Bad Reichenhall:Denkmal - Schandmal

  • Die Stadt Bad Reichenhall verklagt die Firmen, Planer und Handwerker, die am Bau der Gedenkstätte für die Opfer des Eishallen-Einsturzes von 2006 beteiligt waren.
  • Hinterbliebene der Opfer hatten gefordert, die beschädigte Gedenkstätte zu reparieren und instand zu halten.
  • Seit drei Jahren unternimmt die Stadt nichts gegen die Schäden an der Gedenkstätte.

Von Matthias Köpf, Bad Reichenhall

Vielen erschien es als schreckliches Schicksal, als am 2. Januar 2006 die städtische Eishalle in Bad Reichenhall unter der Last des frischen Schnees einstürzte und viele Menschen unter sich begrub. Zwölf Kinder und drei Frauen fanden den Tod. Doch die folgenden Prozesse ergaben, dass der Schrecken von Bad Reichenhall kein Schicksal war, sondern die Folge von "gravierenden Fehlern, Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Schlamperei, Skrupellosigkeit", wie es ein Richter formuliert hat.

Bad Reichenhall: Das Denkmal an der Stelle des 2006 eingestürzten Eisstadions. Dienstagabend war es unbeleuchtet.

Das Denkmal an der Stelle des 2006 eingestürzten Eisstadions. Dienstagabend war es unbeleuchtet.

(Foto: Nadine Schachinger)

Eine ähnliche Mischung erkennen einige Eltern damals gestorbener Kinder nun wieder im Umgang mit der Gedenkstätte, die sie sich 2010 erkämpft hatten. Sie ist schon seit drei Jahren beschädigt, doch die Stadt unternimmt dagegen nichts und zieht stattdessen vor Gericht.

Bad Reichenhall: Herbert Lackner (CSU), der Oberbürgermeister der Stadt Bad Reichenhall, schweigt. Eine Anfrage der SZ zum Streit um das beschädigte Denkmal ließ er unbeantwortet.

Herbert Lackner (CSU), der Oberbürgermeister der Stadt Bad Reichenhall, schweigt. Eine Anfrage der SZ zum Streit um das beschädigte Denkmal ließ er unbeantwortet.

(Foto: Privat)

Die ganze Stadt und die Mehrzahl der Stadträte mussten in einem jahrelangen Streit regelrecht gezwungen werden, sich dem Thema Eishallen-Einsturz zu stellen und eine Gedenkstätte zu schaffen. Nur auf dringendes Anraten des früheren Landtagspräsidenten Alois Glück, an den sich die Hinterbliebenen in ihrer Not gewandt hatten, kam eine Ratsmehrheit für die Gedenkstätte zusammen - und sie hielt wohl nur genau für den einen Augenblick der Abstimmung hinter verschlossen Türen.

Im November 2010 wurde die Gedenkstätte schließlich eingeweiht, 15 von unten beleuchtete Stelen aus farbigem Glas erinnern mit ihren gezackten Enden an die zerbrochenen Leben der Opfer. Die Stelen stehen in einem flachen Wasserbecken, das im Winter mit Kies gefüllt wird. Doch schon seit drei Jahren funktioniere an zwei Stelen die Beleuchtung nicht mehr, berichten einige Eltern. Zuletzt leuchtete gar keine mehr. Eine weitere Stele sei vor etwa eineinhalb Jahren offenbar mutwillig beschädigt worden, mittlerweile sei das Glas im Rahmen komplett zersprungen. Man habe die Stadt und Oberbürgermeister Herbert Lackner (CSU) schon seit längerer Zeit mehrmals in Briefen und persönlich auf die Schäden hingewiesen, sagt ein Vater.

Lackner habe stets versprochen, sich der Sache sofort anzunehmen, zuletzt beim elften Jahrestag der Katastrophe zu Beginn dieses Jahres. Doch geschehen sei wieder nichts. Als "Zermürbungstaktik" empfindet das Dagmar Schmidbauer, die bei dem Unglück ihre beiden Töchter verloren hat. "Eigentlich ist es ein Wahnsinn, dass da wieder nichts weitergeht." Zugleich sei es aber typisch, dass die Stadt wieder einmal alle Verantwortung von sich weise.

Einsturz Eissporthalle Bad Reichenhall

Am 2. Januar 2006 stürzte das Dach des Eisstadions unter der enormen Schneelast in sich zusammen. Der Grund dafür waren Baumängel.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Denn wesentlich mehr Aufwand als für eine zwischenzeitliche und auch nur provisorische und kurzfristige Instandsetzung der Beleuchtung hat die Stadt bisher mit einen Rechtsstreit betrieben. Sie hat praktisch alle Firmen, Planer und Handwerker verklagt, die an der rund 300 000 Euro teuren Gedenkstätte beteiligt waren. Der Unterhalt mache Probleme, denn da lägen wohl konstruktionsbedingte Mängel vor, das Werk halte nicht allen Witterungsbedingungen stand, Wasser sei eingedrungen, heißt es aus dem Rathaus dazu nur vage. Ende Juni trafen sich die Streitparteien wieder vor der 2. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein. Die Stadt habe da zwei Gutachten vorgelegt, die ihre Position aber gar nicht gestützt hätten, sagen zwei Beobachter, die im Gerichtssaal dabei waren.

Der Wiesbadener Künstler Karl-Martin Hartmann, der die Gedenkstätte auf Wunsch der Hinterbliebenen gestaltet hat, sagte vor Gericht als Zeuge aus. Womöglich sei der Schaden gleich nach der Einweihung entstanden. Denn zu der Zeit war die Bodenplatte noch gar nicht gegossen, das Wasserbecken war mit Kies gefüllt. Beim ersten Herausschaufeln könnte die noch ungeschützte Konstruktion im Untergrund beschädigt worden sein. Hartmann, der seit Jahrzehnten Werke für den öffentlichen und sakralen Raum schafft, hat die Gedenkstätten-Debatte in Bad Reichenhall als "eines meiner bittersten Erlebnisse" in Erinnerung.

Und jetzt verhalte sich die Stadt wieder ebenso unsäglich, wie sie sich damals verhalten habe - ohne zu bedenken, was das emotional für die Menschen bedeute, die in Bad Reichenhall ihre Kinder verloren haben. "Eine Unerträglichkeit" nennt das Hartmann, der sich ebenso wie die Hinterbliebenen auch am Anwalt der Stadt stört: Ausgerechnet der Kanzlei des Stadtrats Friedrich Hötzendorfer hat die Stadt den Fall anvertraut. Hötzendorfer war - nicht nur in Hartmanns Erinnerung - einer der erbittertsten Gegner der Gedenkstätte. Das Mandat hat aber nicht er selbst, sondern sein Kanzlei-Partner übernommen.

Vor dem jüngsten Gerichtstermin hatten die beklagten Firmen der Stadt vergeblich ein Angebot gemacht: Sie würden den Schaden als Spende beheben, um die Sache aus der Welt zu schaffen, die Stadt müsste nur für Transport- und eventuelle Reisekosten aufkommen. Ursula Rothfuss, Mitglied der Geschäftsleitung im Glasbau-Unternehmen Derix, hat jedoch erklärtermaßen den Eindruck, dass sich die Stadt beim ganzen Thema Eishalle komplett vor ihrer Verantwortung drücken wolle. Die Angelegenheit sei insgesamt "ein Trauerspiel", aber "juristisch ziemlich verzwickt".

Die Traunsteiner Richter drangen jedenfalls auf eine gütliche Einigung. Die sei nicht zustande gekommen, es müssten nun einige Schriftsätze ausgetauscht werden, bei nächsten Termin im August sei kaum mit einem Urteil zu rechnen, heißt es vom Gericht.

Viele Eltern und andere Angehörige haben sich im jahrelangen Dauerstreit um die Gedenkstätte auch untereinander längst völlig zurückgezogen. Andere wie Robert Schmidbauer haben für das neuerliche Gezerre kein Verständnis. "Eine Frechheit", sagt er nur.

Anmerkung der Redaktion: Der Bad Reichenhaller Rechtsanwalt und Stadtrat Friedrich Hötzendorfer bezeichnet die Darstellung "Hötzendorfer war - nicht nur in Hartmanns Erinnerung - einer der erbittertsten Gegner der Gedenkstätte" als nicht zutreffend. Er legt Wert auf die Feststellung, er habe "die Gedenkstätte an sich nie infrage gestellt, vielmehr lediglich Bedenken hinsichtlich des Orts (auf Wunsch der Opferfamilien unabdingbar auf der ehemaligen Eisfläche) geäußert". Der Grund für seine Bedenken seien "die damaligen Planungen eines Campus der Fachhochschule Bad Honnef auf diesem Grundstück" gewesen.

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