ErnährungMagische Mischungen

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Koriander, Kreuzkümmel, schwarzer Pfeffer, Süßholz, Nelken, weiße Linsen und noch einiges andere mehr: Ingrid Reygers bei der Zubereitung ihrer Gewürzmischungen.
Koriander, Kreuzkümmel, schwarzer Pfeffer, Süßholz, Nelken, weiße Linsen und noch einiges andere mehr: Ingrid Reygers bei der Zubereitung ihrer Gewürzmischungen. (Foto: Georgine Treybal)

Balance, Gelassenheit und Gesundheit im Alltag - Ayurveda gilt als segensreich. Aber helfen zerstampfte Gewürze wirklich? Familie Reygers glaubt fest an die Wirkung ihrer Melange.

Von Johanna Heimann, Seeshaupt

Die Welt ist gestresst: Müdigkeit, Alltagsstress und Burnout beherrscht die Menschheit. Doch dagegen soll es eine Lösung geben: Ingrid Reygers und ihre Tochter Cecilia schwören auf Ayurveda. Ihr Start-up "Alonga" verkauft Gewürzmischungen, die all diese Probleme beheben sollen. Die magischen Mischungen werden in einer kleinen Privatküche in Seeshaupt produziert. Zusammen mit Freundin Coco sitzt Ingrid am Tisch mit Blick in den Garten, zur Begrüßung gibt es ayurvedischen Tee. Die gebürtige Brasilianerin ist braun gebrannt, erst vor einer Woche kehrte sie von einer Reise aus Indien zurück, die auch ihrer Fortbildung diente. In Europa kennt man Ayurveda bisher vorwiegend im Kontext mit "Wellness". Reygers hofft, dass sich das ändert und Ayurveda auch als Ernährungsprinzip bekannt wird.

Es sprudelt förmlich aus ihr heraus, wenn sie über Ayurveda spricht. Sie erklärt, dass Ayurveda - eine Kombination aus Erfahrungswerten und Philosophie - eine Heilkunst sei, die es bereits seit Jahrtausenden in Indien, Sri Lanka und Nepal gibt. In Indien verwendet man die Heilkunst in den Bereichen Medizin, Psychologie, Yoga, Massage und Ernährungsberatung. Das Fach muss an einer Universität studiert werden. In der Therapie werden Patienten mit ayurvedischen Ölen und Gewürzen behandelt. Dabei wird jeder Mensch als Individuum betrachtet, die traditionelle Behandlung daher jeweils angepasst.

Die 61-Jährige strahlt innere Ruhe aus. Ihre Gelassenheit komme vom Yoga und der ayurvedischen Ernährung, sagt sie mit breitem Lächeln: "Es bringt mich wieder in Balance." Bei einem Yoga- und Ayurveda-Kongress in Brasilien hatte Reygers einst David Frawley kennengelernt, einen US-amerikanischen Autor mit Schwerpunkt Ayurveda und Hindu-Philosophie. Anschließend absolvierte sie bei Frawley drei Jahre lang eine Ayurveda-Ausbildung. Die Theorie lernte sie online, die Praxis - also das Kochen mit verschiedenen Gewürzen - in Brasilien. Denn die meisten benötigten Gewürze gibt es nicht nur in Indien, sie finden sich über den ganzen Globus verteilt. "Zum Glück", sagt Reygers, "ich hätte nämlich niemals damit gerechnet, in Europa zu landen". Ihren deutschen Mann lernte sie in Brasilien kennen. Zusammen mit ihren mittlerweile drei erwachsenen Kindern vollzogen sie später eine Atlantiküberquerung: Eine Reise, die sich über insgesamt vier Jahre hinzog mit verschiedenen Stationen von Argentinien bis nach Mallorca.

Diese Reise hat die gesamte Familie nachhaltig geprägt. Vor allem Tochter Cecilia: "Auf dem Boot hat meine Mutter immer ayurvedisch gekocht. Ich bin also damit aufgewachsen", erzählt die 27-Jährige, "und habe es lieben gelernt". Ihre beiden älteren Schwestern lernten auf dem Boot per Fernschule, Cecilia war dafür noch zu jung. Später machten alle drei ihr Abitur in Bayern. Schon während der Schulzeit wurde Cecilia oft von Klassenkameraden nach Tricks bei Halsschmerzen oder sonstigen Krankheiten gefragt. "Da half mir dann immer das ayurvedische Wissen, das ich von meiner Mutter gelernt habe", erzählt sie. Doch nach der Schule war sie zunächst ein wenig planlos. "Die Leute in meinem Umfeld erwarteten, dass ich in die Fußstapfen meines Vaters trete." Also studierte sie "International Business". Schnell habe sie dann aber gemerkt, "dass das einfach nicht das Richtige für mich ist". Nach dem Bachelor-Abschluss in Maastricht entschied sie sich dazu, dem Weg ihrer Mutter zu folgen: Indien und Brasilien, Ayurveda-Ausbildung und Yoga-Studium.

Die ayurvedische Gewürzmischung verleiht Joghurt einen ganz eigenen Geschmack.
Die ayurvedische Gewürzmischung verleiht Joghurt einen ganz eigenen Geschmack. (Foto: Georgine Treybal)

Mittlerweile arbeitet Cecilia Reygers als Köchin auf einer Segeljacht, ihre Freizeit widmet sie dem Start-up. Sie ist gerade auf Mallorca: Unter strahlender Sonne auf dem Deck eines Bootes erinnert sie sich während des Telefonats an die Anfänge ihrer Passion. Nun teilt sie ihre Leidenschaft selbst auf hoher See mit den Passagieren. "Viele Gäste wünschen sich mittlerweile meine ayurvedische Küche. Aber auch wenn ich einfach Pasta oder Reis koche, habe ich immer Ayurveda im Hinterkopf und versuche mein Wissen dabei anzuwenden", sagt sie. "Die Crew kommt bei allen möglichen Krankheiten auf mich zu. Fast immer kann ich ihnen mit ayurvedischen Mitteln helfen." 2020 gründeten Mutter und Tochter ihr gemeinsames Start-up Alonga, was auf Portugiesisch so viel wie "erweitern" bedeutet. "Einen besseren Geschäftspartner als meine Mutter kann ich mir nicht vorstellen. Wir ergänzen uns perfekt", findet Cecilia. Ihre Mutter schmunzelt - und stimmt ihrer Tochter zu.

Ingrid Reygers bekam die Anregung für das Unternehmen einst von ihrer Freundin Anette. Nach ihren Aufenthalten in Brasilien und Indien wollte Reygers die ayurvedischen Gewürzmischungen für sich privat auch in Deutschland zubereiten. Also bestellte sie die Zutaten bei einem Pharmazeutiker, doch der lieferte das Gewünschte erst bei einer Mindestabnahme von einem Kilogramm. "Also hatte ich auf einmal von 20 Gewürzen jeweils ein Kilogramm vor der Tür stehen", erzählt Ingrid Reygers - unter anderem ein riesiger Sack Lorbeerblätter. "Das braucht keiner", dachte sie. "Und dann brachte meine Freundin mich auf die Idee, meine Mischungen zu verkaufen."

Mutter Ingrid kümmert sich um die Produkte, Tochter Cecilia um Website und Social-Media-Kanäle

Anette war es auch, die ihrer Freundin ihre private Küche in Seeshaupt zum Herstellen der Mischungen zur Verfügung stellte. Sie rief zunächst die Behörden an, um die Privatküche zertifizieren zu lassen. Nachdem die Lebensmittel- und Ökokontrolleure ihr Einverständnis gegeben hatten, konnte das Start-up online gehen. Mutter Ingrid kümmert sich seither um die Herstellung der Produkte. Cecilia kontrolliert die Website und die Social-Media-Kanäle und lädt dort regelmäßig Blogs zum Thema Ernährung hoch. Gemeinsam bieten sie unter anderem Detox-Kurse und Retreats - also Erholungsreisen zur Entgiftung - in Südafrika, auf Bali oder Mallorca an.

Ab in die Pfanne: Vorsichtig werden Senfkörner vor der Verkleinerung geröstet.
Ab in die Pfanne: Vorsichtig werden Senfkörner vor der Verkleinerung geröstet. (Foto: Georgine Treybal)
Danach werden die jeweiligen Zutaten einzeln mit dem Mörser zerstampft.
Danach werden die jeweiligen Zutaten einzeln mit dem Mörser zerstampft. (Foto: Georgine Treybal)

Zur Demonstration, was hinter den "magischen" Gewürzmischungen steckt, zeigt Ingrid, wie eines ihrer Produkte entsteht: In kleinen Schüsseln stehen Koriandersamen, Kreuzkümmel, schwarzer Pfeffer, Süßholz, Nelken, weiße Linsen und noch einige andere Gewürze mehr bereit. "Viele Menschen denken, ayurvedische Küche ist immer indisch", erklärt Ingrid. Doch das stimmt nicht: Es ist vor allem saisonale Küche. Die Zutaten, die man braucht, findet man in nahezu jedem Supermarkt.

Indische Gewürzmischungen "made in Seeshaupt"

Jedes Gewürz wird zunächst einzeln vorsichtig geröstet. Der Geruch von Samen, Linsen und Körner streicht durchs ganze Haus. Dann wird alles einzeln per Hand im Mörser zerkleinert, bis schließlich alles gemeinsam in einem elektrischen Mörser landet. Das fertige Produkt wird bisher nur online zum Kauf angeboten. Der Familienbetrieb, den es ohne die Unterstützung von Freunden nicht geben würde, bietet traditionell indische Gewürzmischungen "Made in Seeshaupt" an. Sie sollen den Alltag erleichtern und Krankheiten wie Burnout, Verdauungsprobleme oder ständige Müdigkeit präventiv verhindern. "Viele Menschen kommen erst zu uns, wenn sie bereits erkrankt sind", erklärt Reygers. "Wenn Ayurveda verbreiteter in unserer Gesellschaft wäre, würde es oft gar nicht zu diesen Krankheiten kommen." Ayurvedische Ernährung kann als Gegenbalance zum Alltagsstress wirken. Außerdem stellt sie klar, dass es beim ayurvedischen Entgiften nicht darum ginge, nichts zu essen: Es geht viel mehr darum, "bewusst und richtig" zu essen.

Von Indien bis nach Seeshaupt - soweit hat es Ayurveda schon geschafft. Viele mögen das für Gewürz-Hokuspokus halten. Mutter und Tochter sind sich aber sicher, dass die traditionelle Heilkunst schon bald etablierter Teil der europäischen Ernährung sein wird.

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