert auch hier vom Bund, für einen "vollständigen Ausgleich der Nachteile" zu sorgen und "Mittel in ausreichender Höhe nachzuschieben". Bernreiters Berliner Kollege Wissing kann das Geld allerdings nicht selbst drucken. Und Wissings Parteifreund, Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, will ab dem kommenden Jahr deutlich weniger Schulden machen. Das klingt nach der Quadratur des Kreises.

Bayerns Bahngewerkschaftschef Birkmann sagt, der aktuelle Zustand des Schienennetzes sei "schlicht und ergreifend katastrophal. Wir haben immer davor gewarnt, dass das Netz unterfinanziert ist." Das Geld reiche hinten und vorne nicht. Es brauche endlich einen legislaturperioden- und parteiübergreifenden "Masterplan Schiene". Birkmann vergleicht die aktuelle Bahnpolitik mit einer alten Straße, auf der jedes Jahr im Sommer die Schlaglöcher aus dem Winter geschlossen würden. "Am Ende hat man nämlich keine neue Straße, sondern nur einen Flickenteppich aus Asphalt, der sich anfühlt wie Kopfsteinpflaster."

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