Es war kein Superlativ zu groß an diesem feuchtkalten Vormittag am Tegernsee. Bad Wiessees SPD-Bürgermeister Robert Kühn musste gar die Pyramiden und den Leuchtturm von Alexandria heranziehen, die ja schließlich auch mit einem ersten Spatenstich ihren Anfang genommen hätten, um den Gästen die Dimension des Projekts klarzumachen, das da am Seeufer entsteht. Das Hotel Seegut am Tegernsee sei ein „Leuchtturm für das gesamte Oberland“, schwelgte Kühn. „Wir blicken in eine wunderbare Zukunft.“
Beim offiziellem Spatenstich am Freitag ließ sich die wunderbare Zukunft allerdings nur in groben Umrissen erahnen. Unmittelbar am Westufer des Tegernsees breitet sich seit einigen Monaten eine Baustelle aus, die nicht nur nach örtlichen Maßstäben den Zusatz „groß“ verdient hat. Derzeit gießen Bauarbeiter die Bodenplatten, auf denen in den nächsten drei Jahren ein neuer Ortsteil von Bad Wiessee errichtet wird.
Vonseiten der Projektträger hieß es, das Seegut sei nach ihren Recherchen das derzeit umfassendste Hotel- und Tourismusprojekt in ganz Deutschland. Über das genaue Investitionsvolumen schweigt man sich allerdings aus – irgendwas deutlich über 200 Millionen Euro, mehr könne und wolle man dazu aus grundsätzlichen Erwägungen nicht sagen. Die Investoren, so viel steht aber fest, dürften auch Mehrkosten nicht umwerfen, denn hinter dem Seegut steht eine Firma der beiden Pharma-Milliardäre Andreas und Thomas Strüngmann. Sie gründeten Hexal in Holzkirchen und halten unter anderem 50 Prozent Anteile am Impfstoff-Hersteller Biontech.
Dementsprechend ambitioniert sind die Pläne für das Seegut am Tegernsee, das nach seiner Eröffnung im Jahr 2028 zu den Hotels der „Super-Luxus-Klasse“ zählen soll – mit entsprechenden Preisen. Als Zielgruppe haben die Investoren wohlhabende Familien aus Deutschland anvisiert, die auch mal wieder daheim Urlaub machen wollen. Wer die Anlage einmal betreiben soll, ist noch nicht entschieden. Investoren-Vertreter Stefan Heller verriet beim Spatenstich, dass aber schon jetzt acht große Betreiber Schlange stünden.
Die Planungen für das Areal zogen sich über Jahre hin. Einst standen hier unter anderem die alte Spielbank aus den Sechzigerjahren und das Hotel Lederer, das 1934 als Schauplatz des Röhm-Putsches zu zweifelhaftem Ruhm gelangte, als hier Adolf Hitler seinen Widersacher von der SA verhaftete und später ermorden ließ.
Nach weiteren Zukäufen umfasst das Seegut am Tegernsee nun eine Fläche von 3,5 Hektar. Darauf sollen insgesamt 25 Gebäude entstehen – ein neuer Ortsteil der Gemeinde, der sich in drei Bereiche gliedert: im Norden das eigentliche Hotel mit 170 Betten in Zimmern und Suiten samt „Wellbeing- und Spa-Areal mit Yogapavillon“, in der Mitte ein öffentliches Wirtshaus und eine 400 Quadratmeter große „Kulturscheune“, im Süden 34 Wohnungen für die Bediensteten.
Und weil das Label „nachhaltig“ auch im Tourismus inzwischen zum Standard gehört, sollen einzelnen Häuser zum großen Teil in Holzbauweise errichtet werden, zum Heizen und Kühlen wird der Tegernsee angezapft – ein Verfahren, das in diesem Maßstab neu in Deutschland ist. Sämtliche Versorgungseinrichtungen, Verbindungswege zwischen den Häusern und die Garage haben die drei Architektenbüros unter die Erde verlegt. Auf der Oberfläche gleicht das Seegut daher mehr einem locker bebauten Park als einem Hotelkasten. „Die touristische Entwicklung wird dadurch enorm gefördert“, sagte Heller. Auch der Miesbacher CSU-Landrat Olaf von Löwis stimmte beim Spatenstich in die Lobgesänge der anderen Redner ein: Das Seegut am Tegernsee sei ein „unglaubliches Projekt“.
Im Tegernseer Tal sind freilich nicht alle vom Boom des Luxustourismus begeistert. So stritten Naturschützer und der Unternehmer Franz Haslberger jahrelang um den Betrieb der Saurüsselalm oberhalb von Bad Wiessee. Martin Frühauf, einst Koch von Helmut Kohl, kündigte erst kürzlich an, dass er Ende des Jahres seinen Pachtvertrag auf der Saurüsselalm beenden wolle: „Die dauerhaften Angriffe der Gegner, kombiniert mit der Unklarheit, was rechtlich erlaubt und politisch gewollt ist, lassen uns leider keine andere Wahl.“
Der Miesbacher Landrat Löwis dagegen sieht das Tegernseer Tal auf dem richtigen Weg. Eine Zeit lang sei wenig passiert, nun müsse man moderner werden. „Wir wollen ein touristischer Hotspot sein und für hochwertigen Tourismus stehen“, sagte er. Und da sei das Seegut am Tegernsee ein Signal, dass eine großartige Gegend in der Lage sei, ein „angepasstes Großprojekt“ zu realisieren.