Autobahnruinen in Franken:Hitlers Gerümpel im Wald

Autobahnruinen in Franken: Die Nazis wollten einst eine Autobahn bei Bad Brückenau aus dem Boden stampfen. Heute wird die Ruine von Kletterern genutzt.

Die Nazis wollten einst eine Autobahn bei Bad Brückenau aus dem Boden stampfen. Heute wird die Ruine von Kletterern genutzt.

Die Nazis wollten einst eine Autobahn bei Bad Brückenau aus dem Boden stampfen. Die Streckenführung war so hirnrissig, dass die Trasse nach 1945 verworfen wurde. Doch es sind noch Relikte zu besichtigen. Ein Besuch.

Von Olaf Przybilla, Gemünden am Main

Spätestens im Oktober wird sich Dieter Stockmann wieder auf den Weg machen. Er wird ein paar Brote schmieren, möglichst festes Schuhwerk anziehen und sich ins fränkische Dickicht schlagen, wo auf 32 Kilometern die Relikte einer Autobahn zu besichtigen sind, auf der niemals ein Auto gefahren ist.

Stockmann arbeitet beim Landratsamt in Karlstadt, er ist dort für Naturschutz zuständig, nicht etwa für Tourismus oder, sagen wir, Archäologie. Leute aber, die Stockmann auf seinen regelmäßigen Führungen in ein ebenso abseitiges wie abgründiges Kapitel deutscher Baugeschichte führen soll, melden sich immer wieder beim ihm. Manchmal werden es Stockmann fast schon zu viele.

Das war nicht immer so. Als er vor etwa 20 Jahren als Hobbyhistoriker damit begann, sich der vergessenen "Strecke 46" zu nähern, musste sich Stockmann einiges anhören. Das ist doch diese Autobahn, die die Nazis zwischen 1936 und 1939 bei Bad Brückenau aus dem Boden stampfen wollten, ob man diese Geschichte nicht besser auf sich beruhen lassen sollte? Immerhin sei nicht auszuschließen, dass Hinweise auf die Autobahntrümmer im Wald auch allerlei Ewiggestrige ins unterfränkische Unterholz locken könnten. Stockmann hat sich das stoisch angehört, auch Andeutungen, dass er wohl eher bizarre Interessen pflege, ließ er über sich ergehen: Der Mythos Autobahn und Adolf Hitler? Sollte man da nicht besser die Finger von lassen?

Sollte man nicht, fand Stockmann, und begann, die Strecke zu erforschen, mit Zeitzeugen zu sprechen, historische Baupläne zu sichten, ein Buch darüber zu schreiben. Die Trümmer einer zum Teil völlig grotesken Streckenführung könne man doch "als schicksalhaftes Symbol" für das Scheitern eines furchtbaren Systems deuten, sagt er. Neonazis jedenfalls habe er auf seinen Touren noch nie im Dickicht angetroffen, als braune Kultstätte taugen die etwa 50 Ruinen im Wald also offenbar nicht.

Benutzung fast unmöglich

Warum auch? Die über weite Strecken zugewucherte Trasse darf längst als Beleg dafür dienen, dass da Baumeister am Werk waren, die nicht wirklich wussten, was sie taten. So war es der erklärte Wille des NS-Chefautobahnplaners, die Straßen des Führers möglichst charakteristisch in die deutsche Landschaft einzugliedern. Eine lohnende Sehenswürdigkeit irgendwo in der Nähe? Nichts wie hin mit der Reichsautobahn, war offenbar die Idee.

An der wildromantischen Burgruine Homburg bei Gössenheim sollte die Trasse möglichst nahe entlang geführt werden. In der Nähe von Gräfendorf bei Gemünden hätte ein Hang mit einer Ansammlung von Neunzig-Grad-Kurven erklommen werden sollen - bei einer Steigung, die eine Benutzung im Winter fast unmöglich gemacht hätte. Und das in Unterfranken, das für alpine Hindernisse eher nicht bekannt ist.

"Über den Kosten-Nutzen-Plan der Herren kann man nur den Kopf schütteln", sagt Stockmann. Die Streckenführung war so hirnrissig, dass die Trasse nach 1945 verworfen wurde, ein Werk von etlichen Hundert Bauarbeitern. Plötzlich gab es zwei deutsche Staaten; die Autobahn von Würzburg nach Fulda wurde einige Kilometer weiter östlich gebaut. Viele der bereits fertiggestellten Teile zwischen Gemünden und Bad Brückenau ließ man als Gerümpel im Wald zurück. Manches davon war Sondermüll, eine vollständige Entsorgung wäre teuer geworden. Und so darf sich seither die Natur eines der Projekte einverleiben, die für ein "Tausendjähriges Reich" gedacht waren. Ein irgendwie beruhigender Anblick.

2003 wurden die Ruinen unter Schutz gestellt als längstes neuzeitliches Denkmal in Bayern. Stockmann hatte einen wesentlichen Anteil daran, aber wirklich zufrieden ist er nicht. Ein Lehrpfad würde ihm vorschweben, der im Wald auf die Geschichte des Größenwahns hinweist. Aber weit ist er damit nicht gekommen in den 20 Jahren. Immerhin, seit der Kommunalwahl gibt es Signale aus etlichen Orten, vielleicht tut sich da was, hofft er. Einstweilen wäre es schon dienlich, wenn örtliche Kletterer die frei stehenden Brückenpfeiler nicht allzu sehr bearbeiten würden, es sei ja immerhin ein Denkmal, sagt er. Auf seinen Führungen, die er bei Bedarf auch privaten Gruppen anbietet (Informationen unter www.strecke46.de), wird Stockmann nicht müde, darauf hinzuweisen.

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