Bad Tölz:Regionalkrimi: Spiel mit der Wahrheit

Kalbarienbergkirche

Schöne Aussicht: Der Kommissar Fritz Fischhaber lebt am Fuß des Kalvarienberges in der Fröhlichgasse.

(Foto: Manfred Neubauer)

Im Tölzer Krimi "Das Dirndl im Moor" steigt der Kommissar den Kalvarienberg hinauf, wenn er nachdenken muss. Andere Orte der Geschichte sind frei erfunden.

Von Barbara Hordych

Sie waren Freundinnen seit der Schulzeit, die zurückhaltende Ina Berg und die schöne Anna, die sich als Autorin Daphne di Montagna nannte. Doch irgendwann sind sie weg aus ihrem Dorf Oberthanning nahe Bad Tölz und machten Karriere als Autorinnen von Heimatkrimis wie "Mordsbrezn", "Falscher Fuchzga" und "Bauernopfer".

Aber nun ist Daphne tot - erschlagen nach einem Fernsehinterview, ausgerechnet mit dem "Goldenen Wendelstein", der Trophäe für den besten Heimatkrimi, "einem scharfkantigen Goldklumpen in Gebirgsform". Und die beiden Tölzer Kommissare Fritz Fischhaber und Sascha Kunz rätseln: Hat vielleicht der Ehemann oder der Verleger etwas mit dem Mord zu tun? Hatte die scheue Ina ihre Rolle im Schatten der forschen Daphne satt? Oder stammt der Mörder aus dem Heimatdorf der beiden?

Schließlich bot der Ort die Kulisse für ihre Krimis, und die Bewohner fungierten unfreiwillig als leicht zu identifizierende Vorbilder: Der Dorfpolizist wird als "uniformierte Rauschkugel" belächelt, die Bedienung im Wirtshaus als fesches Flitscherl gezeichnet, und ein schmucker Weiberer tröstet die neu zugezogenen und gelangweilten Ehefrauen.

"Schon recht zünftige Figuren in der Geschichte. Die kennst alle, wennst selbst vom Dorf bist", erläutert der kurz vor der Rente stehende Tölzer Kommissar Fritz seinem jungen, aus Schwabing zugezogenen Kollegen Sascha die Dynamik von Daphnes und Inas Bestsellern. Womit man bei der Metaebene des Romans angelangt wäre: Der besondere Reiz von Lotte Kinskofers und Anke Bahrs Heimatkrimi "Das Dirndl im Moor" besteht in den Reflexionen, die ihre Figuren über den Heimatkrimi im Allgemeinen und das "Mörderdorf" Oberthanning im Besondern anstellen.

Die Kommissare vergleichen Passagen aus den Büchern mit der (fiktiven) Wirklichkeit, befragen den Verleger nach dem Erfolgsgeheimnis des Genres ("Die Großfamilie ist futsch. Da will der Leser ein wenig Nestwärme zwischen den Zeilen finden") und grübeln über das Verhältnis der beiden Autorinnen nach. "Die eine heißt Berg, und die andere nennt sich di Montagna . . . Die wollte einfach nur vornehmer klingen als die Berg. Heißt aber eigentlich genauso. Und wurde auch noch von einem erschlagen", konstatiert Sascha.

Eine eigene Auffassung über das Verhältnis von Realität und Abbild

Als weitere ironische Brechung kommen die Besuche der ermittelnden Kommissare im "Mörderdorf" Oberthanning hinzu, das Daphne und Ina als Schauplatz ihrer Geschichten dient. Dessen Einwohner machen sich so ihre eigenen Gedanken über das Verhältnis von Realität und Abbild, von Ursache und Wirkung: "Wir kommen uns hier vor wie die Zooviecher", klagt der attraktive Flori über die "Krimi-Touristen", die sein Dorf heimsuchen.

Er fungiert als Vorbild für den "Weiberer" Seppi und wurde von seiner Frau vor die Tür gesetzt. "Getrennt leben wir. Des kommt aa von den Büchern. Weil da ist die Lisl nämlich narrisch worden, wie die gelesen hat, mit wem ich angeblich schon alles im Bett oder beziehungsweise im Heu gelegen bin." Gegen Daphne und Ina hegen die Oberthanninger vielfältige Ressentiments. "Wenn des kein anderer gemacht hätte, dann wär ich der blöden Kuh an die Gurgel. Und ich bin ned der Einzige hier, der wo dran denkt hat", bringt Flori die Gefühlslage der Bewohner auf den Punkt.

Der Ort ist fiktiv, um die Leute nicht zu verärgern

Im Gegensatz zu Bad Tölz ist Oberthanning, mitten drin im Murnauer Moos, freilich ein fiktiver Ort. Warum? "Um die Leute nicht zu verärgern. Wenn wir einen nahe gelegenen realen Ort als Schauplatz gewählt hätten, sähe das anders aus. Stellen Sie sich vor, dort gäbe es nur ein Wirtshaus. Wenn man da schreibt, die Bedienung ist ein Flitscherl, ist das ein Problem", erklärt die Wahl-Oberländerin Anke Bahr.

Welche Folgen das haben kann, weiß die fesche Bedienung Gundi aus dem fiktiven Oberthanning nur zu gut: "Mei, der eine oder andere meint schon, dass er mich gleich anlangen kann, weil ich ja in den Geschichten eine bin, die mit jedem ins Heu steigt . . . Aus Sicht der Stadterer haben wir nämlich bis heute keine Betten."

"Wir mochten eben kein bestimmtes Dorf im Oberland zeigen und es zum Opfer unserer Schilderungen machen", ergänzt die in München lebende Lotte Kinskofer. Entsprechende Erfahrungen habe sie schon mit ihren in Regensburg spielenden Krimis um den Journalisten Reitinger und seine internen Gegenspieler gemacht.

Bei einer Lesung kam prompt die Frage eines Mitarbeiters von der Mittelbayerischen Zeitung, "woher ich so viel Einblick in die Redaktion hätte?" Den hatte sie nicht, erklärt Kinskofer. Wobei sie früher einmal als Lokaljournalistin gearbeitet habe, "und es solche Typen eben überall gibt". Bad Tölz hingegen hat mit ganz realen Schauplätzen Einzug in "Das Dirndl im Moor" gehalten, erzählen die beiden Autorinnen.

Kennengelernt haben sie sich bei einem Drehbuchseminar - Kinskofer war Referentin, die Fernsehjournalistin Bahr Teilnehmerin. Für den Spaziergang haben sie einen Stadtplan vorbereitet, auf dem der Tatort und einige weitere wichtige Schauplätze verzeichnet sind. "Um die festzulegen, sind wir einen ganzen Tag durch Bad Tölz strawanzt", sagt Bahr und lacht. Kriminalhistorisch sei Bad Tölz natürlich durch Ottfried Fischer bekannt, der dort als "Bulle von Tölz" ermittelte.

"Doch gibt es kurioserweise in Bad Tölz gar kein Kommissariat. Auch wenn das halb Deutschland glaubt", erklärt Kinskofer. "Also haben wir unseren Kommissaren kurzerhand gegenüber dem Gymnasium eine Dienststelle eingerichtet", ergänzt die Co-Autorin Anke Bahr. Die Kriminalpolizei befindet sich in einem gelb gestrichenen Haus an der Hindenburgstraße. "Wir nennen bewusst keine Hausnummer, aber wir dachten, das passt: Ein Zwanzigerjahre-Bau, am Gymnasium vorbei kann man zu den Bergen blicken." Eine Aussicht, die Fritz liebt.

Zum Zweifeln in die Kirche

Der wohnt übrigens am Fuße des Kalvarienbergs in der Fröhlichgasse. Dorthin lenken jetzt auch die Autorinnen ihre Schritte. Und schon geht es hinauf zur Kalvarienbergkirche, die auch Fritz so gerne besucht. "Nicht, weil er so fromm wäre", betont Kinskofer. Sondern weil er es schätze, dort in Ruhe nachzudenken. "Fritz, der weniger zum Beten in die Kirchen ging als zum Zweifeln", heißt es dazu im Krimi. Beim Betreten der Kirche umfängt einen an diesem Vormittag eine beschauliche Stille.

"Eine breite Stiege führte mit vielen Stufen zu einer Skulptur von Jesus - er trug die schrecklichen Wundmale von der Kreuzigung am Körper. Besucher, die sich das Standbild auf der Empore anschauen wollten, mussten ganz rechts oder ganz links auf den schmalen abgetrennten Bereichen der Treppe laufen, denn in der Mitte durfte man nur auf Knien betend hochkrabbeln". Nicht von ungefähr liegt der Krimi auch in der Bad Tölzer Tourismusinformation aus.

Lieber die Frauen, die noch nicht ins Kosmetikstudio gehen

Seinem unternehmungslustigen Kollegen Sascha hingegen haben die Autorinnen eine Dachgeschosswohnung in einem real existierenden Haus mitten in der Marktstraße eingerichtet, "wo bei schönem Wetter das Leben brodelte, wenn man das in dieser gemütlichen Stadt überhaupt so sagen durfte". Das "Haus Wiedenhofer" trägt die Nummer 44 und ist eines der "aufwändig restaurierten Kaufmannshäuser" in der Fußgängerzone.

"Kaum zu glauben, dass hier bis Anfang der Achtzigerjahre noch die ganzen Autos brausten", sagt Kinskofer. Ein Gedanke, der sich praktisch genau so im Krimi wiederfindet. Noch ergänzt durch Fritz' Überlegung: "Unvorstellbar eigentlich, dass die Ladeninhaber sich damals gegen die Fußgängerzone gewehrt hatten." Unten im Haus befindet sich ein Kosmetikstudio - auch das haben die Autorinnen in die fiktive Romanrealität übernommen.

Obwohl der Womanizer Sascha laut eigener Aussage "lieber die Frauen mag, die da noch nicht hingehen müssen". Den gut aussehenden Kommissar mit seinem machohaften Getue dabei zu verfolgen, wie er ausgerechnet bei dem vermeintlichen Flitscherl Gundi aufläuft, ist übrigens eine der witzigsten Szenen des Romans.

Den effektvollen Schlusspunkt setzt das Domizil von "Lady Montagna": Das Mordopfer wohnte in einer schön auf Hochglanz polierten älteren Parkvilla an der Ludwig-Thoma-Straße, in der Nähe eines kleinen Weihers, wie es im Krimi heißt. Straße und Weiher gibt es tatsächlich, aber das Anwesen auf einer kleinen Anhöhe mit Panoramablick ist nicht näher spezifiziert.

"Wir haben uns vorgestellt, dass es eines dieser Häuser hier sein könnte", erklärt Anke Bahr. Von den diskret nach hinten versetzten Villen dringt auch an diesem Vormittag kein Laut nach draußen. Gepflegt und wohl gestaltet, aber undurchdringlich präsentieren sie sich dem Betrachter. Wie ihre fiktive Bewohnerin, Daphne di Montagna.

Nächste Folge: Spurensuche mit Nicola Förg

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