Wildtiere:Ein Bär auf dem Sprung nach Bayern

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Ein Bär im Trentino – von dort stammt wohl auch das Tier, das seit vergangenem Jahr durchs Lechtal streift und nach Bayern übersiedeln könnte. (Foto: Matteo Zeni/Servizio Faunistico/dpa)

Im Lechtal streift ein Tier umher, das jederzeit nach Bayern übersiedeln könnte. Über die „Initiative Braunbär“, wie viel Prozent der Population im Trentino Problembären sind – und für welche Irrtümer in den 90er-Jahren jetzt bezahlt wird.

Von Florian Fuchs, Christian Sebald, Sonthofen

So etwas wie vergangenes Jahr an der Hubertuskapelle im Hintersteiner Tal bei Bad Hindelang braucht die Oberallgäuer Landrätin Indra Baier-Müller nicht noch einmal. Was im Mai 2023 als mutmaßliche Sichtung eines großen Beutegreifers begann, stellte sich recht schnell als Besuch eines Bären heraus, fotografiert von einem Radfahrer. „Das ist besiedeltes und touristisch gut erschlossenes Gebiet, da war ich schon sehr besorgt“, sagt Baier-Müller. Die Sorgen in Bezug auf diesen einen Bären lösten sich dann bald in Wohlgefallen auf, zumindest im Allgäu wurde das Tier seitdem nicht mehr gesehen.

Aktuell streift aber ein Bär – mehrere Sichtungen beweisen es – direkt hinter der Grenze im Lechtal in Österreich umher. Die Tiere können jederzeit wieder kommen, Baier-Müller hat deshalb die „Initiative Braunbär“ ins Leben gerufen, einen Austausch von Experten und betroffenen bayerischen Landkreisen. Jetzt hat die Runde nach einem erneuten Treffen erste Forderungen formuliert: Die Landrätinnen und Landräte von Rosenheim, Traunstein, Garmisch-Partenkirchen, Ostallgäu und Oberallgäu fordern klare gesetzliche Vorgaben und Konzepte, um auffällige Tiere rasch und rechtssicher entnehmen zu können.

Der Managementplan soll überarbeitet, der Schutzstatus überdacht und das Bundesnaturschutzgesetz angepasst werden, die Landkreise wollen sich vernetzen und im Ernstfall zusammenarbeiten. „Wir brauchen Handlungssicherheit, um zu verhindern, dass es hier zu Schäden kommt, vor allem an Menschen“, sagt Baier-Müller.

Forstwissenschaftler Wolfgang Schröder etwa hält es für gut möglich, dass der Jungbär aus dem Lechtal dieses Jahr wieder in Bayern auftaucht. Wenn nicht im Allgäu – in das er einen bequemen Übergang vom Lechtal aus hätte, – dann im Werdenfelser Land, in das er über den Plansee, den Ammersattel und das Ammertal gelangen kann. „Das ist ein Jungtier, vermutlich drei oder vier Jahre alt und aus dem Trentino ins Tiroler Lechtal gewandert“, sagt der 83-jährige Forstwissenschaftler, der nahe dem oberbayerischen Murnau lebt und viele Jahre lang an der TU München Wildbiologie und Wildtiermanagement gelehrt hat. Trotz seines fortgeschrittenen Alters ist Schröder über alle aktuellen Entwicklungen in Sachen Bär und Wolf vor allem in Bayern und Österreich top informiert.

Das Trentino, in dem etwa hundert Braunbären leben, ist die Region in Europa, aus der immer mal wieder Jungbären nach Tirol oder Bayern ziehen. Zuletzt streifte vor gut einem Jahr ein junger Braunbär durch Oberbayern und wurde schließlich nahe Salzburg von einem Zug überfahren. „Bei dem jetzigen Tier handelt es sich sehr wahrscheinlich um ein Männchen, außerdem ist der Bär noch in dem Alter, in dem die Tiere weite Strecken wandern“, sagt Schröder. „Und er ist sehr wahrscheinlich schon vergangenes Jahr im Tiroler Lechtal angekommen und hat hier überwintert.“

Schröder geht davon aus, dass es sich um das Tier handelt, das im Sommer 2023 schon einmal kurz im Allgäu aufgetaucht ist und dort im Hintersteiner Tal gesichtet wurde, sich aber sofort wieder davonmachte. „Schon damals hat der Bär gezeigt, dass er – wie es sich für einen Bären gehört – ein sehr scheues Tier ist“, sagt Schröder. „Man hat ihn noch nie in der Nähe von menschlichen Siedlungen oder Weiden gesehen.“ Die meisten Nachweise in Tirol und in Vorarlberg stammen von Tatzenspuren im Erdreich oder Wildkameras. Es gab nur einige wenige Sichtungen und die waren alle auf vergleichsweise große Distanz.

Diese Tiere wären Landrätin Baier-Müller am liebsten – wenn sie schon unbedingt nach Bayern wanderten. Was aber, wenn sie sich wiederholt besiedelten Gebieten nähern und Weidetiere reißen? Dann, da sind sich die Landräte einig, müssten Entnahmen erleichtert werden, ähnlich wie es inzwischen beim Wolf gehandhabt wird. Der Bär ist gemäß der FFH-Richtlinie der EU im Bundesnaturschutzgesetz besonders streng geschützt, es gelten sogenannte Zugriffs-, Stör-, Besitz- und Vermarktungsverbote.

Formaljuristisch, sagt der Traunsteiner Landrat Siegfried Walch, können die Regierungen von Schwaben oder Oberbayern die Entscheidung über einen Abschuss treffen. Die Hürden seien allerdings so hoch, dass sie von Gerichten wieder kassiert werden können. Es dürfe nicht sein, dass der Nachweis über den Besuch eines Bären erst einmal vier Tage dauere und dann keine Rechtssicherheit bestehe, wie damit umzugehen sei. „Wir müssen die Diskussion jetzt führen“, fordert Baier-Müller genauso wie ihre Ostallgäuer Kollegin Maria Rita Zinnecker, auch mit Blick auf den Tourismus und die Alm- und Alpwirtschaft.

„Das heißt ja nicht, dass alles wild über den Haufen geschossen wird.“

Die Entscheidung über eine Entnahme, sagt Baier-Müller, müsse nicht gleich bei den Landrätinnen und Landräten liegen. Solange es in Bayern keine Population von Bären gebe, könne man auch mit Landes- oder Regierungsentscheidungen leben. „Aber sie müssen zeitnah erfolgen, wenn sie notwendig sind.“ Kritik an solchen Forderungen will Siegfried Walch nicht gelten lassen: „Das heißt ja nicht, dass alles wild über den Haufen geschossen wird. Wir jagen auch alle anderen Tiere. Wenn sie hier heimisch werden, ist es völlig logisch, dass eine Bestandsentnahme erfolgen muss.“ Greife man nicht ein, sei das System der Alpwirtschaft in Gefahr. Maßnahmen zum Herdenschutz seien gerade bei Bären schwer.

Arnold Schuler, Landtagspräsident von Südtirol, pflichtet Walch bei, was die Entnahme anbelangt. Südtirol hat Erfahrung im Umgang mit Bären, Schuler ebenfalls, er war dort auch zehn Jahre für Land- und Forstwirtschaft zuständig. In diesem Jahr, berichtet er, dürften im Trentino erstmals acht Bären entnommen werden. „Das war bisher undenkbar.“ Dreimal habe man sich getäuscht im Trentino, als man 1992 Bären aus Slowenien dort ansiedelte, um sie mit dem Restbestand einer alten, heimischen Population zu kreuzen: Die Bärenweibchen bleiben im Trentino, die Population breitet sich nicht wie beabsichtigt im gesamten Alpenbogen aus. Die Population vermehrt sich deutlich stärker als prognostiziert – und eine Mischung der Populationen habe nicht stattgefunden.

Laut Schuler geht man im Trentino davon aus, dass etwa 13 Prozent der rund einhundert Tiere sogenannte Problembären seien, die sich Menschen nähern und Nutztiere reißen. Es könne nicht sein, sagt Schuler, dass man für eine Entnahme solcher Tiere einen genetischen Test benötige, um zu wissen, dass man wirklich den richtigen Bären vor der Flinte hat. Es müsse die „große Wahrscheinlichkeit“ genügen, keiner dürfe langwierige Gerichtsverfahren fürchten müssen, wenn er versehentlich den falschen Bären erlegt.

Es sei auch im Trentino in der Theorie alles schön geregelt im Umgang mit aggressiven Bären. „Aber an der praktischen Umsetzung mangelt es.“ Dabei, warnen die bayerischen Landräte, seien Oberbayern und das Allgäu deutlich dichter besiedelt als etwa das Trentino oder Südtirol, was den Besuch eines Bären noch kritischer mache – und fordern genau deshalb Rechtssicherheit und klare Konzepte für den Ernstfall.

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