Um in das Hogwarts von Traunstein zu gelangen, muss man vom Bahnhof aus noch ein paar Schritte gehen. Zur Tür hinaus, einen kurzen Berg hinab, dann scharf rechts in die Herzog-Friedrich-Straße, und nach zwei Minuten steht man an der Eingangstür zur Homöo-Akademie. Früher gingen hier Gymnasiasten ein und aus, heute beherbergt das Gebäude ein "Gesundheitszentrum" in den sanierten Klassenzimmern. Von hier aus wollen Homöopathen ihre Lehre in die Wissenschaft tragen, auch wenn sie dort auf viel Ablehnung stoßen: Am 15. September werden die ersten Studenten erwartet, die sich zum Bachelor in Homöopathie ausbilden lassen.
Diese Woche beginnt der Akademie-Betrieb mit einem Kurs für Abiturienten ohne Vorkenntnisse. Kritiker bezeichnen die Hochschule und den Studiengang als "Hokuspokus" wie aus einem Harry-Potter-Roman, mit der Zauberschule namens Hogwarts. Deshalb sprechen sie von "Hogwarts an der Traun". Einer der hartnäckigsten Gegner der Homöopathie ist die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). "Die geplante Hochschule für Homöopathie in Traunstein ist akademischer Etikettenschwindel und verleiht einer Pseudowissenschaft höhere Weihen", sagt ihr Vorsitzender Amardeo Sarma.
"Akademischer Etikettenschwindel"
Der Grundsatzstreit über die Lehre von den Globulis, den Zuckerkügelchen mit extrem verdünnten Wirkstoffen, tobt seit Jahren. An der Akademie in Traunstein, die "Klassische Homöopathie auf Hochschulniveau" vermitteln will, gewinnt er eine neue Qualität. Die Frage: Kann ein Fach wissenschaftlich unterrichtet werden, das selbst kein anerkanntes Fach der Wissenschaft ist?
Wir sind wissenschaftlich längst anerkannt, sagen Homöopathen wie Urs Rentsch, Vorstand der European Union of Homoeopathy (EUH). Es gebe zum Beispiel eine 2005 veröffentlichte Studie der Universität Bern, die die Wirkung von Globuli bei ADHS-Kindern belege. Dass Homöopathie wirke, sei anhand solcher empirischer Studien bewiesen. "Wir können nur nicht beweisen, wie sie wirkt", sagt Urs Rentsch. "Aber weil man die Wirkung im Moment physikalisch nicht erklären kann, ist das kein Beweis, dass sie nicht wirkt." Für Rentsch Basis genug für wissenschaftliche Forschung.
Alles Humbug, sagen arrivierte Wissenschaftler wie der Schweizer Immunologe Beda Stadler, ebenfalls von der Universität Bern. In Großstädten wie London oder Wien schluckten Homöopathie-Gegner alle Kügelchen einer Flasche auf einmal, um zu beweisen, dass sie keine Wirkung haben. Folgenlos. Der Wissenschaftsjournalist Christian Weymayr schlug kürzlich sogar vor, keine Studien über die Homöopathie mehr anzufertigen, da sie sinnlos seien. Physikalisch sei längst bewiesen, dass die extrem verdünnten Wirkstoffe in den Zuckerkügelchen keine Wirkung erzielten. Aus statistischen Gründen und Zufall sei zwar immer mal wieder eine positive Beurteilung der Homöopathie möglich. Aber trotzdem widersinnig. Die Wissenschaft ist sich in der Einstufung der Homöopathie weitgehend einig: Das intensive Gespräch über die Krankheit und die anschließend verabreichten Kügelchen führten im besten Falle zu einem Placebo-Effekt, der zur Genesung des Patienten beiträgt.
Politiker freuen sich über die Akademie
Der Streit um die Homöopathie ficht die Lokalpolitiker in Traunstein nicht an. Sie freuen sich großteils über die neue Akademie, sie träumen wie alle Kleinstadt-Politiker vom Prädikat "Hochschulstadt". Der Traunsteiner Oberbürgermeister Manfred Kösterke (Unabhängige Wähler) sagt: "Der Gesundheitsstandort Traunstein profitiert von dieser Einrichtung." Der stellvertretende Landrat Sepp Konhäuser (SPD) ist ebenso wie sein Chef Hermann Steinmaßl (CSU) überzeugt: Die Homöo-Akademie ist ein "weiterer Mosaikstein beim Ausbau Traunsteins zum Hochschulstandort mit Schwerpunkt Gesundheitsberufe".
Bis jetzt ist der Beitrag der Akademie für Homöopathie für den Bildungsstandort noch überschaubar. Immerhin zahlt sie dem Landratsamt Miete für einen Hörsaal und ein Büro im früheren Annette-Kolb-Gymnasium, das jetzt Bildungszentrum für Gesundheit und Soziales heißt. Die Zahl der Teilnehmer am bereits laufenden Vorbereitungskurs will Akademie Leiterin Anja Wilhelm nicht nennen, es sei aber "eine sehr kleine Gruppe", sagt sie. Das soll sich vom 15. September an ändern, dann soll das reguläre Studium beginnen. 36 Monate soll es dauern, die Gebühren betragen dafür 21 600 Euro. Im besten Fall sollen 20 bis 25 Studenten im Herbst beginnen.
Dafür fehlt nur noch ein Baustein, die sogenannte Akkreditierung, die das Studium bewertet. Dass die bald eintrifft, "da sind wir sehr zuversichtlich", sagt Akademieleiterin Wilhelm. Die formale Genehmigung ist schon da, sie kommt vom Wissenschaftssenat aus Berlin. Denn um den Bachelor-Studiengang starten zu können, haben die Homöopathen einen komplizierten Hochschulzugang gebastelt: Die private, staatlich anerkannte Steinbeis-Hochschule in Berlin wird die Prüfung abnehmen. Die Verbindung nach Traunstein stellt eines der etwa 100 sogenannten Transfer-Institute der Hochschule her. Dem wiederum sitzt Homöopathen-Chef Urs Rentsch vor. Der Abschluss wird heißen: "Bachelor of Complementary Medicine and Management, Vertiefungsrichtung: Homöopathie." Praktizieren darf ein Bachelor damit aber nicht. Dazu muss er noch eine Prüfung vor dem Amtsarzt ablegen.