Autobahn A 94:Betonland

Autobahn A 94: Die Autobahn A 94 führt durch das Isental bei Dorfen.

Die Autobahn A 94 führt durch das Isental bei Dorfen.

(Foto: Sebastian Beck/oh)

Nach Jahrzehnten des Widerstands wird die Autobahn A 94 durchs Isental gebaut. Langsam wird auch das ganze Ausmaß der Naturzerstörung sichtbar - besonders in der Gegend um Lindum im Isental.

Von Hans Kratzer

Ein paar Kilometer hinter der Stadt Dorfen steht in einem einsamen Talgrund das Kircherl von Lindum. Es ist ohne Zweifel ein Kraftort, der den Besucher unwiderstehlich in seinen Bann zieht. Schon in vorchristlicher Zeit hatten hier Menschen gesiedelt. Lindum gilt als einer der ältesten Ortsnamen überhaupt, er hat einen keltischen Klang.

Bei den Kelten waren Orte mit einer solchen Ausstrahlung Heiligtümer, hochverehrt und unantastbar. Tatsächlich hat der Mensch die Aura von Lindum viele Jahrhunderte lang nicht angetastet. "Welch ein Anblick . . . Die Schönheit des Ganzen, über jede Jahreszeit erhaben." So urteilte schon 1816 der Reiseschriftsteller Joseph von Obernberg über diese Kulisse, die visuelle Modulationen von Dur bis Moll aufweist.

Autobahn A 94: Seit zwei Jahren ist es mit der Idylle und der Stille vorbei.

Seit zwei Jahren ist es mit der Idylle und der Stille vorbei.

(Foto: Sebastian Beck)

Freilich, seit gut zwei Jahren ist es mit der Idylle und mit der Stille vorbei. Seit dem Spatenstich für den Bau der Isentalautobahn hat sich der Talgrund rings ums Kircherl in eine Art Mondlandschaft verwandelt. Weil die Trasse geradewegs an Lindum vorbeiführt, mutierte der friedliche Ort zu einer Mammutbaustelle, auf der das alte Bauernland radikal umformatiert wird. Die Veränderung der Landschaft lockt die Menschen in Scharen zur Baustelle.

Die einen sind fasziniert, die anderen reagieren entsetzt. "So schlimm hätt' ich mir des ned vorgestellt!", sagen selbst Befürworter der Autobahn. Manche Dorfener fahren lieber beträchtliche Umwege, um die Baustelle und die verwundete Landschaft nicht sehen zu müssen. Die meisten Menschen aber reagieren fatalistisch: "Jetzt kommt's halt, die Autobahn!"

Die Aktionsgemeinschaft gegen die A 94, die mehr als 30 Jahre lang durch alle Instanzen gegen die Isentaltrasse gekämpft und letztlich verloren hat, sieht sich dennoch in ihrer Kritik bestätigt. Vor allem die Kostenexplosion, die sich im neuen Bundeshaushalt widerspiegelt, gibt den Kritikern zu denken. Für die 34 Kilometer lange Strecke von 900 Millionen Euro ausgewiesen statt der bisher veranschlagten 300 Millionen Euro. Obwohl die Bauarbeiten rasch vorangehen, ist zu erkennen, dass die Trasse der Landschaft abgetrotzt werden muss.

Erste Brückenpfeiler wachsen empor

Die von vielen Quellen gesättigte Erde wird mit Beton vollgepumpt, damit die gigantischen Brücken auf sicherem Fundament stehen. Auch im Lappachtal, in dem das Lindumer Kircherl steht, wachsen erste Brückenpfeiler empor, welche die Autobahn direkt über das vorgeschichtliche Siedlungsland führen werden.

Obwohl die Stadt Dorfen stets das Zentrum des Autobahnwiderstands war, tritt Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) als erklärter Befürworter der Dorfener Trasse auf. Er gesteht zwar zu, dass gerade dramatische Wunden in die Landschaft geschlagen werden, sieht die Autobahn aber als Riesenchance für die Gewerbe- und Wohnentwicklung seiner Stadt. "Diese Chance müssen wir nutzen", sagt er, die Entwicklung sei unumkehrbar. Damit können auch Erholung suchende Münchner die Reize des Isentals nicht mehr kennenlernen.

Autobahn A 94: Die Dorfener Trasse schlägt Wunden in die Landschaft.

Die Dorfener Trasse schlägt Wunden in die Landschaft.

(Foto: Sebastian Beck)

Die Gegend ist ihnen immer fremd geblieben, obwohl sie nur einige Dutzend Kilometer von der Landeshauptstadt entfernt liegt. Auch Ministerpräsident Horst Seehofer hat nie den Weg dorthin gefunden. Viele namhafte Gegner des Autobahnbaus hatten ihn zu einem Besuch ermuntert, aber nie eine Reaktion erhalten. Nicht einmal der Autor Dieter Wieland, der mit seinen Filmen zum Landschafts- und Naturschutz eine Instanz geworden ist, wurde angehört. "Uns ärgert das sehr, denn in Sachen Energiewende rennt Seehofer jetzt von Widerstandsgruppe zu Widerstandsgruppe, um deren Anliegen zu erfüllen", sagt Heiner Müller-Ermann, der Sprecher der Aktionsgemeinschaft gegen die A 94.

So wie in den 70er Jahren die Parabolantennen der Erdfunkstelle bei Raisting in enger Nachbarschaft zu einem Barockkircherl den Verbund von Tradition und Fortschritt in Bayern symbolisierten, so ähnlich sind es zurzeit die Betonpfeiler und die mähdreschergroßen Baumaschinen, die sich in Steinwurfnähe zum Lindumer Kircherl mit Wucht die Erde untertan machen.

Autobahn A 94: Betonpfeiler und Baumaschinen machen sich die Erde untertan.

Betonpfeiler und Baumaschinen machen sich die Erde untertan.

(Foto: Sebastian Beck)

Für die einen ist es ein Hoffnungszeichen, für die anderen das Horrorbild einer geschundenen Heimat. Letzteren kommt dabei notgedrungen Platons Briefspruch an Dionysos in den Sinn, den der aus dem Isental stammende Schriftsteller Georg Lohmeier oft zitiert hat: "Die Liebe zur Heimat ist Selbstbeherrschung in der Lebensführung", schrieb Platon und Lohmeier legte dies dahin gehend aus, dass diese Maxime dem Wohle des Menschen diene, hektischer Fortschritt dagegen habe ihn nicht besser und nicht glücklicher gemacht.

Ungeachtet dessen gehen Staats- und Bundesregierung davon aus, dass die Isentalautobahn zügig fertiggestellt wird. Die in zwei Abschnitten geplante Trasse ist momentan als ÖPP-Projekt (öffentlich-private Partnerschaft) ausgeschrieben und soll dementsprechend durch private Investoren finanziert werden. Schon 2018 könnten der internationale Transitverkehr über das Lindumer Kircherl brettern.

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