Bildung in Bayern:Wo Europa auf dem Stundenplan steht

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Alles was es für eine perfekte british tea time braucht: Spielerisch lernen die Kinder dabei die englische Sprache, aber auch Gebräuche und Sitten von der Insel. (Foto: Jasinta Then)

In der Klasse 5e des Gymnasiums Bad Aibling lernen die Kinder europäische Werte, Kulturen und Sprachen kennen, ein bayernweit einmaliges Konzept. Ein Besuch zur "british tea time".

Von Jasinta Then, Bad Aibling

"Wir bekommen oft am Ende Süßigkeiten", erzählt die elfjährige Regina stolz. In der Tat dreht sich in ihrer Europaklasse viel um Essen. Allerdings nicht nur um etwas zum Naschen, sondern auch darum, wie Esskultur in anderen europäischen Ländern aussieht. Was kommt zu Ostern in Frankreich auf den Tisch? Oder warum werden an Halloween Kürbisse geschnitzt? Um solche und viele andere Fragen geht es, wenn am Gymnasium Bad Aibling in der Klasse 5e am Montagnachmittag Europaunterricht angesagt ist.

Das Thema der Stunde an diesem Tag Ende Mai lautet: "British tea time". Gebannt lauschen 18 Mädchen und Jungen ihrer Lehrerin Daniela Stümpfl. Sie hat zu Beginn der Stunde eine Box in der Hand, aus der sie einen Gegenstand nach dem anderen herauszieht. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich melden, wenn ihnen einer davon bekannt ist. Es kommen "strawberry jam", "tea strainer" und "teapot" zum Vorschein. Die Kinder hängen die Begriffe mit den passenden Bildern an die Tafel und lassen so einen "cake stand" entstehen, der anschaulich macht, welche Köstlichkeiten zur britischen Teezeremonie gehören. In einem Video erfahren sie dann, wie der Tee im 17. Jahrhundert über China nach Großbritannien gekommen ist.

Interesse und Toleranz für fremde Kulturen wollen die Lehrerinnen Martina Riedl (links) und Sandra Pfleghard bei den Schulkindern fördern. (Foto: Jasinta Then)

Die Idee für eine Europaklasse stammt von den Lehrerinnen Martina Riedl, die Deutsch, Geschichte und Italienisch unterrichtet, und ihrer Kollegin Sandra Pfleghard mit den Fächern Latein und Französisch. Die beiden halten es für sehr wichtig, Kinder im geistes- und kulturwissenschaftlichen Bereich zu fördern und ihnen dabei interkulturelle Fähigkeiten in Form von Kulturen, Sprachen und Werten zu vermitteln. MINT-Fächer wie Mathematik, Physik oder Informatik werden ihrer Meinung nach bereits ausreichend an den Schulen unterstützt. Ihr Ziel mit dem Projekt war es, ein "Europa für die Unterstufe" zu schaffen, erklärt Sandra Pfleghard. Auch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Kulturen sollen sichtbar gemacht werden. So können sie den Kindern beispielsweise bestimmte Verhaltensregeln an die Hand geben. Die Lehrerinnen wollen bei ihren Schützlingen Interesse und Toleranz für fremde Kulturen fördern und so den "europäischen Gedanken" stärken.

Die erste fünfte Klasse mit Europaausrichtung startete im Schuljahr 2019/20, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie. Damals meldeten sich 15 Lernwillige an, für das Schuljahr 2022/23 sind es bereits 30. Es steht allerdings noch nicht fest, ob alle Kinder einen Platz bekommen. Zwei Europaklassen können die Lehrerinnen und Lehrer nicht stemmen, da sie den zusätzlichen Unterricht am Nachmittag ehrenamtlich halten. Die Klasse ist für die fünfte und sechste Jahrgangsstufe fest als Europaklasse zusammen und hat zusätzlich am Montag alle zwei Wochen Unterricht mit sehr vielfältigen Themen.

Am Gymnasium in Bad Aibling sind die Kinder der Europaklasse in einem festen Verband - in Bayern ist das einmalig. (Foto: Martina Riedl)

Damit sei das Konzept in Bayern einzigartig, wie das Kultusministerium mitteilt. Der feste Klassenverband in der fünften und sechsten Klasse und der europäische Lehrplan existieren so an keinem anderen bayerischen Gymnasium. Am Gymnasium Alexandrinum in Coburg ist vom kommenden Schuljahr an ebenfalls eine Europaklasse geplant, allerdings nicht wie in Bad Aibling mit einer festen Klasse, sondern als Wahlkursangebot. Die Umsetzung ist aber auf ausreichend Interesse seitens der Kinder angewiesen, erklärt Manuela Matthe, Fachschaftsleiterin für Englisch in Coburg.

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In Bad Aibling reicht der Europaunterricht von europäischer Geographie über Philosophie im antiken Griechenland bis zu Weihnachtsbräuchen in Frankreich. Auch die herkömmlichen Stunden am Vormittag haben einen speziellen Europabezug. So lernen die Schülerinnen und Schüler zum Thema Märchen nicht nur deutsche, sondern auch spanische oder italienische Erzählungen kennen. Jede der 15 Lehrkräfte des Europa-Teams setzt im Unterricht eigene Schwerpunkte. "Das wäre zu zweit gar nicht möglich", sagt Martina Riedl.

Die Kinder lernen alle zwei Wochen einen neuen Aspekt über Europa und seine Kulturen kennen. Auch soll ihnen die Europaklasse bei der Sprachenwahl für die sechste Jahrgangsstufe helfen. An bayerischen Gymnasien müssen sich die Kinder in der fünften Klasse zwischen zwei Fremdsprachen, beginnend im darauffolgenden Schuljahr, entscheiden. In Bad Aibling sind das Französisch und Latein. Für die achte Klasse steht noch Italienisch zur Wahl. In der Europaklasse bekommen sie erste Einblicke in die Kultur der Römer und die französische Sprache und werden auf diese Art in ihrer Entscheidung unterstützt.

Zurück im Klassenzimmer: Nicht fehlen dürfen bei einer typisch britischen Teezeremonie selbstverständlich "cucumber sandwiches" und "scones", die mit "clotted cream" und "jam" serviert werden. Die Kinder können sich in dieser Stunde als Kochkünstler und -künstlerinnen beweisen und dürfen selbst Gurkensandwiches zubereiten. Alle haben dafür extra Schneidebrett, Messer und Schäler mitgebracht. Daniela Stümpfl hat ausreichend Toast, Gurke, Frischkäse, Salz und schwarzen Tee mit Milch sowie "scones" mit Marmelade dabei. Begeistert machen sich die Kinder ans Werk, fleißig schnippeln, schälen und schneiden sie und reden dabei wild durcheinander.

Ganz typisch: Die Gurkensandwiches mit Minze haben die Kinder der Klasse 5e selbst gemacht. (Foto: Jasinta Then)

Evi, Lisa, Alex, und Marie sind sich einig: Die Europaklasse macht Spaß und der Unterricht ist spannend. Marie, das Mädchen mit Latzhose und Pony, ist erkennbar motiviert bei der Sache und erzählt, dass sie vor allem das Kennenlernen anderer Kulturen schätzt. Lena und Carlotta verzieren währenddessen ihre fertigen Sandwiches besonders sorgfältig mit viel Dill, Schnittlauch und Minze. Zwischendurch machen sie ein bisschen Quatsch. Carlotta, das Mädchen mit der rosafarbenen Haarsträhne, ist akribisch damit beschäftigt, die Sandwiches ansprechend aussehen zu lassen. Damit die fertigen Brote auf einen Teller passen, baut Vroni einen etwas wackeligen Weißbrot-Turm. Pünktlich um 14.30 Uhr kann in der Klasse 5e dann die "British tea time" beginnen. Selbstverständlich wird dazu schwarzer Tee gereicht, wer will, rührt ein wenig Milch und Zucker unter.

Die Frage, warum es sich lohnt, die unbezahlten Unterrichtsstunden auf sich zu nehmen, stellt sich für Sandra Pfleghard im Grunde nicht: "Weil man unglaublich viel zurückbekommt von den Schülerinnen und Schülern. Wie sie dabei sind, und wenn man sieht, was sie für einen Spaß haben", schwärmt die Lehrerin. So großes Engagement findet aber auch offizielle Anerkennung: 2020 wurde das Gymnasium Bad Aibling mit der Europa-Urkunde der bayerischen Staatskanzlei ausgezeichnet und ist nun "Schule für Europa".

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