Süddeutsche Zeitung

Backen:Wie kommt der Zettel in den Glückskeks?

Europas größte Glückskeksanlage steht in der niederbayerischen Provinz - der nackten Naomi Campbell sei Dank.

Von Andreas Glas, Bad Abbach

Die Fahrt ins Glück endet im Industriegebiet. Auto abstellen, aussteigen, rein in die Fabrik. Drinnen riecht es nach Vanille, und wer dem Duft folgt, steht irgendwann vor Ralph Schäfer, der zur Begrüßung die Hand ausstreckt. Er lächelt und sein Lächeln steckt an.

Kann es sein, dass das Glück hier schon beim Händeschütteln überspringt? Die weiße Hygienemütze aufsetzen, dann bittet Schäfer in die Produktionshalle. Er deutet auf eine Maschine mit Förderkette, die winzige Pfannkuchen im Kreis spazieren fährt: "Das ist Europas größte Glückskeks-Backanlage."

Das Glück verbirgt sich oft dort, wo man es nicht erwartet. So ist es auch mit Europas größter Glückskeks-Anlage. Sie steht in Niederbayern, etwas abseits des 11 000-Einwohner-Ortes Bad Abbach. Sie steht dort, weil sich Topmodel Naomi Campbell Ende der Neunzigerjahre für einen deutschen Unterwäschehersteller nackig gemacht hat.

Kekse als Werbung für Dessous

Der Unterwäschehersteller warb mit mehr als einer Million Glückskeksen für die Campbell-Dessous - und Ralph Schäfers Werbefirma kümmerte sich um den Vertrieb der Kekse. Ein Riesenerfolg, sagt Schäfer, "da wusste ich, dass das Produkt läuft". Er wusste aber auch: Es könnte noch besser laufen.

Normalerweise ist es ja so: Im China-Restaurant kommt die Rechnung, dann kommt der Glückskeks, dann bröselt es, dann haut Konfuzius seine Kalenderweisheiten raus. Keiner lässt seinen Keks unausgepackt liegen, das hat Ralph Schäfer schon immer beobachtet. Und noch was ist ihm aufgefallen: dass kaum jemand den Keks isst, sobald er das Zettelchen mit den Sprüchen rausgepopelt hat.

"Weil die meisten Glückskekse nach Pappe schmecken", sagt Schäfer, so sei es damals auch mit den Naomi-Campbell-Keksen gewesen. Also begann er, an einem eigenen Keksrezept zu tüfteln, im Gartenhäuschen, gemeinsam mit einem befreundeten Bäcker, sechs Monate lang. Heute produziert seine Firma "Bavarian Lucky Keks" rund zehn Millionen Glückskekse pro Jahr.

Ralph Schäfer, 59, steht an der Knetmaschine, er trägt Trachtenweste, randlose Brille mit roten Bügeln, die Stirnglatze versteckt er unter einer roten Schiebermütze. Die Maschine rührt Wasser, Mehl, Zucker und Aromen zu einem glatten Teig. Ein Schlauch pumpt den Teig zur Backanlage, die zwar die größte in Europa ist, aber doch nur sieben Meter lang.

Teigfladen im Sekundentakt

Das Schlauchsystem spritzt im Sekundentakt kleine Teigfladen auf die Förderkette, dann drehen die Fladen bei 145 Grad eine Runde durch die Backanlage. "Das Beste ist, wenn der Teig noch nicht ganz durchgebacken ist", sagt Schäfer, dann kratzt er mit den Fingern einen Teigfladen von der Förderkette und steckt ihn sich in den Mund. Wenn sich das Glück doch nur immer so leicht fassen ließe.

Und wie kommt der Zettel in den Keks? "Das ist die meistgestellte Frage", sagt Schäfer, bückt sich über die Backmaschine und deutet auf einen kleinen Greifarm. Der Greifarm saugt die Zettel mit den Sprüchen von einem Stapel und drückt einen nach dem anderen in die noch biegsamen Teigfladen.

Dabei bekommt der Glückskeks auch seine typische Form, er sieht aus wie ein geknickter Halbmond. Über eine Blechrutsche gleiten die fertigen Kekse in Plastikkisten. Wenn sie abgekühlt sind, kommen die Kekse direkt in die Verpackungsmaschine - und dann ins China-Restaurant?

"In kein einziges", sagt Ralph Schäfer und winkt ab. Die Gastronomen kauften ihre Kekse nicht bei ihm, sondern dort, wo sie am billigsten seien. "Die meisten interessiert es nicht, ob der Keks nach Pappe schmeckt oder nicht", sagt Schäfer.

Geschmack nach Vanille, Zimt und Zitronen

Seine Kekse schmecken nach Vanille, nach Zitrone, nach Zimt, nach Cappuccino, es gibt sie in allen möglichen Geschmacksrichtungen, in fast allen Farben. Außerdem, sagt Schäfer, sei es ein Irrglaube, dass Glückskekse etwas mit China zu tun haben.

Es war ein Kalifornier, der das Gebäck in den Zwanzigerjahren erfunden haben soll. Nach und nach verbreitete sich der Keks dann auch in den China-Lokalen in Deutschland - bis irgendwann die ersten Werbefirmen das Potenzial des Glückskekses entdeckten, unter anderem die Firma von Ralph Schäfer, die anfangs nur für Verpackung und Vertrieb der Kekse sorgte.

Für Schäfer ist der Keks "das perfekte Werbemedium". Während Prospekte und Flyer oft ungelesen im Papierkorb landen, mache der Glückskeks die Menschen neugierig. "Jeder will wissen, was in seinem Keks steckt", sagt Schäfer.

Vier von fünf Keksen verkauft er deshalb an Apotheken, Banken, Versicherungen, Parteien, Fast-Food-Restaurants - als Werbegag. Was im Inneren der Kekse auf den Zetteln steht, geben die Unternehmen teilweise selbst vor. Da gibt es zum Beispiel die Lotto-Glückskekse, in denen sich Zahlenkombinationen für das Spiel 6 aus 49 verbergen. Die Lotterien lassen die Kekse auf der Straße verteilen und animieren die Passanten so zum Lottospielen.

Kekse für die Kirchen

"Wir machen auch sehr viel für die Kirche", sagt Schäfer, "wir haben dafür ein Riesen-Portfolio an Bibelsprüchen", die in den Keks kommen. Eine Herausforderung seien die Erotik-Kekse gewesen, die er einmal für eine große Sexshop-Kette produziert habe, sagt Schäfer, die schlüpfrigen Sprüche habe er selbst zusammengestellt: "Sie sollten nicht sexistisch sein, nicht unter die Gürtellinie gehen, aber der Kunde sollte trotzdem schmunzeln. Da musst du wirklich Gehirnschmalz haben."

Vor ein paar Jahren hat Schäfer angefangen, auch eigene Glückskeks-Serien zu produzieren - für den Einzelhandel und den eigenen Fabrikladen. Die Bayern-Glückskekse zum Beispiel mit bairischen Sprüchen, die Happy-Birthday-Serie mit Geburtstagssprüchen oder die Happy-New-Year-Kekse mit Neujahrsweisheiten. "Um so eine Serie aufzulegen, brauchst du ungefähr 600 Sprüche", sagt Schäfer, "du willst ja nicht, dass in jedem zweiten Keks der gleiche Spruch drin ist."

Die Sprüche, die in seinen eigenen Keksen stecken, sammelt Schäfer in Zitatbüchern, im Internet - oder er dichtet selbst. Einfälle habe er ständig, sagt Schäfer, sein Diktiergerät hat er deshalb immer dabei. Im Whirlpool, auf dem Klo, beim Abendessen mit Freunden. "Bis du einen Fundus beieinander hast, haust du im Endeffekt jeden an", sagt Schäfer.

Nach dem Studium hat er sieben Jahre lang im Nahen Osten gearbeitet, zuerst für eine Baufirma in Bagdad, danach gründete er in Jordanien eine Exportfirma für Wüstentrüffel. Damit sei er zwar "grandios gescheitert", doch habe er im Nahen Osten viel fürs Leben gelernt - auch arabische Lebensweisheiten, die er nun in seine Glückskekse einbacken lässt.

Die Menschen zum Lächeln bringen

Wichtig sei es, die Menschen mit dem Spruch zum Lächeln zu bringen. "Es soll halt was Positives sein", sagt Schäfer, dessen Lieblingsspruch ein freies Zitat nach Wilhelm Busch ist: "Die glücklichsten Stunden des Lebens sind die, in denen wir liebten."

Ein Zitat mit persönlicher Bedeutung, denn Schäfers Frau ist jung an Krebs gestorben, seine beiden Söhne hat er allein groß gezogen. Einer von ihnen, der 26-jährige Raphael, wird die Glückskeks-Fabrik übernehmen, wenn Ralph Schäfer in Rente geht.

Er hat dann endlich mehr Zeit zum Schafkopfen, zum Schachspielen und zum Lesen. Denn eines, sagt Schäfer, habe er im Leben gelernt, "dass man mit ganz geringen Mitteln sehr glücklich sein kann".

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Quelle:
SZ vom 31.12.2015/doen
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